Zahlreiche Anträge und heftige Wortwechsel haben den NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München am Mittwoch erneut verzögert.
Die Anwälte von Beate Zschäpe haben zudem erneut beantragt, die Hauptverhandlung auszusetzen. Damit solle der Verteidigung ermöglicht werden, weitere Akten aus den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen einzusehen. Die umfassende Kenntnis der Protokolle über Zeugenvernehmungen sei für die Verteidigung unverzichtbar. Nur so könnten ihre Rechte "sinnvoll und effektiv ausgeübt werden", sagte Verteidiger Wolfgang Heer am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht München.
Zschäpes Anwälte wollen das Verfahren wieder aussetzen lassen
Die Verteidiger hätten umfangreiche Protokolle aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestags erst zu spät erhalten. Als vertraulich eingestufte Protokolle aus den Landtagen bekamen sie zum Teil gar nicht oder nur unter Auflagen. Überdies habe die Bundesanwaltschaft nur unvollständig Akteneinsicht gewährt. Heer forderte eine Aussetzung des Verfahrens auf unbestimmte Zeit, mindestens aber eine Unterbrechung für drei Wochen. In einem weiteren Antrag verlangte der Verteidiger, die gesamte Hauptverhandlung auf Bild- und Tonträger aufzuzeichnen.
Heer beantragte auch, Bundesanwalt Herbert Diemer und Oberstaatsanwältin Anett Greger als Sitzungsvertreter abzulösen. Bei beiden bestehe die Besorgnis, dass sie Zschäpe "nicht mit der gebotenen Unparteilichkeit und Neutralität gegenüberstehen". Ein Recht auf Ablehnung der Vertreter der Staatsanwaltschaft wegen Besorgnis der Befangenheit ist allerdings in der Rechtsprechung bislang nicht anerkannt. Deshalb, so Heer, solle das Gericht bei der Bundesanwaltschaft auf eine Ablösung hinwirken.
In dem Verfahren um die Verbrechen der Neonazi-Terrorzelle forderte die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben wegen einer angeblichen "medialen Vorverurteilung" die Einstellung des Prozesses gegen ihren Mandanten. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe sei von den Medien als "Nazi-Braut", der Mitangeklagte Wohlleben als "Terrorhelfer" bezeichnet worden.
Wohlleben wird vorgeworfen, eine "Ceska" besorgt zu haben
Wohlleben, ein früherer Funktionär der rechtsextremen NPD, soll unter anderem die Pistole Marke "Ceska" besorgt haben, mit der Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) neun türkisch- und griechischstämmige Kleinunternehmer erschossen haben sollen. Er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.
Ein faires Verfahren sei nicht mehr möglich, sagte Anwältin Nicole Schneiders. Die als Szene-Anwältin geltende Verteidigerin warf Medien Stimmungsmache gegen ihren Mandanten vor und kritisierte, auch staatliche Stellen betrachteten die NSU-Mordserie als Tatsache. Als Beispiele nannte sie Trauer- und Gedenkfeiern für Opfer von Neonazi-Terror und die Benennung von Straßen nach Opfern, ohne darauf hinzuweisen, dass die Schuld des NSU nicht nachgewiesen sei. Auch Entschädigungszahlungen an die Opfer sind für das Ex-NPD-Mitglied Schneiders eine Art Vorverurteilung.
Opfer-Anwalt Thomas Bliwier sprach von "heißer Luft"
"Das ist einfach nur Stimmungsmache und nicht mehr", entgegnete Opfer-Anwalt Thomas Bliwier und sprach von "heißer Luft". Schneiders habe mit keinem Wort dargelegt, warum das Gericht von der Berichterstattung beeinflusst sei. Bliwier forderte sie auf, die Hauptverhandlung nicht für "Presseerklärungen und allgemeine Statements" zu missbrauchen. Das habe in einem Gerichtssaal nichts zu suchen. "Das kann man auf einer Pressekonferenz machen."
Die juristische Aufarbeitung der NSU-Morde
Der Prozess: Er begann im Mai 2013 vor dem Oberlandesgericht München und kann, so wird geschätzt, bis zu zweieinhalb Jahre dauern.
Die Angeklagten: Auf der Anklagebank sitzen die 38-jährige, in Jena geborene mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe sowie vier Helfer der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).
