Starnberg (mide). Eine Gaststätte im Ortsteil Berg am Starnberger See. Draußen reihen sich die Villen zahlreicher Stars aneinander, drinnen wird zum Mittagstisch Kaninchenrückenfilet auf Steinpilzrisotto mit Portweinsauce und gelben Beeten offeriert. Harry Valérien, seit kurzem 85, Sport-Reporter-Legende, Moderator, Buchautor und Mitbegründer des "Aktuellen Sportstudios", bestellt Tee und eine Brezel, die es um diese Zeit im Lokal aber nicht gibt. Valérien wundert sich darüber - verzichtet aber heute darauf, lauthals "Sappradi" zu rufen.
Stört es Sie, dass Ihre Arbeit ab und an auf die Aussprüche "Sappradi" und "Bursch, pass auf" reduziert wird?
Valérien: Natürlich ist es eine Reduktion der vielfältigen Arbeit, die man eigentlich geleistet hat. Auf der anderen Seite sind die Begriffe zu unverwechselbaren Markenzeichen von mir geworden.
Moderieren oder kommentieren Sie ab und zu noch selbst Sportveranstaltungen?
Valérien: Nein, aber ich betreue einen jungen, talentierten Moderator. Wir diskutieren seine Berichterstattung und ich gebe Tipps.
Der Publizist und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki stieß kürzlich eine Debatte über die Qualität im deutschen Fernsehen an. Welches Zeugnis würden Sie der Sport-Berichterstattung im deutschen Fernsehen ausstellen und wie hoch darf der Anspruch überhaupt sein?
Valérien: Ich bin kein Kritikaster oder Besserwisser, Kritiker sind die Zuschauer oder Zuhörer - das Publikum entscheidet, wen es gut findet. Es muss aber darum gehen, Sport für diejenigen zu machen, die man gewinnen will - etwa Frauen, Jugendliche oder neu Interessierte.
Gibt es Situationen, in denen Sie sich denken: Das hätte ich besser oder wenigstens anders gemacht?
Valérien: Neulich habe ich im Radio das Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und England gehört. Die zwei Kommentatoren waren nicht schlecht, aber von Interpunktion, also der Zeichensetzung, hielten sie nicht viel. Eine kurze Atempause in Form eines Semikolons oder Gedankenstrichs hätte nicht geschadet. Ich war ja nicht gerade ein Langweiler, aber diese beiden hatten mir zu viel Feuer.
Hat sich das Medium Fernsehen seit Ihrem Abschied verändert?
Valérien: Die Quote hat immer schon eine große Rolle gespielt, aber in der heutigen Zeit steht sie häufig über der Qualität - leider. Stark verändert haben sich die Bilder. Wenn man sich Sendungen von früher ansieht, fragt man sich manchmal: Wurde das damals wirklich so gesendet?
Von Journalisten wird Objektivität und eine gewisse emotionale Distanz zum Gesprächspartner erwartet. Ist Ihnen das immer gelungen? Oder gab es Gäste, mit denen Sie befreundet waren und die Sie im TV kritisieren mussten?
Valérien: Franz Beckenbauer hat uns einmal in einem Interview als "geistige Nichtschwimmer" bezeichnet, weshalb ich ihn in ein Sportstudio eingeladen habe. Ich sagte: Franz, du musst kommen.
Wie hat er reagiert?
Valérien: Er kam. Wir haben uns nicht geduzt, dafür aber gefetzt - das war unglaublich deftig. Beckenbauer war mir dennoch lieber als manch anderer.
Sie sagten einmal, die Skifahrer Ingemar Stenmark und Gustav Thöni seien Ihre schwierigsten Gesprächspartner gewesen.
Valérien: Vor allem Gustav Thöni war eine ganz harte Nuss. Aber da gab es noch einige andere.
Zum Beispiel?
Valérien: Gerd Müller. Als ich ihn einladen wollte, hat mich die Redaktion darauf hingewiesen, dass ich mir mit dem Fußballer keinen Gefallen täte - der sagt nix, hieß es. Doch ich hatte eine Idee ¿
Welche?
Valérien: Ich habe seine Frau mit eingeladen. Ich wusste, dass sie gerne erzählt.
War sie überrascht?
Valérien: Nein. Es geht darum, seinem Gesprächspartner ein Wohlgefühl zu geben, dann ist die Ausgangssituation ungleich besser. Das war bei Gerd Müller der Fall. Und noch zwei Dinge sind wichtig: Niemand darf als Verlierer aus einem Interview herausgehen und man muss glaubwürdig sein; wer nicht glaubwürdig ist, dem bringt auch Intelligenz nichts mehr.
Gab es Personen, die der Einladung ins Sportstudio nicht gefolgt sind oder das Studio vorzeitig verlassen wollten?
Valérien: Fußball-Bundestrainer Helmut Schön zum Beispiel.
Warum?
Valérien: Ich habe ihm vor der Sendung gesagt, dass der Fußballer Paul Breitner auch da ist, worauf Schön sagte: Dann gehe ich!
Ist er gegangen?
Valérien: Ich habe Schön zugesagt, dass er als letzter Gast dran ist und somit die Chance hat, auf alles, was Breitner gesagt hat, nochmals einzugehen. Er blieb.
Sie betonen, dass Ihnen Auszeichnungen nicht wichtig seien. Gab es dennoch einen Preis, auf den Sie stolz waren?
Valérien: Das Wort stolz kommt in meinem Vokabular nicht vor. Stolz heißt für mich so viel wie: Ich hab¿ etwas Tolles gemacht - das mag ich nicht. Man kann ja auch sagen: Ich freue mich; natürlich habe ich mich über einige Preise sehr gefreut.