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NSU-Prozess: "Die Schwarze, die Hitler sein wollte": So berichtet das Ausland

NSU-Prozess

"Die Schwarze, die Hitler sein wollte": So berichtet das Ausland

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    Beate Zschäpe steht auch im Ausland im Fokus der Berichterstattung über den NSU-Prozess.
    Beate Zschäpe steht auch im Ausland im Fokus der Berichterstattung über den NSU-Prozess. Foto: Christof Stache, afp

    Türkische Medien schauen beim NSU-Prozess ganz genau hin: Das Verhalten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe sorgt dort für Aufregung. Aber auch in anderen Ländern stößt das Münchner Verfahren um die Neonazi-Morde an acht türkischstämmigen Männern und einem griechischen Migranten auf großes Interesse. Journalisten fragen nach der Rolle der Sicherheitsbehörden und stellen den Umgang Deutschlands mit dem Rechtsextremismus auf den Prüfstand. Ein Überblick nach den ersten Prozesstagen:

    TÜRKEI: "Wieder Show der Nazi-Braut", schrieb die türkische Tageszeitung Hürriyet schon nach dem zweiten Verhandlungstag im NSU-Prozess. Viele Medien beschäftigt weiterhin das Auftreten der Angeklagten Zschäpe, das als selbstbewusst und arrogant beschrieben wird. Zeitungen schlagen den Bogen zu einer grundsätzlichen Benachteiligung von Türken in Deutschland: Dass Zschäpe ohne Handschellen im Münchner Gerichtssaal sitzt, türkischstämmige Angeklagte im Prozess um die tödliche Prügelattacke auf dem Berliner Alexanderplatz aber hinter einer Glasscheibe, passt in dieses Bild. "Für Türken so, für Deutsche so", urteilte eine Zeitung. Von den Titelseiten ist der Prozess inzwischen aber meist verschwunden.

    GRIECHENLAND: Die griechischen Zeitungen berichteten - obwohl ein NSU-Opfer griechischstämmig war - eher auf den mittleren Seiten über den "historischen Prozess" (Ta Nea). Ethnos analysierte: "Der Fall hat das Problem des Neonazismus in Deutschland ans Tageslicht gebracht. Die Behörden hatten es jahrelang unterschätzt oder ignoriert. Beate Zschäpe, das "Phantom", erschien gelassen und schien manchmal sogar zu lächeln."

    Nüchterne Einschätzungen in Frankreich un Großbritannien

    FRANKREICH: Der Auftakt zu "einem der größten politischen Prozesse im Nachkriegsdeutschland" (Libération) wurde aufmerksam beobachtet. Viele Medien räumten ihren Korrespondenten Platz ein für Berichte aus München oder Reportagen über Rechtsextremismus in Deutschland. "Nach Studien ist Fremdenfeindlichkeit tief verankert in der deutschen Öffentlichkeit", schrieb der konservative Le Figaro. "Das NSU-Mördertrio zeigt, dass die extreme Rechte in der Lage ist zu organisierten kriminellen Aktivitäten." Für Les Echos wurde beim Streit über die Platzvergabe für Journalisten deutlich, wie "das Gericht - und vielleicht die Gesellschaft - die Aufmerksamkeit für die Neonazi-Problematik in Deutschland unterschätzt".

    GROSSBRITANNIEN: Die als aggressiv bekannte britische Presse geht auffallend nüchtern mit der pikanten Materie um. Neben der Schuldfrage stellen die Kommentatoren vor allem die Frage nach der Rolle des Staates und seiner Behörden. "Es gibt ein Gefühl in Deutschland, dass die Behörden die Morde nicht ernst genommen haben, weil die Opfer Ausländer waren, und dass das ganze Land blind war für die Gefahr von Neonazis", schrieb etwa die Daily Mail. Der Guardian kommentierte: "Auf der Anklagebank sitzen nicht nur Zschäpe und ihre Komplizen, sondern auch die deutschen Sicherheitsdienste, die die Verbindung nicht sahen zwischen den Morden und der Szene am rechten Rand."

