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Messerattacke in Würzburg: Terrorismus: Spontane Aktion eines Einzeltäters ist kaum zu verhindern

Messerattacke in Würzburg

Terrorismus: Spontane Aktion eines Einzeltäters ist kaum zu verhindern

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    Peter Neumann.
    Peter Neumann. Foto: Ina Fassbender, dpa (Archivbild)

    Es ist eine der großen noch ungeklärten Fragen rund um die Bluttat in Würzburg: Warum stürmte der Täter los, tötete drei Frauen und verletzte mehrere Menschen schwer? Im Interview erklärt der aus Würzburg stammende Terrorismusexperte Prof. Peter Neumann, warum er Zweifel daran hat, dass der 24-jährige Somalier aus rein ideologischen Gründen gemordet hat.

    Ich wurde am Wochenende auf ein Zitat von Ihnen angesprochen: "Sie können sich im Prinzip jemanden in der Schönbornstraße in Würzburg greifen und ihn dort enthaupten." Das sagten Sie vor sieben Jahren und ist offenbar hängen geblieben. Was war Ihr erster Gedanke als Sie von dem Messerangriff in Ihrer Heimatstadt hörten?

    Peter Neumann: Ich war natürlich schockiert. Auch wenn ich schon darauf hingewiesen habe, dass so etwas passieren kann. Vom Zeitpunkt war ich überrascht, weil die Gefahrenlage durch islamistischen Terror lange nicht mehr so groß ist wie noch vor sieben Jahren: Es gibt nicht mehr diese Strukturen und den Enthusiasmus – und der sogenannte Islamische Staat ist größtenteils zerschlagen.

    Allerdings sprechen die Ermittler bislang auch nur davon, dass sie einen islamistischen Hintergrund nicht ausschließen können.

    Neumann: Ich vermute nicht, dass der Täter der Islamistenszene angehört. Es sieht mir mehr und mehr nach einem Anschlag wie 2017 in Hamburg aus: Auch damals war der Täter ein Asylbewerber mit erheblichen psychischen Problemen, der, als er abgeschoben werden sollte, durchgedreht ist und sich wohl nur an die islamistische Ideologie drangehängt hat. Ob er radikalisiert oder IS-Anhänger war, darüber streitet man bis heute. Und das hängt von der Schwere der psychiatrischen Vorbelastung.

    Können Sie das erklären?

    Neumann: Wenn jemand etwa unter einer schweren Psychose oder Persönlichkeitsstörung leidet, ist er nicht zurechnungsfähig und würde vor Gericht freigesprochen werden. Dann wäre er kein Terrorist im klassischen Sinne. Wenn diese psychologischen Probleme aber eher leicht sind, dann können Sie eine terroristische Motivation sogar verstärken.

    Um es konkret zu machen: Es geht nicht um die Frage, ob der Täter ein Islamist ist oder psychisch krank?

    Neumann: Nein, denn das schließt sich nicht zwangsläufig aus. Wenn man schizophren ist oder eine bipolare Störung hat, hat man keine Kontrolle über sein Tun. Aber die allermeisten psychologischen Probleme, von denen in diesem Zusammenhang gesprochen wird, sind Persönlichkeitsstörungen. Wenn jemand eine leichte oder mittelschwere Persönlichkeitsstörung hat, ist das kein Grund, nicht auch extremistisch motiviert zu sein. Wie gesagt: Das kann sich sogar ergänzen. Und das beobachten wir übrigens bei Islamisten und Rechtsterroristen gleichermaßen.

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    Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Nach dem Axt-Anschlag vor fünf Jahren verbreitete der IS binnen 24 Stunden ein Bekennervideo. Das ist aktuell nicht der Fall. Was sagt Ihnen das?

    Neumann: Ich glaube, wenn es eine kleinste konkrete Verbindung zwischen dem Täter und dem sogenannten Islamischen Staat gebe, dann hätte der IS die Tat schon für sich reklamiert. Wir wissen, dass die Terrororganisation verzweifelt versucht, seine eigene Existenz zu beweisen und dabei auch Taten für sich beansprucht, die mit ihnen gar nichts zu tun haben, etwa Amokläufe.

    Inzwischen kursieren Analysen darüber, wie der Täter das Messer geführt hat. Einige leiten daraus eine Kampfausbildung ab – womöglich in einer Terrororganisation. Wie seriös ist eine solche Herangehensweise?

    Neumann: Das könnte auf eine entsprechende Ausbildung hinweisen, muss es aber nicht. Das kann er sich auch im Internet in Videos abgeschaut haben. Ein zwingender Hinweis ist das für mich nicht. Im Moment wissen wir ja auch noch sehr wenig über sein Leben in Somalia.

    Sie haben in der Vergangenheit immer wieder auf die Gefahr von Einzeltätern hingewiesen, die ohne eine Organisation selbstständig losschlagen.

    Neumann: Das ist richtig. Anschläge von Einzeltätern ist das dominante Muster extremistischer Gewalt in Europa – nicht mehr die großen Terrorkommandos wie damals in Paris. Auch das ist eine Parallele zwischen rechtsextremem und islamistischem Terror. Das hängt damit zusammen, dass große Anschläge in der Vorbereitung viel Kommunikation benötigt, die die Behörden oft rechtzeitig auf die Spur von Terrorzellen bringt. Die spontane Aktion eines Einzeltäters mit sehr einfachen Mitteln – etwa einem Messer – ist dagegen kaum zu verhindern. Übrigens gibt es Studien, die zeigen, dass Einzeltäter 13,5 mal so häufig psychische Probleme haben, wie Gruppentäter. Bei all dem gibt es aber eine – wenn man so will – gute Nachricht...

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    Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    ...welche?

    Neumann: Einzeltätern fallen weniger Menschen zum Opfer, weil sie eben alleine agieren und in der Regel nicht besonders trainiert sind. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Anschlägen durch Einzeltäter in Europa im Durchschnitt weniger als eine Person ums Leben gekommen ist. Das ist also eine weniger gefährliche Form des Terrorismus verglichen mit den großen Anschlägen wie in Paris mit hunderten Toten. Leider muss man mit diesen Zahlen vor Augen aber auch feststellen, wie brutal und auf traurige Weise erfolgreich aus Sicht des Täters die Bluttat in Würzburg war.

    Zur Person: Der 46-jährige Politikwissenschaftler aus Würzburg gilt als einer der renommiertesten Terrorismusexperten der Welt. Neumann lehrt am Londoner King's College und berät Regierungen, Nachrichtendienste und internationale Organisationen, darunter den UN-Sicherheitsrat. In den vergangenen Jahren hat er sich insbesondere mit dem Islamismus und der Radikalisierung von Terroristen beschäftigt.

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