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München: Schlussphase im NSU-Prozess: Wohlleben kämpft, Zschäpe lacht

München

Schlussphase im NSU-Prozess: Wohlleben kämpft, Zschäpe lacht

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    In München: Beate Zschäpe ist im NSU-Prozess die Hauptangeklagte.
    In München: Beate Zschäpe ist im NSU-Prozess die Hauptangeklagte. Foto: Peter Kneffel/Archiv (dpa)

    Wann, wenn nicht jetzt? Die Beweisaufnahme im Münchner NSU-Prozess geht dem Ende zu, und zwei der Angeklagten müssen mit hohen Haftstrafen rechnen - Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben. Sie muss sich als mutmaßliche Mittäterin für die zehn Morde des terroristischen "Nationalsozialistischen Untergrund" verantworten, er als "steuernde Zentralfigur" im Hintergrund und mutmaßlicher Waffenbeschaffer. Beiden läuft die Zeit weg. 

    Zweieinhalb Jahre dauert jetzt die Beweisaufnahme, und inzwischen beschäftigt sich das Gericht mehr und mehr damit, letzte Anträge und Asservate abzuarbeiten. Wollen Zschäpe und Wohlleben harte Urteile abwenden, dann müssen sie die Richter jetzt überzeugen.

    Erstaunlich ist darum, dass sich beide Angeklagte und ihre Verteidiger ganz unterschiedlich verhalten. Zschäpe und ihr neuer Rechtsbeistand Mathias Grasel beteiligen sich praktisch gar nicht am Prozessgeschehen. Wohllebens Verteidigung dagegen kämpft. Seit einigen Wochen versuchen seine Anwälte immer nachdrücklicher, mit neuen Beweisanträgen und teils scharfen Auftritten die Vorwürfe gegen ihn zu zerstreuen. 

    Einer seiner Verteidiger, Olaf Klemke, hat sich inzwischen einen Ruf als bissiger und akribischer Jurist erworben. Die Zusammenarbeit mit seinen beiden Verteidigerkollegen klappt augenscheinlich reibungslos. Neben Klemke wird Wohlleben von Nicole Schneiders vertreten, die als Studentin der NPD angehörte, und von Wolfram Nahrath, der die Wiking-Jugend anführte und 2000 zum Vorsitzenden des parteiinternen NPD-Schiedsgerichts gewählt wurde. Ideologisch dürften Wohlleben und seine Anwälte ähnlich ticken.

    Beate Zschäpe muss nicht ihre Unschuld beweisen

    Was nach dem NSU-Desaster geschah

    Nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) im November 2011 begann in Deutschland eine mühsame politische Aufarbeitung der Geschehnisse. Nach und nach kamen Detail s zu den Verbrechen ans Licht - und die haarsträubenden Pannen bei der Aufklärung.

    13. November 2011: Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe.

    16. Dezember 2011: Als Folge der Ermittlungspannen im Fall NSU wird das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eröffnet. Dort sollen sich die Sicherheitsbehörden ständig über Gefahren aus der rechten Szene austauschen.

    27. Januar 2012: Im Bundestag nimmt ein Untersuchungsausschuss zum Fall NSU seine Arbeit auf.

    16. Februar 2012: Auch im Landtag von Erfurt startet ein Untersuchungsausschuss, weil das NSU-Trio aus Thüringen stammte.

    17. April 2012: Ein Untersuchungsausschuss im Dresdner Landtag macht sich an die Aufarbeitung - in Sachsen war das Trio jahrelang untergetaucht.

    2. Juli 2012: Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, bittet nach den Pannen bei der Aufklärung der NSU-Morde um seine Entlassung.

    3. Juli 2012: Auch Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Thomas Sippel muss sein Amt aufgeben.

    5. Juli 2012: Ein weiterer Untersuchungsausschuss geht im Landtag in München an die Arbeit - in Bayern hatten die NSU-Terroristen die meisten Morde begangen.

    11. Juli 2012: Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos tritt zurück.

    13. September 2012: Die Pannen rund um die NSU-Morde zwingen auch Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz-Chef Volker Limburg aus dem Amt.

    19. September 2012: Eine neue Neonazi-Datei geht in Betrieb. Die Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern sammeln darin Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten und deren Hintermänner.

