Mit Tränen in den Augen legen zwei junge Frauen Blumen an den Tatort. Kerzen brennen. Sichtlich betroffen laufen Passanten am Samstag über den Barbarossaplatz in Würzburg - Schauplatz einer brutalen Messerattacke eines jungen Mannes mit drei Toten und zahlreichen Verletzten. Viele bleiben stehen und halten einige Minuten inne. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fasst zusammen, was wohl vielen durch den Kopf gehen mag: "Der Täter hat mit äußerster Brutalität gehandelt." Und er verspricht: "Für diese menschenverachtende Tat wird er durch den Rechtsstaat zur Verantwortung gezogen."
Freitagnachmittag, gegen 17.00 Uhr: Mit einem langen Messer aus der Auslage eines Kaufhauses sticht der 24 Jahre alte Verdächtige aus dem afrikanischen Somalia in dem Geschäft wohl grundlos auf Menschen ein. Drei Frauen sterben. Dann rennt der Somalier in eine nahe Bank und attackiert dort und auf der Straße weitere, ihm offensichtlich völlig unbekannte Passanten. Eine Augenzeugin aus einem Laden unweit der Tatorte will den Angriff beobachtet haben. Auf die Frage nach ihren Erinnerungen bricht sie in Tränen aus: "Ich kann darüber nicht reden, das war zu viel."
Würzburg am Tag nach der Messerattacke: Düsterer Nebel hängt über der Stadt
Am Morgen nach der Attacke hängt düsterer Nebel über Würzburg. Jogger sprechen in der Innenstadt über die Ereignisse vom Vortag. Die Tat ist überall Gesprächsthema - beim Bäcker, an Bushaltestellen, auf der Straße. Eine Frau sagt, sie hoffe, die ausländische Herkunft des mutmaßlichen Täters werde nicht zum Wahlkampfthema bestimmter Parteien gemacht.
Eine andere Passantin meint: "Es ist einfach nur erschreckend, dass in Würzburg, in unserer kleinen, wunderschönen Stadt, so etwas passiert." Es hätte jeden treffen können. "Es ist einfach gruselig."
Zwei Studentinnen legen Blumen an den Tatort. Sie seien beeindruckt, dass viele Menschen Zivilcourage bewiesen hätten "und wirklich auch eingeschritten sind. Das fanden wir schon ziemlich beeindruckend, dass Menschen, die einfach wegrennen hätten können, auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um den anderen Menschen zu helfen, die sie auch nicht kannten."
Kurz nach der Attacke ist der Somalier auf Videoclips in sozialen Netzwerken zu sehen. In der linken Hand das Messer, barfuß, etwas orientierungslos wirkend, schwankt er durch die belebte Innenstadt. Mutige Männer stellen sich dem Migranten in den Weg, attackieren ihn mit einem Besen, schnappen sich Biertischstühle als Waffe. Womöglich verhindern sie so weitere Opfer. Kurz darauf streckt ein Polizist den Angreifer mit einem gezielten Polizeischuss nieder, der 24-Jährige wird festgenommen.
Mittlerweile sitzt er wegen dreifachen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung in sechs weiteren Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung in einem weiteren Fall in Untersuchungshaft.
Würzburger stellen sich dem Angreifer entgegen
Respekt kommt von vielen Seiten für Zivilcourage, die wie im Fall von Dominik Brunner aber auch gefährlich sein kann. Brunner war am 12. September 2009 in München von dem damals 18-Jährigen und dessen 17-jährigem Begleiter so heftig getreten und verprügelt worden, dass er später im Krankenhaus starb. Der Geschäftsmann hatte zuvor Schüler verteidigt, die von den jungen Männern bedrängt worden waren.
Zivilcourage funktioniert bei Bedrohungen anderer Menschen nach den Worten des Sozialpsychologen Dieter Frey umso besser, je mehr gegen eine Gefahr aufbegehren. Das Einschreiten falle leichter, wenn man sich von anderen unterstützt fühle, sagt der Experte der Ludwig-Maximilians-Universität München. In den Filmausschnitten sind meistens mehrere Menschen zu sehen, die sich dem Angreifer in den Weg stellen. "Würzburg hat gezeigt, dass sie Bürger mit Zivilcourage haben."
Die Bundesregierung reagiert am Samstag erschüttert auf die Ereignisse: "Die Ermittlungen werden ergeben, was den Amokläufer von Würzburg antrieb. Sicher ist: Seine entsetzliche Tat richtet sich gegen jede Menschlichkeit und jede Religion", schreibt Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht von einem Amoklauf.
Was genau den Somalier antrieb, der seit 2015 in Deutschland lebt und zuletzt legal in einer Obdachlosenunterkunft in Würzburg wohnte, ist bisher ungewiss. Die Ermittler sprechen zum einen von einer psychischen Störung, zum anderen könnte eine extremistische Einstellung mitursächlich für den Angriff sein. "Es schließt sich auch nicht unbedingt gegenseitig aus", sagt Landesinnenminister Joachim Herrmann (CSU) am Samstag keine 24 Stunden nach der Tat.
So eine Gemengelage gab es beispielsweise bei dem Anschlag eines Rassisten im hessischen Hanau. Der psychisch kranke Mann tötete dort im Februar 2020 neun Menschen mit Migrationsgeschichte, seine Mutter und dann sich selbst.
Unterfrankens Polizeipräsident Gerhard Kallert warnt vor Vorverurteilungen: "Das Ergebnis kann nur am Schluss der Ermittlungen stehen." (dpa)