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München: Einsamkeit und Angst vor Corona: Telefonseelsorger haben viel zu tun

München

Einsamkeit und Angst vor Corona: Telefonseelsorger haben viel zu tun

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    Die Telefonseelsorge verzeichnet seit dem Beginn der Coronakrise wesentlich mehr Anrufe. Viele Menschen treibt die Sorge um die Zukunft um.
    Die Telefonseelsorge verzeichnet seit dem Beginn der Coronakrise wesentlich mehr Anrufe. Viele Menschen treibt die Sorge um die Zukunft um.

    In Alten- und Pflegeheimen gilt striktes Besuchsverbot. Weil sie zur Risikogruppe bei Covid-19-Erkrankungen gehören, müssen Senioren ihr Sozialleben auf ein absolutes Minimum beschränken. Um sie vor Vereinsamung zu bewahren, hat der Münchner Verein Retla, der sich für ältere Menschen engagiert, die Aktion "Telefon-Engel" ins Leben gerufen. 

    Auch Prominente helfen in der Corona-Krise bei der Telefonseelsorge aus

    Mehr als 100 Freiwillige haben sich nach Angaben des Vereinsvorstands schon gemeldet, um Senioren, die jemanden zum Reden brauchen, beizustehen. Ziel sei es, dass Telefonpatenschaften entstehen, die über die aktuelle Corona-Krise hinaus bestehen bleiben. Auch die Schauspieler Elmar Wepper und Michaela May, Schirmherren von Retla, haben sich als "Telefon-Engel" registrieren lassen.

    Dass die weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens vor allem Menschen trifft, die an Einsamkeit oder psychischen Problemen leiden, bestätigen auch die kirchlichen Anbieter von Telefonseelsorge. "Bei unseren Anrufern spielt das Thema Corona immer häufiger eine Rolle", sagt Martha Eber, stellvertretende Leiterin der dpa-Anfrage. "Die Ängste im Zusammenhang mit dem Virus kommen zu den sonstigen Problemen, die viele unserer Anrufer haben, noch dazu."

    Angststörungen, Einsamkeit und auch familiäre Konflikte gehörten zu den häufigsten Anliegen, mit denen sich die Ratsuchenden an die Telefonseelsorge oder die Online-Beratung des ebz wandten, so Eber. Gerade für einsame Menschen sei die Telefonseelsorge ein niederschwelliges Angebot. Glücklicherweise steige ebenso die Zahl der Seelsorger, die sich um die Menschen kümmerten: "Auch unsere Ehrenamtlichen haben ja jetzt mehr Zeit. Wir können die Nachfrage decken." Die etwa 120 geschulten ehrenamtlichen Seelsorger beim ebz, die den Raum München und Südostbayern abdeckten, seien rund um die Uhr im Einsatz.

    Viele psychisch Kranke werden nicht mehr in Kliniken behandelt

    Von einer deutlichen Zunahme der Anrufzahlen seit dem Beginn der Corona-Krise berichtet auch Daniel Wagner, Pressesprecher der Diakonie Bayern: "Der Gesprächsbedarf steigt." Dabei gehe es den Menschen meist weniger um Fragen der konkreten Ansteckungsgefahr, so Wagner - eher sei bei vielen ein diffuses Bedrohungsgefühl, oft gepaart mit Einsamkeit, festzustellen: "Belastete Lebenssituationen, in denen sich die meisten unserer Anrufer befinden, werden durch das, was wir gerade erleben, noch verstärkt."

    Der Mensch sei eben ein soziales Wesen, sagt Wagner: "Und wenn wir uns nicht begegnen können und überall nur leergefegte Straßen sehen, dann geht es uns schlecht." Im Raum München sei die Zahl der Anrufer um etwa 50 Prozent gestiegen. Bei der Telefonseelsorge Würzburg/Main-Rhön hat sich die Zahl auch um knapp die Hälfte erhöht.  

    Auch Alexander Fischhold, Leiter der Telefonseelsorge beim Erzbistum München-Freising, macht sich Sorgen um Menschen in schwierigen Lebenslagen: "Viele psychisch Kranke stehen auf der Straße." Um Betten für Coronavirus-Patienten freizumachen, hätten Kliniken viele psychisch Erkrankte entlassen, die eigentlich noch behandlungsbedürftig seien: "Und die meisten Beratungsstellen sind im Moment auch zu." Fischhold befürchtet, dass die Suizidrate steige.

    Ältere fühlen sich an Kriegszeiten erinnert

    Auch das Erzbistum München-Freising bietet neben Telefonseelsorge Beratung per Chat oder E-Mail. Ein großes Thema, sagt Fischhold, seien auch familiäre Konflikte, die durch die Schulschließung aufgrund des Coronavirus entstanden seien: "Wenn man Homeoffice machen und gleichzeitig noch seinen drei Kindern bei den Hausaufgaben helfen muss, dann überfordert das viele." Ältere Anrufer fühlten sich durch die aktuelle Situation oft in schlimme Zeiten zurückversetzt: Hamsterkäufe, Schlangestehen in Geschäften - das erinnere manche an die Kriegszeit oder die DDR.

    Gleichzeitig lobt Fischhold das unermüdliche Engagement der ehrenamtlichen Kräfte, die einen Großteil der Telefonseelsorge übernähmen: "Dank ihnen sind wir weiterhin gut erreichbar."

    Inzwischen gibt es auch eine Krisenkompass-App der Telefonseelsorge, die die Verantwortlichen als "Notfallkoffer für die Hosentasche" bezeichnen. Sie enthält Tipps, Informationen und eine Tagebuchfunktion. Mit ihr kann man auch direkt Kontakt mit der Telefonseelsorge aufnehmen. (dpa/lby)

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