Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Memmingen: Missbrauchsvorwurf gegen früheren Dekan: Nun ist der Vatikan am Zug

Memmingen

Missbrauchsvorwurf gegen früheren Dekan: Nun ist der Vatikan am Zug

    • |
    An der Kirche St. Josef: Hier wirkte der wegen Missbrauchsvorwürfen freigestellte ehemalige Pfarrer und Dekan.
    An der Kirche St. Josef: Hier wirkte der wegen Missbrauchsvorwürfen freigestellte ehemalige Pfarrer und Dekan. Foto: Uwe Hirt (Archivbild)

    Im Fall des bisherigen Memminger Pfarrers und Dekans und somit leitendem katholischen Klerikers prüft nun die Generalstaatsanwaltschaft in München die Vorwürfe einer heute 26-jährigen Frau gegen ihn. Sie wirft ihm vor, sie als Jugendliche erst seelisch unter Druck gesetzt und dann nach ihrer Volljährigkeit ein sexuelles Verhältnis mit ihr gehabt zu haben. Das soll über mehrere Jahre gegangen sein. Als Reaktion darauf hatte das Bistum Augsburg den Geistlichen im Juni von allen seinen Aufgaben entbunden. Die Staatsanwaltschaft Memmingen stellte ihr Ermittlungsverfahren etwa zwei Wochen später ein: Es habe keine Hinweise auf mögliche Straftaten gegeben.

    Gegen die Einstellung aber hat die Anwältin der 26-Jährigen Beschwerde eingelegt. Damit ist im Moment offen, ob die Staatsanwaltschaft Memmingen das Verfahren wieder aufnehmen muss. Wie die Beschwerde begründet wird, ist unklar – alle Seiten hüllen sich in Schweigen. Wann es eine Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München gebe, könne aufgrund des Umfangs der zu prüfenden Unterlagen leider nicht prognostiziert werden, erklärte die Behörde.

    Geistlicher räumte Verstoß gegen Zölibat ein

    Was klar ist: Der Geistliche räumte über seinen Anwalt ein, gegen den Zölibat – die priesterliche Ehelosigkeit – verstoßen zu haben. Er betonte jedoch, dass es einvernehmliche sexuelle Handlungen gewesen seien und die Frau volljährig war. Der

    Neben der strafrechtlichen Bewertung der Vorwürfe hat der Fall vor allem eine kirchenrechtliche Bedeutung, die weit über das Bistum Augsburg hinausgeht. Der renommierte Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte im Gespräch mit unserer Redaktion, der Fall sei paradigmatisch für „geistlichen Missbrauch“, weil der Priester offenkundig „eine seelsorgliche Notlage einer Jugendlichen ausnutzt, um im Gewand der geistlichen Zuwendung eine sexuelle Beziehung anzubahnen, die der Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse dient“. Dabei werde „gezielt vorgegangen und auch rechtlich geschickt, weil man erst nach Vollendung der Volljährigkeit jegliche Hemmungen fallen lässt, um es dann später nach Anzeige der Taten als einvernehmliche sexuelle Begegnung zu deklarieren“.

    26-Jährige: Memminger Dekan habe sie "manipuliert"

    Der Anwalt des Geistlichen sagte dazu knapp: „Zum jetzigen Zeitpunkt werden mein Mandant und ich uns mit Blick auf die laufenden Verfahren nicht weiter äußern.“ Auch die 26-Jährige wollte sich auf Anfrage nicht weiter öffentlich äußern. Sie lebt seit Juli als Novizin in einem Kloster und absolviert derzeit ein mehrmonatiges Praktikum im Ausland, wie es heißt. Der "Süddeutschen Zeitung" hatte sie im September unter voller Nennung ihres Namens gesagt, der Geistliche habe sie über Jahre hinweg „manipuliert“. Sie sprach von einem Abhängigkeitsverhältnis.

    Demnach sei sie mit 14 in einem Schwimmbad von einem Fremden missbraucht worden. Im Schutzraum Kirche habe sie Halt gesucht. Der Geistliche habe sich ihrer angenommen, als sie 16 gewesen sei. Bei anfänglichen Umarmungen habe sie sich noch nichts gedacht. Auch der heilige Franziskus und die heilige Klara hätten in Freundschaft zusammengelebt, habe er ihr gesagt. Nachdem sie 18 gewesen sei, habe es mit sexuellen Übergriffen angefangen, gegen die sie sich nie richtig gewehrt habe. Allerdings habe sie ihm danach gesagt, er solle aufhören.

