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München: Weg zur Normalität ist nach Amoklauf in München schwer

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Weg zur Normalität ist nach Amoklauf in München schwer

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    Blumen wurden in Gedenken an die Opfer vor dem Olympia-Einkaufszentrum in München im vergangenen Juli abgelegt.
    Blumen wurden in Gedenken an die Opfer vor dem Olympia-Einkaufszentrum in München im vergangenen Juli abgelegt. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa (Symbolfoto)

    Die Teddys sehen aus wie kleine Schneemänner. Plastikblumen, Fotos, abgebrannte Kerzen und Abschiedsbriefe sind unter der Schneedecke verschwunden: Ein halbes Jahr nach dem Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München halten trotz der klirrenden Kälte Menschen an dem provisorischen Gedenkort inne. Hier erschoss ein 18-Jähriger am 22. Juli neun Menschen und sich selbst. Viele weitere wurden verletzt, manche traumatisiert - und eine ganze Stadt für viele Stunden in einen Ausnahmezustand versetzt.

    Motiv des jugendlichen Amokläufers vermutlich: Er fühlte sich von Mitschülern gemobbt. Fast 60 Mal feuerte er, ehe er sich selbst richtete. Die Ermittler fanden 57 Patronenhülsen, die der Tatwaffe zugeordnet werden konnten.

    Amokläufer wollte sogar Bekannte anlocken

    In einer McDonald's-Filiale gegenüber des Einkaufszentrums schoss er zuerst auf die vorwiegend jungen Gäste. Allein hier gab es fünf Tote. Er hatte zuvor sogar versucht, über Facebook mit einer Einladung Bekannte anzulocken - die aber nicht kamen.

    In dem Restaurant, nach der Tat mit dunklen Sichtschutz abgesperrt, ist drinnen nichts mehr wie vorher. Es bekam von McDonald's ein neues Design. "Für uns war klar, dass wir in keinem Fall das

    McDonald's habe sich zugleich jedoch ganz bewusst entschieden, das Restaurant weiterzuführen. "Für uns war die Wiedereröffnung ein wichtiger Schritt, um den Weg zurück zur Normalität zu finden." Terror und Gewalt dürften nicht das Leben bestimmen. Sehr viele Mitarbeiter hätten ausdrücklich in der Filiale weiterarbeiten wollen, einige seien auf ihren Wunsch versetzt worden.

    Ein halbes Jahr später ist das Restaurant gut besucht. "Ja, man denkt daran", sagt einer der Gäste. Eine junge Angestellte guckt ratlos. Sie hat gerade hier angefangen. Was vor einem halben Jahr geschehen ist? Nein, davon hat sie nichts gehört.

    Im OEZ herrscht Alltagstrubel. Käufer strömen durch die Einkaufsmeile. Aber noch bei weitem nicht so viele wie früher, meinen viele. 30 Prozent weniger Besucher kämen auch jetzt noch, sagen die Chefin eines Zeitungsladens und auch der Inhaber eines Modeladens. "Alle haben Existenzangst", ruft der Obsthändler unweit der provisorischen Gedenkstätte wütend. Und das nur, "weil der Depp geschossen" und die Polizei ihn nicht gehindert habe.

    Offiziell bestätigen lassen sich die geschäftlichen Rückgänge nicht. "Es ist alles normal, seit November sind wir auf Vorjahresniveau", sagt Center-Manager Christoph von Oelhafen. Er beruft sich dabei auf Ergebnisse von Kundenzählanlagen, die im Schnitt täglich 33.000 bis 35.000 Besucher registrieren.

    Mehr Sicherheitskräfte im Münchner Olympia-Einkaufszentrum

    Die Betreiber haben in Zusammenarbeit mit der Polizei das Sicherheitskonzept auf den Prüfstand gestellt. "Wir haben unsere Sicherheitsabläufe überarbeitet und mit der Polizei abgestimmt, den Wachschutz aufgestockt", sagt von Oelhafen. Doppelt so viele Wachleute sind nun im OEZ unterwegs.

    Auch wenn ziemlich klar ist:  Auch sie hätten diese Bluttat nicht verhindern können. Ebenso wenig wie die Videokameras, deren Installation Innenminister Thomas de Maizière (CDU) auch in Einkaufszentren als Konsequenz aus dem Amoklauf und den Anschlägen rechtlich erleichtern und ausbauen will. 

