Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

München: Vier Jahre NSU-Prozess: Wie geht es weiter vor Gericht?

München

Vier Jahre NSU-Prozess: Wie geht es weiter vor Gericht?

    • |
    Vier Jahre lang muss sich Beate Zschäpe schon vor Gericht verantworten.
    Vier Jahre lang muss sich Beate Zschäpe schon vor Gericht verantworten. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Seit vier Jahren steht Beate Zschäpe als Angeklagte vor dem Oberlandesgericht München. Das Verfahren sorgte weltweit für Schlagzeilen, der Prozess soll mehrere schwere Verbrechen aufklären: Eine Serie von neun Morden aus Fremdenhass, die Opfer durchweg selbstständige Kleinunternehmer, die als Händler, Schlüsseldienstbetreiber oder Imbiss-Gastronomen Geld verdienten und Steuern zahlten. Und der Mord an der Polizistin Michéle Kiesewetter in Heilbronn, zwei Sprengstoffanschläge in Köln und Dutzende Banküberfälle. Lesen Sie hier die wichtigsten Antworten zum Prozess:

    Wie lange dauert der NSU-Prozess noch?

    Die Beweisaufnahme ist im Grunde längst beendet. Anfang Dezember 2016 - auch schon wieder vor bald einem halben Jahr - erklärte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl, sein Programm sei abgearbeitet. Wer noch Anträge stellen wolle, möge das "konzentriert und zügig" tun - formuliert als Bitte. Inzwischen wurde aus der Bitte eine formelle Verfügung mit Frist am 17. Mai. Wer dann noch Beweise erheben wolle, müsse begründen, warum erst jetzt.

    Wie geht es nach der Beweisaufnahme vor dem OLG München weiter?

    Die Angeklagten im NSU-Prozess

    Das sind die Beschuldigten im Münchner NSU-Prozess:

    Beate Zschäpe: Sie tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

    Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 40-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen - er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Carsten S.: Der 35-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Er ist wie Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Andre E.: Der gelernte Maurer (35) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios und soll die mutmaßlichen Rechtsterroristen zusammen mit seiner Frau regelmäßig besucht haben. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Holger G.: Der 40-Jährige gehörte wie Wohlleben und die drei Untergetauchten zur Jenaer Kameradschaft. Er zog 1997 nach Niedersachsen um. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Auch G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Nach der Beweisaufnahme stehen die Plädoyers der Verteidigung sowie der Anklage an. Damit rücken auch die Urteile näher und damit die juristische Sühne für die angeklagten Verbrechen.

    Welche Informationen hat das Gericht im Prozess gesammelt?

    In den vergangen vier Jahren hat das Gericht nicht nur harte Beweise für sein Urteil gesammelt, sondern auch tiefe Einblicke in die rechtsradikale Subkultur gewonnen, in der sich das NSU-Trio bewegte - auch während der Zeit im Untergrund. Fast 14 Jahre hatten Beate Zschäpe und die beiden Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ihr Untergrundleben durchgehalten.

    Was macht den NSU-Prozess juristisch so aufwendig?

    In den ersten Prozessmonaten gab es immer wieder Konflikte um Beweisanträge vor allem von Nebenklägern, also den Anwälten von Opfern und Hinterbliebenen. Verteidiger und auch die Bundesanwaltschaft beanstandeten häufig Formulierungen oder Fragen an Zeugen als "nicht zur Sache gehörig" oder "Szenevoyeurismus". Anfänglich folgte das Gericht den Beanstandungen.

    Das änderte sich aber vor allem im Verlauf des Jahres 2014. Zum häufigen Missfallen der Verteidigung folgte das Gericht den Anträgen der Nebenkläger. Nach und nach offenbarte die Beweisaufnahme, dass das NSU-Trio keineswegs so abgeschottet und isoliert lebte, wie viele dachten. Auch die Präsenz von V-Leuten des Verfassungsschutzes im NSU-Umfeld wurde im Prozess deutlich. Einzelne Zeugen wurden vor Gericht als V-Leute enttarnt. Szene-Anführer berichteten, wie sie ihre Anhänger mit Konzerten bei Laune und mit Vorträgen auf Linie hielten - und gleichzeitig ihren V-Mann-Führern darüber berichteten und sich mit Geld aus der Staatskasse bezahlen ließen.

    Rechter Terror in Deutschland

    Rechtsextreme Gruppen terrorisieren immer wieder das Land...

    Laut einer Zählung des Terrorforschers Daniel Köhler verübten Rechtsradikale seit 1971 mehr als 2100 Brandanschläge und 229 Morde.

    Beispiele für Prozesse um Rechtsterrorismus sind...

    Im Mai 2005 verurteilt das Bayerische Oberste Landesgericht in München den Neonazi Martin Wiese zu sieben Jahren Haft. Als Anführer einer selbst ernannten "Schutzgruppe" hatte er einen Bombenanschlag auf die Einweihungsfeier des Jüdischen Zentrums in München geplant...

    ... Wiese und die drei mit ihm verurteilten Täter waren Mitglieder der rechtsextremen Vereinigung "Kameradschaft Süd".

    Seit Mai 2013 wird in München gegen Beate Zschäpe und mutmaßliche Unterstützer der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) verhandelt...

    ... Zschäpes Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sollen zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordet haben. Neun der Opfer waren türkisch- oder griechischstämmige Gewerbetreibende. Zudem soll der NSU mit zwei Sprengstoffanschlägen Dutzende Menschen verletzt haben.

    Im März 2018 wurden acht mutmaßliche Rechtsterroristen der "Gruppe Freital" vor dem Oberlandesgericht Dresden zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen unter anderem die Bildung einer terroristischen Vereinigung, versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung vor...

    ... Mit illegalen Sprengkörpern sollen sie Flüchtlingsunterkünfte und Einrichtungen von Linken attackiert haben.

    Was hat das Gericht über den NSU und die rechtsextreme Szene erfahren?

    Der Prozess ließ ein Bild des "Nationalsozialistischen Untergrunds" entstehen, von dem öffentlich vorher nichts bekannt war. Als der NSU am 4. November 2011 aufgeflogen war, hatten sich auch die Behörden überrascht gezeigt. In den Trümmern der Zwickauer Fluchtwohnung war die Pistole gefunden worden, mit der alle neun rassistisch motivierten Morde verübt worden waren. Schlagartig war die Serie, die als unheimliches Rätsel galt, aufgeklärt. Man habe nicht ahnen können, dass rechtsradikale Terroristen dahinter stecken, teilten die Innenministerien von Bund und Ländern mit. Eine Gruppe namens NSU sei unbekannt gewesen.

    Wie verzweigt rechtsradikale Subkultur und Unterstützerszene tatsächlich sind, hat der NSU-Prozess aufhellen, aber nicht restlos klären können. Erst gegen Ende lehnte das Gericht wieder mehrere Beweisanträge mit der Begründung ab, es sei nicht zu "überschießender Aufklärung" verpflichtet - also über die Anklage und die Vorwürfe gegen die fünf Angeklagten hinaus. 

    Gleichwohl entstand zwischenzeitlich immer wieder der Eindruck, das Verfahren ziehe sich unnötig lange hin. Der Vergleich mit dem Prozess gegen das rechtsextreme "Aktionsbüro Mittelrhein" in Koblenz rückt die Verhältnisse zurecht. Dort platzte vergangene Woche das Verfahren nach 337 Verhandlungstagen, die sich über fünf Jahre hingezogen hatten. In München, im NSU-Prozess, absolvierte das Gericht bisher 362 Verhandlungstage - in "nur" vier Jahren. dpa/AZ

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden