Die neue Woche könnte für den Prozess um die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) einen Durchbruch bringen. Seit ihrer Festnahme am 8. November 2011 schweigt Beate Zschäpe, die einzige Überlebende des NSU-Trios. Auch während der bisher zweieinhalb Jahre, die der Prozess gegen sie läuft, sagte die Angeklagte kein Wort. Das soll sich nun ändern.
Beate Zschäpe will nicht selbst sprechen
Selber reden will sie zwar nicht, aber ihr Anwalt Mathias Grasel hat angekündigt, er werde eine Aussage für sie verlesen. Das werde etwa eine bis eineinhalb Stunden dauern. Anschließend wird zunächst das Gericht Fragen stellen. Grasel hatte schon an einem früheren Prozesstag angekündigt, dass Fragen beantwortet würden, aber offen gelassen, ob von Zschäpe oder von ihm. Keine Auskunft will Grasel darüber geben, ob Zschäpe auch Fragen anderer Prozessbeteiligter beantworten wird. Üblicherweise haben auch die Bundesanwaltschaft, die Anwälte der NSU-Opfer und die vier Mitangeklagten in dem Prozess Fragerecht.
Zschäpes Aussage war schon einmal Anfang November geplant gewesen. Dazu kam es aber nicht, weil der wegen Beihilfe zum Mord angeklagte Ralf Wohlleben einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht stellte. Außerdem forderten die drei ursprünglichen Verteidiger Zschäpes, Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, erneut ihre Abberufung aus ihren Pflichtmandaten. Das Gericht unterbrach die Verhandlung für mehrere Tage. Vergangene Woche fielen die geplanten Sitzungstage zudem wegen Krankheit eines Richters aus. Mittlerweile sind Befangenheits- und Entpflichtungsanträge vom Tisch. Neue Hinderungsgründe für Zschäpes Aussage sind nicht absehbar.
Was die kommende Woche im NSU-Prozess bringt
Geplant sind in der kommenden Woche wie üblich drei Verhandlungstage – am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Grasel sagt, es liege am Gericht, wann er für Zschäpes Aussage das Wort erhalte. Spätestens am Mittwoch sollte es so weit sein. Für diesen Tag wie auch für Donnerstag hat das Münchner Oberlandesgericht keine Zeugen geladen. Möglicherweise gibt es Zschäpes Erklärung auch schon im Laufe des Dienstags. Da hat das Gericht für den Vormittag zwar einen Kripo-Ermittler als Zeugen geladen. Dessen Vernehmung könnte aber nach kurzer Zeit beendet sein.
Das ist Beate Zschäpe
Beate Zschäpe wurde am 2. Januar 1975 in Jena geboren. Dem Hauptschulabschluss folgte eine Ausbildung als Gärtnerin.
Von Mitte 1992 bis Herbst 1997 ging Beate Zschäpe einer Arbeit nach, zweimal unterbrochen von Arbeitslosigkeit. So steht es in einem Bericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer für die Thüringer Landesregierung. «Ihre Hauptbezugsperson in der Familie war die Großmutter», heißt es weiter.
Mit dem Gesetz kam Zschäpe erstmals als 17-Jährige in Konflikt. Der Schäfer-Bericht vermerkt 1992 mehrere Ladendiebstähle. 1995 wurde sie vom Amtsgericht Jena wegen «Diebstahls geringwertiger Sachen» zu einer Geldstrafe verurteilt.
Zu der Zeit war sie aber häufiger Gast im Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla, bald an der Seite des Rechtsextremen Mundlos. Über das ungewöhnliche Dreiecksverhältnis zwischen ihr, Mundlos und Böhnhardt ist viel spekuliert worden.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten sich zu der Zeit an Neonazi-Aufmärschen im ganzen Land.
Im Alter von 23 Jahren verschwand die junge Frau mit den beiden Männern aus Jena von der Bildfläche. Zuvor hatte die Polizei ihre Bombenbauerwerkstatt in der Thüringer Universitätsstadt entdeckt.
Danach agierte Zschäpe mit einer Handvoll Aliasnamen: Sie nannte sich unter anderem Silvia, Lisa Pohl, Mandy S. oder Susann D. Zeugen beschrieben sie als freundlich, kontaktfreudig und kinderlieb. Bei Diskussionen in der Szene soll sie jedoch die radikaleren Positionen ihrer beiden Kumpane unterstützt haben.
Nach der Explosion in Zwickau am 4. November 2011 war Zschäpe mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Sie verschickte auch die NSU-Videos mit dem menschenverachtenden Paulchen-Panther-Bildern. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena.
Im Prozess schwieg Zschäpe lange Zeit. An Verhandlungstag 211, im Juni 2015, antwortete sie dem Richter ein erstes Mal, und zwar auf die Frage, ob sie überhaupt bei der Sache sei.
Zu den Vorwürfen äußerte sich Zschäpe erstmal im September 2015. Ihr Verteidiger las das 53-seitige Dokument vor, in dem Zschäpe ihre Beteiligung an den Morden und ihre Mitgliedschaft im NSU bestritt. Lediglich die Brandstiftung in der letzten Fluchtwohnung des Trios gestand sie.
Ein psychologisches Gutachten aus dem Januar 2017 beschreibt Zschäpe als "voll schuldfähig".
Gänzlich offen ist, was Zschäpe preisgeben könnte. Sie und Grasels Kanzlei sollen seit Monaten an der Aussage arbeiten. Zu hören ist auch, dass diese seit Wochen fertiggestellt und schriftlich fixiert sein soll. Über den Inhalt gibt es aber nur sehr vage und unbestätigte Informationen. Die selben Quellen hatten vorher allerdings schon zutreffend vorausgesagt, Zschäpe werde ihr Schweigen brechen.
Wird Zschäpe also tatsächlich – wie es heißt – sagen, wo sie sich in den vier Tagen zwischen dem Auffliegen des NSU und ihrer Festnahme aufgehalten hat? Plant sie wirklich, bisher unbekannte Einzelheiten zu einigen der laut Anklage rechtsterroristischen Morde an neun Kleinunternehmern ausländischer Herkunft und der Polizistin Michele Kiesewetter zu enthüllen? Und – Gipfel der Spannung – ist es richtig, dass sie auch Verstrickungen zu Geheimdiensten offenlegen will?
Die Anklage legt dem NSU zehn rechtsterroristische Morde von 2000 bis 2007 zur Last: an neun Kleinunternehmern ausländischer Herkunft und an der Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn. Hinzu kommen zwei Sprengstoffanschläge. Die Folgen der Zschäpe-Aussage für den weiteren Verlauf des Prozesses sind noch nicht abzusehen. Bislang hat das Gericht sämtliche Anklagepunkte im Wesentlichen abgearbeitet. Die Morde und Anschläge gelten als mehr oder weniger aufgeklärt.
Wird auch Ralf Wohlleben sein Schweigen brechen?
Sollte Zschäpe allerdings bisherige Erkenntnisse erschüttern, könnte das Gericht Teile der Beweisaufnahme wiederholen müssen. Der Prozess könnte sich dann noch längere Zeit hinziehen, zumal ein weiterer Angeklagter jetzt ebenfalls sein Schweigen brechen will: der mutmaßliche Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben. Christoph Lemmer, dpa