    Mehr Angst und damit der Ruf nach mehr Kontrollen: Es müsse gleich an den Zugängen von Einkaufszentren mehr Kontrollen geben, sagt Nesrin Tok, die mit ihrem Mann neben dem OEZ ein Bekleidungsgeschäft führt. "Ich habe Freundinnen, die trauen sich nicht mehr ins OEZ."

    Amokläufe in Deutschland

    Saarbrücken: 25. Mai 1871. Als Erstes der sogenannten School Shootings gilt der Fall des Julius Becker. Er schoss auf zwei Mitschüler am Gymnasium in Saarbrücken. Zwei Wochen vor der Tat hatte er die Waffe gekauft. Nach der ersten Stunde schoss er ohne Vorwarnung dreimal auf den Kopf eines Mitschülers, traf außerdem einen zweiten Klassenkameraden.

    Haiger bei Dillenburg: 1924. Fritz Angerstein tötete zunächst seine Familie und Angestellte seines Hauses, verstümmelte sich im Anschluss selbst und brannte danach seine Villa nieder. Angerstein gab gegenüber der Polizei an, dass er in seiner Villa überfallen worden sei. Das stellte sich als gelogen heraus. Angerstein wurde zum Tode verurteilt und am Morgen des 17. Novembers 1925 hingerichtet.

    Amtsgericht Euskirchen: 9. März 1994. Der 39-jährige Erwin Mikolajczyk schoss in einem Gerichtssaal des Amtsgerichts Euskirchen um sich. Er reagierte damit darauf, dass sein Einspruch gegen eine Geldstrafe wegen Körperverletzung in Höhe von 7200 DM vom Gericht abgewiesen wurde. Anschließend zündete er eine Bombe. Sieben Menschen starben, acht weitere wurden teilweise schwer verletzt.

    Eching/Freising: 19. Februar 2002. Adam Labus kleidete sich in militärischer Tarnkleidung und fuhr mit dem Taxi zu der Dekorationsfirma, die ihm kurz vorher gekündigt hatte. Dort tötete er den 38-jährigen Betriebsleiter und einen 40-jährigen Vorarbeiter. Danach fuhr er mit demselben Taxi in seine Wirtschaftsschule in Freising. Er tötete den Schulleiter und verletzte einen Religionslehrer schwer. Schließlich tötete er sich selbst.

    Erfurt: 26. April 2002. Robert Steinhäuser erschoss am Vormittag des 26. April 2002 am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt elf Lehrer, eine Referendarin, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten. Anschließend tötete er sich selbst. Er war zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt.

    Emdstetten: 20. November 2006: Bastian B. verletzte in seiner ehemaligen Schule drei Jugendliche durch Schüsse. Der Hausmeister wird durch einen Bauchschuss schwer verletzt. Eine ihm folgende schwangere Lehrerin wurde von einem Rauchkörper getroffen und erlitt Gesichtsverletzungen. Der Täter verletzte drei weitere Schüler und zündete Nebelkerzen, die den Einsatz der Polizei erheblich erschwerten. Der Täter tötete sich schließlich durch einen Schuss in den Mund selbst.

    Winnenden: 11. März 2009. Am Vormittag des 11. März 2009 tötete Tim Kretschmer 15 Menschen - und anschließend sich selbst. Er wütete in seiner Realschule und in ihrer Umgebung in Winnenden, außerdem in Wendlingen am Neckar. Der 17-jährige Tim Kretschmer konnte erst nach mehrstündiger Flucht von der Polizei gestellt werden. Elf weitere Menschen wurden teils schwer verletzt.

    Ansbach: 17. Septembers 2009. Schüler Georg R. wütete mit einem Beil, zwei Messern und drei Molotowcocktails am Gymnasium Carolinum in Ansbach. Er schleuderte einen Brandsatz in zwei Klassenzimmer. Als die Schüler flohen, schlug der Täter mit dem Beil wahllos auf sie ein. Zwei Schülerinnen wurden schwer, sieben Schüler sowie eine Lehrerin leicht verletzt.