    8. November 2012: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.

    14. November 2012: Berlins Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid tritt von ihrem Posten zurück.

    7. Dezember 2012: Die Innenminister von Bund und Ländern einigen sich auf Reformen beim Verfassungsschutz: Dazu gehören eine zentrale Datei für Informanten des Inlands-Geheimdienstes und einheitliche Kriterien zur Führung dieser V-Leute. Der Informationsaustausch der Ämter in Bund und Ländern soll besser werden.

    14. Dezember 2012: Der Schock über die NSU-Verbrechen hat die Debatte über ein NPD-Verbot neu entfacht. Die Länder preschen vor und beschließen im Bundesrat, vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei einzuleiten.

    20. März 2013: Das Bundeskabinett entscheidet sich dagegen, einen eigenen Verbotsantrag gegen die NPD zu stellen.

    März 2013: Das Oberlandesgericht München steht wenige Wochen vor Prozessbeginn in der Kritik: Das Gericht hatte die Presseplätze nach dem Windhund-Prinzip vergeben. Alle türkischen und griechischen Medien gingen leer aus.

    4. April 2013: Eklat um den NSU-Prozess: Die türkische Zeitung "Sabah" reicht eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

    13. April 2013: Die Verfassungsschützer ordnen an, mindestens drei weitere Plätze für ausländische Medien zu schaffen. Das OLG verschiebt den Prozess daraufhin auf den 6. Mai - die Plätze werden im Losverfahren neu vergeben.

    Hartnäckig versucht Wohllebens Verteidigung vor allem, den Vorwurf zu erschüttern, ihr Mandant habe die Mordwaffe des NSU beschafft. Aktuell versuchen Klemke und Schneiders, Angehörige der Jenaer Halb- und Unterwelt als mögliche Drahtzieher ins Spiel zu bringen - nicht ganz ohne Erfolg. In einer aktuellen Ergänzung der Prozessakte findet sich eine Zeugenaussage, laut der zur fraglichen Zeit in Jena kein einziger Waffendeal ohne Wissen einer Mischszene aus Nazis und gewöhnlichen Kriminellen stattgefunden habe, angeführt von einem polizeibekannten Brüderpaar. Wohlleben habe mit denen nichts zu tun gehabt. Wohllebens Verteidiger zwingen das Gericht immer wieder, sich auf neue Akten und neue Zeugen einzulassen.

    Ganz anders dagegen das Bild der Zschäpe-Verteidigung. Zschäpes ursprüngliche drei Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm halten eisen an ihrer Schweigestrategie fest. Der Gedanke dahinter: Nicht Zschäpe muss ihre Unschuld beweisen, sondern die Bundesanwaltschaft ihre Schuld.

    Gelegentlich greift meist Anwalt Stahl in die Vernehmung von Zeugen ein, wenn sich eine Chance bietet, einen Anklagevorwurf zu relativieren. Vergangene Woche sah man ihn freudig den Arm hochreißen. Da hatte das Gericht einen Beweisantrag abgelehnt, in dem es um den Kauf von Benzin ging. Ein Nebenkläger wollte beweisen, dass Zschäpe damit die Fluchtwohnung in Brand setzte. Das war am 4. November 2011, dem Tag, an dem der NSU aufflog, fast genau vor vier Jahren. Der Richter betonte, der Treibstoff habe auch beschafft werden können, um den Tank eines Autos zu füllen. Stahl bat sogleich um schriftliche Ausfertigung des Beschlusses. 

    Heer, Stahl und Sturm lauern auf solche Gelegenheiten, aber sie greifen nicht mit eigenen Anträgen ein. Mit Zschäpe, da sind sich die Beteiligten einig, stimmen sich die drei Anwälte nicht mehr ab. Die Angeklagte redet offensichtlich nur noch mit ihrem neuen Anwalt Grasel. Und sie zeigte sich während der letzten Prozesstage auffallend gut gelaunt. Immer wieder blätterte sie in Unterlagen, die Grasel ihr in einem roten Pappdeckel reichte. Das Gerücht, sie plane eine Aussage, hält sich hartnäckig, bestätigen lässt es sich bisher nicht.  Von Christoph Lemmer, dpa

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