    US-Medien nüchtern, Italien gewohnt polemisch

    Was nach dem NSU-Desaster geschah

    Nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) im November 2011 begann in Deutschland eine mühsame politische Aufarbeitung der Geschehnisse. Nach und nach kamen Detail s zu den Verbrechen ans Licht - und die haarsträubenden Pannen bei der Aufklärung.

    13. November 2011: Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe.

    16. Dezember 2011: Als Folge der Ermittlungspannen im Fall NSU wird das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eröffnet. Dort sollen sich die Sicherheitsbehörden ständig über Gefahren aus der rechten Szene austauschen.

    27. Januar 2012: Im Bundestag nimmt ein Untersuchungsausschuss zum Fall NSU seine Arbeit auf.

    16. Februar 2012: Auch im Landtag von Erfurt startet ein Untersuchungsausschuss, weil das NSU-Trio aus Thüringen stammte.

    17. April 2012: Ein Untersuchungsausschuss im Dresdner Landtag macht sich an die Aufarbeitung - in Sachsen war das Trio jahrelang untergetaucht.

    2. Juli 2012: Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, bittet nach den Pannen bei der Aufklärung der NSU-Morde um seine Entlassung.

    3. Juli 2012: Auch Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Thomas Sippel muss sein Amt aufgeben.

    5. Juli 2012: Ein weiterer Untersuchungsausschuss geht im Landtag in München an die Arbeit - in Bayern hatten die NSU-Terroristen die meisten Morde begangen.

    11. Juli 2012: Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos tritt zurück.

    13. September 2012: Die Pannen rund um die NSU-Morde zwingen auch Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz-Chef Volker Limburg aus dem Amt.

    19. September 2012: Eine neue Neonazi-Datei geht in Betrieb. Die Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern sammeln darin Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten und deren Hintermänner.

    8. November 2012: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.

    14. November 2012: Berlins Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid tritt von ihrem Posten zurück.

    7. Dezember 2012: Die Innenminister von Bund und Ländern einigen sich auf Reformen beim Verfassungsschutz: Dazu gehören eine zentrale Datei für Informanten des Inlands-Geheimdienstes und einheitliche Kriterien zur Führung dieser V-Leute. Der Informationsaustausch der Ämter in Bund und Ländern soll besser werden.

    14. Dezember 2012: Der Schock über die NSU-Verbrechen hat die Debatte über ein NPD-Verbot neu entfacht. Die Länder preschen vor und beschließen im Bundesrat, vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei einzuleiten.

    20. März 2013: Das Bundeskabinett entscheidet sich dagegen, einen eigenen Verbotsantrag gegen die NPD zu stellen.

    März 2013: Das Oberlandesgericht München steht wenige Wochen vor Prozessbeginn in der Kritik: Das Gericht hatte die Presseplätze nach dem Windhund-Prinzip vergeben. Alle türkischen und griechischen Medien gingen leer aus.

    4. April 2013: Eklat um den NSU-Prozess: Die türkische Zeitung "Sabah" reicht eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

    13. April 2013: Die Verfassungsschützer ordnen an, mindestens drei weitere Plätze für ausländische Medien zu schaffen. Das OLG verschiebt den Prozess daraufhin auf den 6. Mai - die Plätze werden im Losverfahren neu vergeben.

    USA: Die Reaktionen auf den Fall sind eher nüchtern und distanziert. Die New York Times bezeichnete das Verfahren als "Test der Fähigkeit der Deutschen, mit ihrer modernen multikulturellen Identität zurechtzukommen". Die Verzögerung des Prozesses und vorherige Pannen seien im Ausland als Schaden für den Ruf des deutschen Sicherheitsapparates wahrgenommen worden. Die Nachrichtenseite Christian Science Monitor wunderte sich, wie eine mordende Neonazi-Zelle über viele Jahre unentdeckt bleiben konnte, während damals die Linksextremisten der RAF so schnell und hart verfolgt worden seien: "Selbst wenn die deutschen Behörden nicht mit den Neonazis konspiriert haben, die Vorwürfe des institutionellen Rassismus und der Nachlässigkeit bleiben bestehen."