    Lörrach: September 2010. In der südbadischen Stadt Lörrach erschoss eine Anwältin und Sportschützin ihren von ihr getrennt lebenden Mann in ihrer Wohnung, erstickte den gemeinsamen Sohn und legte anschließend Feuer. Danach lief sie in ein gegenüberliegendes Krankenhaus und erschoss einen Pfleger. Die Polizei tötet schließlich die 41-Jährige.

    Heidelberg: August 2013. Drei Tote und fünf Verletzte forderte ein Streit bei einer Eigentümerversammlung in Dossenheim nahe Heidelberg. Nach einer Auseinandersetzung über die Nebenkostenabrechnung wurde der Mann des Raumes verwiesen. Er kam mit einer Pistole zurück und lief Amok. Der Sportschütze tötete dabei zwei Männer und verletzte fünf Menschen schwer. Dann erschoss er sich selbst.

    Düsseldorf: Februar 2014. Ein bewaffneter Mann lief im Raum Düsseldorf in zwei Anwaltskanzleien Amok. Er tötete drei Menschen und legte in beiden Kanzleien Feuer. Die Ermittler sind sich sicher, dass der 48-jährige Familienvater sich an seiner Ex-Chefin sowie an den Kanzleien in Düsseldorf und Erkrath rächen wollte. Der Amokläufer wurde schließlich am 23. September 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt.

    Ansbach: 10. Juli 2014: Ein Autofahrer erschoss bei seinem Amoklauf zwei Menschen, eine alte Frau und einen Radfahrer. Aus einem Auto heraus bedrohte der Schütze weitere Menschen und flüchtete. Die Polizei warnte vor dem Bewaffneten, es folgte eine Verfolgungsjagd. Kurz darauf Aufatmen: Der Mann wurde an einer Tankstelle gefasst. Außerdem sollen ein Landwirt und ein weiterer Autofahrer beschossen oder zumindest bedroht worden sein.

    München: 22. Juli 2016: Ein 18-jähriger Deutsch-Iraner schießt am Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) um sich. Er tötet neun Menschen, 27 weitere werden verletzt. Danach tötet sich der Schütze selbst. 2300 Sicherheitskräfte waren in München im Einsatz. (Stand 23.7.2016, 14.50 Uhr)

    In der Türkei gebe es Sicherheitsschleusen wie an Flughäfen. Das müsse doch auch in Deutschland möglich sein. "Wir sind in einem reichen Land." Ihr Mann Ömer Tok sorgt sich nach dem Amoklauf vor allem um die drei Kinder. "Die Schule hat überhaupt keine Kontrolle." 

    Terrorangst, geschürt durch islamistische Anschlage in Paris, Brüssel, Istanbul, aber auch bei Würzburg und Ansbach, hatte die Menschen kurz nach dem Amoklauf unter anderem auch am Stachus, dem Münchner Karlsplatz, in Panik versetzt. Sie rannten um ihr Leben, verletzten sich bei Stürzen oder sprangen gar auf der Flucht vor vermeintlichen Terroristen aus Fenstern. An gut 60 Orten in der Stadt meldeten die Menschen Attacken - die sich alle nicht bestätigten.

    Amokläufer von München suchte im Darknet nach Waffe

    Inzwischen geht die juristische Aufarbeitung weiter. Die Waffe soll sich der 18-Jährige im sogenannten Darknet, einem versteckten Teil des Internets, besorgt haben. Dort suchte er den Ermittlungen zufolge gezielt nach einer Glock-Pistole und 250 Schuss Munition.

    Die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen den mutmaßlichen Verkäufer. Der 31-Jährige war im August bei Marburg festgenommen worden. Ihm wird unter anderem fahrlässige Tötung in neun Fällen vorgeworfen. Das Verfahren könne "voraussichtlich innerhalb weniger Wochen" abgeschlossen werden, sagt die zuständige Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann.

    Vor dem OEZ stehen Menschen in der Kälte an der provisorischen Gedenkstätte vor verschneiten Plüschtieren. Im Sommer, zum Jahrestag des Amoklaufs, soll ein fester Gedenkort mit den Namen der Opfer entstehen. Ein Wettbewerb läuft, die Angehörigen sollen in die Planung einbezogen werden. Fest steht schon, dass ein Baum zu dem Gedenkort gehören soll. Er wird im Frühjahr gepflanzt. Sabine Dobel, dpa

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