Die Anklage: Dem NSU werden zehn Morde in den Jahren 2000 bis 2007 angelastet. Acht der Opfer waren türkischer Abstammung, ein Mann war Grieche.
Letztes Opfer war die Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter.
Alle wurden kaltblütig erschossen, aus nächster Nähe. Hinzu kamen zwei Sprengstoffanschläge mit 23 Verletzten.
Die mutmaßlichen Täter und NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich kurz vor ihrer Festnahme töteten, entkamen immer unerkannt.
Beate Zschäpe, so die Anklage, soll Mitglied der Terrorgruppe gewesen sein.
Das Gericht: Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts wird auch Staatsschutzsenat genannt. Er ist mit fünf Berufsrichtern besetzt.
Der Senat ist zuständig bei Anklagen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Offenbarung von Staatsgeheimnissen.
2012 hatte er zum Beispiel einen Freispruch gegen einen Journalisten aufgehoben, der den Schauspieler Ottfried Fischer mit einem Sex-Video zu einem Interview genötigt haben soll.
Außerdem werden dort sämtliche Terrorprozesse in Bayern verhandelt. Der Strafsenat verhandelt auch Revisionsverfahren.
Der Vorsitzende: Richter Manfred Götzl hat seine Karriere 1983 als Staatsanwalt begonnen. Er ist dafür bekannt, dass er sich strikt, fast bürokratisch an Regeln hält.
In sieben Jahren als Schwurgerichtsvorsitzender kassierte der Bundesgerichtshof nur ein einziges seiner Urteile.
Nebenkläger: Das Gericht hat 71 Nebenkläger eingeplant, darunter vor allem Angehörige der Mordopfer. (dpa/AZ)
Bliwier sieht in den Anträgen auch eine Verzögerungstaktik. "Der Aussetzungsantrag ist sehr durchsichtig, man will hier weiter das Verfahren verzögern", sagte er zu einem Antrag, in dem die Verteidigung Zeit zum Aktenstudium verlangte. Anwalt Sebastian Scharmer, der die Tochter des ermordeten Mehmet Kubasik vertritt, sagte: "Das nimmt langsam etwas groteske Züge an. Wir würden gern einfach in der Sache vorankommen."
Stimmung beim NSU-Prozess war spannungsgeladen
Die Stimmung im Gerichtssaal war erneut spannungsgeladen. Vor allem Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer lieferte sich zähe Wortgefechte mit dem Vorsitzenden Manfred Götzl. Er beklagte beispielsweise, dass er nicht zuerst das Wort erteilt bekommen habe - und dass Prozessbeteiligte lachten, wenn er sprach. "Lachen ist ein Reflex", entgegnete die Bundesanwaltschaft. Heers Kollege Wolfgang Stahl zog daraufhin aus Protest seine Robe aus und verließ des Saal. Drei Minuten später war er wieder da.
Zwischenzeitlich hieß es, der Zwillingsbruder des Angeklagten André E. sei aus dem Zuschauerbereich verwiesen worden. Eine OLG-Sprecherin sagte aber, es habe nichts Derartiges gegeben. "Es kann sein, dass er aus persönlichen Gründen weg musste."
Am Rande des Verfahrens sorgten Überlegungen des Gerichts zur Abtrennung des Kölner Nagelbombenanschlags für kontroverse Diskussionen. "Das wäre ein ganz falsches Signal", sagte Opfer-Anwältin Sabine Singer. Die Betroffenen müssten weiter auf einen Prozess warten - und am Ende drohe die Einstellung.
Die Ombudsfrau der Bundesregierung, Barbara John, hält eine Abtrennung hingegen angesichts der großen Zahl der Nebenkläger nicht für falsch. Gerade im Zusammenhang mit dem Anschlag könnten sich zusätzliche Nebenkläger melden - schon jetzt sind insgesamt 86 zugelassen.
Noch nicht zur Sprache kam der Antrag eines Opferanwalts, das Kruzifix im Gerichtssaal abzuhängen, da es seinen Mandanten in seinem Recht auf Religionsfreiheit verletzte. Der Antrag müsse vor einer Entscheidung in der Hauptverhandlung thematisiert werden, sagte die Sprecherin. "Die Verfahrensbeteiligten müssen Gelegenheit zur Stellungnahme haben." dpa/lby/AZ