    ITALIEN: Vor allem Zschäpes Auftritt stand im Fokus der Berichterstattung, die sich eher auf den hinteren Seiten der Zeitungen fand. "Prozess gegen Beate "die Schwarze", die Hitler sein wollte", schrieb La Repubblica. Zschäpe habe "die Eleganz des kalten Führers" und wende "den Eltern der Opfer aus Verachtung den Rücken" zu. Für den Corriere della Sera geht der NSU-Prozess über die Angeklagten hinaus: "In einem gewissen Sinn urteilt Deutschland auch über sich selbst, für all das, was von 2000 bis 2007 nicht getan wurde und den Mördern erlaubt hat, ihren verrückten Plan in die Tat umzusetzen", kommentierte das Blatt. Nach dem Beginn spielte der Prozess in den italienischen Medien keine Rolle mehr.

    Kaum Beachtung in Polen und Israel

    POLEN: Der NSU-Prozess spielt in den Medien bisher keine herausragende Rolle. Lediglich die linksliberale Gazeta Wyborcza kritisierte zum Prozessauftakt die lasche Haltung deutscher Behörden und Ermittler bei der Aufklärung der Morde. Im NSU-Prozess sitze Deutschland mit auf der Anklagebank, weil die Gefahr durch rechtsextreme Terroristen jahrelang heruntergespielt worden sei. Besonders bezieht sich die Zeitung auf die Passivität der Polizei etwa bei den ausländerfeindlichen Krawallen in Rostock und anderen ostdeutschen Städten vor 20 Jahren - das habe möglicherweise auch die Basis für das Selbstverständnis der NSU-Täter gelegt, straffrei Ausländer angreifen zu können.

    ISRAEL: Der NSU-Prozess löste bisher keine größere Aufmerksamkeit aus. Die Medien berichteten zwar von Anfang an über die Taten der Gruppe, die Ermittlungen, die Reaktionen in Deutschland und den nun begonnenen Prozess. Allerdings wurden überwiegend nur Texte internationaler Nachrichtenagenturen abgedruckt. Berichte eigener Korrespondenten oder Kommentare gab es kaum. Auch wurden keine Bezüge zwischen der Ermordung von Ausländern durch die NSU-Zelle und Holocaust oder Nazi-Diktatur hergestellt.

    Große Aufmerksamkeit in Spanien

    SPANIEN: Viele Zeitungen nahmen zum Prozess-Auftakt Fotos der Hauptangeklagten auf ihre Titelseiten. Die großen überregionalen Blätter widmeten dem Thema eine oder zwei Seiten. Ein Kommentar-Thema war der Prozess in Spanien allerdings nicht. Nach dem Beginn am 6. Mai ging das Interesse stark zurück.El País berichtete in einer Reportage, dass türkische Prozessbesucher an der Gelassenheit und Selbstgefälligkeit der Angeklagten Anstoß nahmen.

    NORWEGEN: In Oslo erinnerte die Zeitung VG daran, dass der rechtsextreme norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik aus der Haft seine "liebe Schwester Beate" per Brief aufgefordert hatte, den Münchner Gerichtssaal als  politische Bühne für Propaganda zu nutzen. Der in Hamburg lebende norwegische Schriftsteller Ingvar Ambjørnsen nannte  in einem vom Sender NRK veröffentlichten Kommentar die Mordserie der NSU-Rechtsextremisten einen "deutschen Schandfleck". Nach den skandalösen Fahndungspannen müsse man auch die "Lotterie um Presseplätze" (im Gerichtssaal) scharf kritisieren.

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