    Bistum Augsburg leitete Fall an Vatikan weiter

    Das Bistum Augsburg hatte den Fall mit Hinweis auf seine „Null-Toleranz-Politik“ an die vatikanische Glaubenskongregation weitergeleitet. Diese muss entscheiden, wie es mit dem Geistlichen nun weitergeht. Möglich sei, so Schüller, die Anordnung, einen kanonischen Strafprozess durchzuführen. Oder auch eine Entscheidung auf dem Verwaltungsweg, auf dem jedoch keine Entlassung aus dem Klerikerstand verfügt werden könne. Nach Informationen unserer Redaktion gab es vonseiten des Vatikans bisher keinen Kontakt mit den Beteiligten.

    Nach Bistumsangaben beeinflusst das staatliche Verfahren dabei die kirchenrechtlichen Vorgänge nicht. Diese würden durch die Einlegung der Beschwerde der jungen Frau also auch nicht verzögert. Besonders relevant ist für Kirchenrechtsprofessor Schüller, dass die 26-Jährige äußerte, der Geistliche habe ihr nach den sexuellen Übergriffen die Beichte abgenommen. Sollte sich das bestätigen, hätte sich der damalige Dekan die Tatstrafe der Exkommunikation zugezogen, so Schüller, was den Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft bedeute. Diese aber sei allein dem Apostolischen Stuhl vorbehalten.

    Kirchenrechtler Schüller beobachtet den Fall genau

    Ansonsten sei bei der momentanen kirchenstrafrechtlichen Lage der weitere Ausgang offen. „Geistlicher Missbrauch mit anschließenden sexuellen Kontakten mit einer volljährigen Frau sind keine kanonischen Straftaten.“ Über die Nichteinhaltung der Zölibatsverpflichtung wiederum könne der Augsburger Bischof Bertram Meier disziplinarrechtlich befinden.

    Schüller beobachtet den Fall genau – denn er, sagt der Kirchenrechtler, „dürfte für die weitere kirchenrechtliche Normentwicklung Anlass sein, ein solches eklatantes Fehlverhalten eines Klerikers strafrechtlich zu ahnden“. Allerdings sei es nicht einfach, die genauen kirchenrechtlichen Straftatbestände zu definieren. „Die deutschen Bischöfe sind bereits an der Arbeit, zumindest disziplinarrechtlich diesen Themenkomplex anzugehen, der ja auch zum Beispiel viele Ordensfrauen weltweit sehr betrifft.“ Das Thema gehöre unbedingt auf die Agenda der weltkirchlichen Beratungen.

    Gemeindemitglieder sehen Ex-Dekan zu Unrecht am Pranger

    Während die Zukunft des früheren Memminger Pfarrers und Dekans ungewiss ist – und vom Verbleib in seinen Ämtern bis hin zur Exkommunikation und Entlassung aus dem Klerikerstand vieles denkbar scheint – geht in der Pfarreiengemeinschaft Memmingen mit ihren 15.753 Gläubigen das Alltagsleben seinen Gang. Das Bistum Augsburg hatte Prodekan Ralf Czech gemeinsam mit einem sechsköpfigen Koordinationsteam mit der Leitung betraut. Es wird von Maria Weiland, Leiterin der Memminger City-Seelsorge, geführt. Sie spricht von einer „zusätzlichen und zeitintensiven Tätigkeit“. Man hoffe auf eine baldige Entscheidung aus Rom und habe sich darauf eingestellt, dass die gegenwärtige Lage noch Wochen oder gar Monate anhalte.

    Spricht man mit Gemeindemitgliedern, klingen oft Bedauern und Mitgefühl an. Der frühere Dekan stehe zu Unrecht am Pranger, heißt es etwa. Und: Er solle in Memmingen und im Amt bleiben. Der gebrochene Zölibat sei zwar nicht in Ordnung, aber menschlich schon nachvollziehbar.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden