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Missbrauch in der Kirche: Wie die Kirchen Missbrauchsopfer verärgern

Religion

Wie die Kirchen Missbrauchsopfer verärgern

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    Missbrauchsbetroffene ringen teilweise jahrzehntelang mit der Kirche um Anerkennung ihres Leids oder Aufarbeitung ihres „Falls“.
    Missbrauchsbetroffene ringen teilweise jahrzehntelang mit der Kirche um Anerkennung ihres Leids oder Aufarbeitung ihres „Falls“. Foto: Andreas Arnold, dpa (Symbolfoto)

    Kerstin Claus erlebt seit vielen Jahren, wie die evangelische und katholische Kirche im Umgang mit Missbrauchsopfern versagen. Sie hat es selbst leidvoll erfahren müssen, als Betroffene, damals bei Passau. Aber auch als Mitglied des staatlich mandatierten Betroffenenrates beim Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung (UBSKM). In dieser Funktion begleitet sie Aufarbeitungsprozesse in beiden Kirchen. Was sie in den vergangenen Tagen erlebte, regt sie noch immer auf.

    Da sagte der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann: Es sei nicht hilfreich, wenn ein Betroffenenbeirat „mehrheitlich durch Aktivisten besetzt wäre“, die ihre Rolle darin sähen, „den Finger in die Wunde zu legen und dies politisch-öffentlich zu tun“.

    Evangelische Kirche setzt ihren Betroffenenbeirat aus

    Zuvor hatte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erklärt, ihren vor einem knappen halben Jahr gegründeten Betroffenenbeirat nach „internen Konflikten“ zunächst „auszusetzen“ und dessen Scheitern extern auswerten zu lassen – beides gegen den Willen von Mitgliedern des Gremiums. Diese kritisierten unter anderem eine fehlende klare Zielsetzung und dass sich der Betroffenenbeirat in die kirchlichen Hierarchien einordnen sollte.

    In beiden Kirchen wird beteuert, wie wichtig die Mitwirkung von Betroffenen bei Aufarbeitung und Prävention sei – in diesen Tagen zeigt sich, wie schwer sie sich damit tun. Und wie sie zur Zumutung für Betroffene werden, die trotz allem bereit sind, sich etwa in kirchlichen Aufarbeitungskommissionen oder Betroffenenbeiräten für strukturelle Verbesserungen einzusetzen.

    Kerstin Claus ist zu einer bitteren Erkenntnis gelangt: „Ich würde im Moment jedem abraten, sich für solche Gremien zur Verfügung zu stellen – wegen der Gefahr der Instrumentalisierung.“ Wenn man feststelle, instrumentalisiert worden zu sein, führe das zu einem Wiedererleben der Ohnmacht, die man einst gegenüber Missbrauchstätern verspürt habe, sagt sie. Dem könne eine Retraumatisierung folgen.

    Kerstin Claus wurde von einem evangelischen Pfarrer schwer sexuell missbraucht

    Kerstin Claus wurde 1969 in München geboren, seit 2004 lebt sie im Kreis Mainz-Bingen. Die langjährige ZDF-Redakteurin kandidierte kürzlich für die Grünen, der Einzug in den rheinland-pfälzischen Landtag gelang ihr allerdings nicht. Sie promoviert derzeit beim Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater Professor Jörg M. Fegert, einem Experten für das Thema sexuelle Gewalt.

    Als Kerstin Claus 14 war, vertraute sie sich einem evangelischen Pfarrer an, der sie schwer sexuell missbrauchte. Hin und wieder sucht sie im Netz nach seinem Namen. Obwohl er das meiste, das sie ihm vorwarf, einräumte, konnte er in Schwaben ein weitgehend normales Leben führen – auch in hervorgehobenen öffentlichen Positionen, in denen er für die Kirche tätig war. Mit Kindern und Jugendlichen hatte er weiterhin Kontakt. Ihm wurde lediglich auferlegt, sich bei Kerstin Claus zu entschuldigen und einen kleineren Betrag zu spenden. Sie befinde sich immer noch mit der evangelischen Landeskirche Bayerns im Gespräch über ihn und kämpfe für eine umfassende Aufklärung, sagt sie. Es ist ein Kampf, den Betroffene teils seit Jahrzehnten in ganz Deutschland führen.

