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NSU-Prozess: Gericht unter Druck

NSU-Prozess

Gericht unter Druck

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    Sitzungssaal 101 im Oberlandesgericht München. In dem im Umbau befindlichen Raum soll ab dem 17. April 2013 der NSU-Prozess beginnen.
    Sitzungssaal 101 im Oberlandesgericht München. In dem im Umbau befindlichen Raum soll ab dem 17. April 2013 der NSU-Prozess beginnen. Foto: Peter Kneffel/dpa

    Das Oberlandesgericht München steht im Vorfeld des Mammutprozesses gegen die noch lebenden mutmaßlichen Mitglieder der rechtsextremen Terrorzelle NSU unter erheblichem politischen Druck. Schon die Entscheidung des Gerichts, das international beachtete und möglicherweise Jahre dauernde Verfahren in dem viel zu kleinen Schwurgerichtssaal des Strafjustizzentrums München durchzuziehen, hatte für Kritik gesorgt. Ein größerer Saal, der den rechtlichen Anforderungen genügt, war allerdings, wie berichtet, nicht zu finden.

    Jetzt hagelt es Proteste, weil die Akkreditierungen für Pressevertreter im „Windhundverfahren“ vergeben wurden und türkische Zeitungen, die sich offenbar zu spät gemeldet hatten, keine reservierten Plätze mehr erhielten. Gerade in der Türkei aber besteht größtes Interesse an dem Prozess, weil acht der zehn Mordopfer aus dem Land stammen.

    Gabriel: "Oberlandesgericht sollte Haltung überdenken"

    Der bisher prominenteste Kritiker der Münchner Justiz ist der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. „Dass vom Oberlandesgericht München keine türkischen Medien zum NSU-Prozess zugelassen werden, ist ein absolut falsches Signal“, sagte Gabriel gestern in Berlin. „Mit dem Prozess muss das erschütterte Vertrauen besonders auch bei den türkischstämmigen Bürgerinnen und Bürgern in den deutschen Staat, seine Institutionen und Behörden zurückgewonnen werden“, betonte Gabriel und forderte: „Das Oberlandesgericht sollte seine Haltung überdenken und sich nicht auf irgendwelche formelle Begründungen zurückziehen.“

    Das Neonazi-Trio und seine mutmaßlichen Helfer

    UWE MUNDLOS: Der Professorensohn gilt als intellektueller Kopf der Terrorzelle. Am 4. November tötete sich der 38-Jährige selbst in einem Wohnmobil.

    UWE BÖHNHARDT: Der 34-Jährige soll ein Waffennarr gewesen sein, der schnell und gerne zuschlug. Auch er wurde am 4. November tot in dem ausgebrannten Wohnmobil gefunden, wohl von Mundlos erschossen.

    BEATE ZSCHÄPE: Die 37-Jährige ist als Mittäterin wegen Mordes angeklagt. Sie stammt aus zerrütteten Verhältnissen. Aufgefallen ist die erstmal als 17-Jährige bei mehreren Ladendiebstählen. In einem Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla lernte sie Uwe Mundlos kennen. Mit Uwe Böhnhardt hatte sie später eine Beziehung. Nachdem sie am 4. November 2011 die konspirative Wohnung der Gruppe in die Luft gesprengt hatte, fuhr Zschäpe tagelang mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland, bevor sie sich der Polizei stellte.

    RALF WOHLLEBEN: Der ehemalige NPD-Funktionär sitzt seit dem 29. November 2011 in Untersuchungshaft. Er soll dem Terrortrio 1998 beim Untertauchen finanziell geholfen, ihnen Geld und auch die spätere Tatwaffe zukommen lassen haben. Der 37-jährige Fachinformatiker ist inzwischen zwar nicht mehr NPD-Mitglied. Dass er noch als NPD-Funktionär die NSU unterstützt hat, gilt aber als wichtiges Argument für ein mögliches neues NPD-Verbotsverfahren.

    HOLGER G.: Der am 14. Mai 1974 in Jena geborene G. war der erste mutmaßliche NSU-Helfer, den die Polizei festnahm. G. soll seit Ende der 90er Jahre Kontakt mit dem aus Thüringen stammenden Trio gehabt haben. Den Dreien soll er seinen Führerschein, eine Krankenversichertenkarte und noch im Jahr 2011 einen Reisepass überlassen haben. So soll er ihnen ermöglicht haben, weiterhin verborgen zu agieren und rechtsextreme Gewalttaten zu verüben.

    CARSTEN S.: Der 32-Jährige soll zusammen mit Ralf Wohlleben die Tatwaffe zu den Morden beschafft haben. Nachdem S. umfassend ausgepackt hatte, ließ ihn die Bundesanwaltschaft im Mai nach viermonatiger Untersuchungshaft wieder frei. S. sagte sich nach Auffassung der Ermittler glaubhaft vom Rechtsextremismus los. Außerdem war er zur Tatzeit erst 19 Jahre alt, ihm könnte nach dem milderen Jugendstrafrecht der Prozess gemacht werden.

    ANDRE E.: Dem aus Sachsen stammenden 33-Jährigen wirft die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Sprengstoffanschlag des NSU in der Kölner Altstadt vor. E. soll eine enge Bindung zu dem Trio unterhalten haben. Im Jahr 2006 gab er Zschäpe als seine Ehefrau aus. Er soll den Wohnort der Drei verschleiert haben und ihnen seit dem Jahr 2009 Bahncards beschafft haben. Diese waren auf ihn und seine Frau ausgestellt, jedoch mit den Fotos von Zschäpe und Uwe Böhnhardt versehen.

    Scharfe Kritik am Akkreditierungsverfahren kam auch von Journalistenverbänden: Die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen und Journalisten Union (dju), Cornelia Haß, sprach von einem „größtmöglichen kommunikativen und politischen Unfall mit vorheriger Ansage“. Nach den Pannen bei den Ermittlungen gegen den NSU dürfe sich Deutschland hier nicht ein weiteres Mal blamieren, sondern müsse den Weg freimachen für eine lückenlose und freie Berichterstattung über den Prozess, forderte Haß.

    Türkische Journalisten meldeten sich zu spät

    Das Oberlandesgericht wies derlei Ansinnen zurück. Die Auswahl der Medienvertreter, die einen reservierten Sitzplatz bekommen, habe „nach objektiven und überprüfbaren Kriterien zu erfolgen“. Rechtlich zulässig seien nur zwei Verfahren: eine Berücksichtigung der Akkreditierungsgesuche in der Reihenfolge des Eingangs („Windhundverfahren“) oder das Los. Der Strafsenat habe sich in richterlicher Unabhängigkeit für das Windhundverfahren entschieden.

    Die Gesuche der türkischen Journalisten kamen um einige Stunden zu spät. Sie erhielten zwar Akkreditierungen, aber keine reservierten Sitzplätze. Damit haben sie nur die Möglichkeit, sich mit den normalen Zuschauern anzustellen oder auf nicht genutzte Plätze anderer Journalisten zu hoffen.

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