    Kerstin Claus (rechts) auf einem Bild von 2019 - damals neben Kirsten Fehrs, der Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der Nordkirche.
    Kerstin Claus (rechts) auf einem Bild von 2019 - damals neben Kirsten Fehrs, der Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der Nordkirche. Foto: Hauke-christian Dittrich, dpa

    Kerstin Claus gehört zur Verhandlungsgruppe, die an einer „Gemeinsamen Erklärung“ zwischen EKD und dem Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, arbeitet. Der zeigte sich im Februar zuversichtlich, nach der katholischen noch in diesem Jahr mit der evangelischen Kirche eine Erklärung zu Standards und Kriterien unabhängiger Aufarbeitung unterschreiben zu können. Claus meint, nach dem Scheitern des EKD-Betroffenenbeirats sei das nicht leichter geworden.

    Für die evangelische Kirche, erklärt sie, gebe es Überlegungen, bundesweit vier bis sechs ehrenamtliche Aufarbeitungskommissionen einzurichten – zum Beispiel eine gemeinsame für die Landeskirchen von Bayern, Württemberg und Baden. „Das ist praxisfern“, kritisiert sie und hofft, dass sich die Kirche hier bewegt. Sie findet deutliche Worte: „Die gesamte Einrichtung und Umsetzung des Betroffenenbeirats der EKD war improvisiert und teilweise stümperhaft.“ Claus spricht von Unvermögen und einer perfiden Strategie. „Strategie ist, dass, wenn etwas öffentlich sichtbar scheitert, die Betroffenen diskreditiert werden, um die Kirche aus der Schusslinie zu nehmen. Es wird Wahrheit gedehnt und gebeugt.“ Aufseiten der Kirche lässt man das nicht gelten.

    Auch von katholischer Seite gibt es Kritik an kirchlichen Betroffenenbeiräten

    Kritik an kirchlichen Betroffenenbeiräten kommt ebenso von katholischer Seite. So äußerte der Jesuit Klaus Mertes, der vor kurzem das Bundesverdienstkreuz für seinen Einsatz bei der Aufarbeitung von Missbrauch in Reihen der katholischen Kirche erhielt: Betroffene könnten einer staatlichen Institution wie dem UBSKM gegenüber mehr Vertrauen entgegenbringen, als dies gegenüber Bischöfen, Orden und Diözesen möglich sei.

    In katholischen Bistümern entstehen gerade „unabhängige Aufarbeitungskommissionen“, die jeweils mit sieben Mitgliedern besetzt sein sollen – neben externen Fachleuten und zwei Missbrauchsopfern auch mit einem Bistumsvertreter. Im Falle des Bistums Augsburg ist das die Leiterin der Hauptabteilung für Grundsatzfragen, Gerda Riedl. Das Bistum betont gleichwohl die Unabhängigkeit des – noch nicht vollständig besetzten – Gremiums, das auch einen Betroffenenbeirat berufen wird. Ein Bistumssprecher sagte, dieser treffe sich vermutlich in Kürze zu seiner konstituierenden Sitzung.

    Betroffenenbeirat im Bistum Augsburg könnte sich bald zu erster Sitzung treffen

    Nach einem Aufruf hatten das Bistum acht Bewerbungen dafür erreicht. Ausdrücklich nur die nicht-kirchlichen Mitglieder der Aufarbeitungskommission – darunter der Präsident des Sozialgerichts Augsburg – haben inzwischen aus den Bewerbungen die fünf Mitglieder des künftigen Betroffenenbeirats gemäß einer Rahmenordnung der Deutschen Bischofskonferenz „nach Eignung und Motivation bezüglich des anstehenden Aufarbeitungsprozesses“ ausgewählt. Andere Bistümer tun sich dagegen weiter schwer, Betroffene zu finden.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Die Kirchen versagen beim Umgang mit Missbrauchsopfern

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