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Interview: Markus Söder verteidigt harten Lockdown: "Ich hätte mich gerne geirrt"

Interview

Markus Söder verteidigt harten Lockdown: "Ich hätte mich gerne geirrt"

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    Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verteidigt im Interview mit unserer Redaktion den harten Lockdown.
    Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verteidigt im Interview mit unserer Redaktion den harten Lockdown. Foto: Sommer, dpa (Archivbild)

    Herr Söder, dies ist der erste Tag des harten Lockdowns. Das ist ein Zustand, den wir alle und auch die Politik nie wollten. Sie haben zu Beginn des Lockdown light Anfang November versprochen, nun brauche es nur eine „Vier-Wochen-Therapie“ – lieber seien wir jetzt konsequent, als später in einer Endlosschleife zu stecken. In der stecken wir aber nun doch.

    Markus Söder: Es ist notwendig zu handeln. Die Zahlen haben sich dramatisch nach oben entwickelt. In dieser Woche hatten wir an nur einem Tag fast 1000 Todesfälle in Deutschland. Die können niemanden kalt lassen. Wenn wir jetzt nicht konsequent reagieren, dann haben wir bald extreme Sorgen. Die nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat ausgerechnet, dass der Lockdown light kein Flop war, da er das exponentielle Wachstum zwar gebremst hat, aber eben nicht zu einer dauerhaften Senkung der Infektionszahlen führte. Insofern ist unser Handeln jetzt nur konsequent. Und mein Eindruck ist, dass die Menschen das jetzt auch erwarten und akzeptieren. Es ist fünf vor zwölf.

    Auch Anfang November haben Experten geraten, man müsse härter durchgreifen. Warum haben Sie es überhaupt erst mit einem Lockdown light versucht?

    Söder: Die Empfehlung des Lockdown light war auch die Empfehlung der Experten. Wir sind dem gefolgt, was Leopoldina und andere vorgeschlagen haben. Das Problem ist, dass leider nicht alle so konsequent mitgemacht haben, wie es geplant war. Die Erkenntnisse sind bis heute eindeutig: 75 Prozent der Infektionen können nicht zugeordnet werden, wir haben ein diffuses Geschehen. Damit ist leider das eingetreten, was ich vorhergesagt habe. Glauben Sie mir: Ich hätte mich gerne geirrt. Jetzt aber ist klar: Das Einzige, was hilft, ist das weitere Runterfahren des öffentlichen Lebens. Es gibt Menschen, die sagen, am 10. Januar sei alles vorbei. Ich will deutlich sein: Die ganzen Maßnahmen müssen getätigt werden, solange sie nötig sind. Ein endloses Hin und Her macht wenig Sinn.

    Live-Journalismus in Corona-Zeiten: Ministerpräsident Markus Söder stellte sich den Fragen von Chefredakteur Gregor Peter Schmitz.
    Live-Journalismus in Corona-Zeiten: Ministerpräsident Markus Söder stellte sich den Fragen von Chefredakteur Gregor Peter Schmitz. Foto: Ulrich Wagner

    Sie haben „Leichtsinn“ und „Unvernunft“ in der Bevölkerung angeprangert. Aber war nicht auch die Politik leichtsinnig und unvernünftig – viele nötige Maßnahmen wurden im Sommer verschlafen, sodass vieles immer noch nicht klappt, etwa die digitale Nachverfolgung von Infektionen durch unsere Gesundheitsämter.

    Söder: Es ist viel passiert. Die Zahl der Intensivbetten ist deutlich aufgestockt worden. Der öffentliche Gesundheitsdienst wurde um über 25 Prozent gestärkt. Unsere Teams zur Kontakt-Nachverfolgung wurden um 60 Prozent ausgebaut. Die Testkapazitäten sind um fast 700 Prozent ausgeweitet worden. Aber – und das ist der entscheidende Punkt: Ab einer bestimmten Zahl von Infektionen, die jetzt leider wesentlich höher ist als bei der ersten Welle, wird die Kontrolle des Verfahrens deutlich schwieriger. Dann wird es nahezu unmöglich, sensible Bereiche vor dem Virus zu schützen. Die Medizingeschichte zeigt, dass die zweite Welle wesentlich gefährlicher ist. Warum? Weil viele Menschen schlicht die Gefahr unterschätzen.

    Noch einmal: Vieles ist einfach nicht passiert. Unsere Redaktion hat eine Umfrage gemacht, wie viele Gesundheitsämter eine Software einsetzen, um Daten leichter auszutauschen und Doppelabfragen zu vermeiden. Nur in einem von 70 bayerischen Gesundheitsämtern ist diese Software bislang überhaupt im Einsatz.

    Söder: Es wurde zwischen Bund und Ländern lange darüber diskutiert, welches System das richtige ist. Aber wir haben jetzt entschieden. Dennoch muss klar sein: Nur bis zu einem Inzidenzwert von 50 können Gesundheitsämter die Kontakte noch nachverfolgen. Wenn es sprunghaft in deutlich höhere Bereiche über 100 oder 200 geht, dann hilft auch die beste Software nur bedingt. Deswegen ist es so wichtig, dass wir mit den Zahlen wieder nach unten kommen.

    Sie haben im Sommer auch gesagt, Bayern müsse an den Schulen den Digitalisierungsturbo einlegen, um für die Corona-Lage gewappnet zu sein. Aber als diese Woche Schülerinnen und Schüler wieder daheim saßen, hakte die Online-Plattform wieder.

    Söder: Richtig ist, dass eine Lernplattform diese Woche nicht funktioniert hat. Aber das ist nicht die einzige, sondern eine von mehreren. Trotzdem haben Sie recht mit Ihrer Kritik. Das Kultusministerium weiß, dass das unbedingt abgestellt werden muss. Ich gehe davon aus, dass wir nach den Ferien ab 10. Januar erst einmal mit Wechselunterricht starten. Dann muss es laufen. Da gibt es keine Ausreden mehr.

    Sie können uns sicher auch erklären, was der Unterschied zwischen „Distanzlernen“ und „Distanzunterricht“ ist. Die Aussagen von Kultusminister Michael Piazolo dazu haben viele verwirrt.

    Söder: Ich habe immer für Distanzunterricht plädiert. Das wurde bislang so praktiziert, und daran sollten wir uns weiter orientieren. Im Übrigen rate ich allen in der Schulfamilie zu etwas mehr Gemeinsamkeit. Wir hatten Phasen, da haben Lehrer Eltern kritisiert, dann die Eltern Lehrer und alle zusammen das Kultusministerium. Natürlich sind alle gestresst in diesem Jahr. Jeder ist zu Recht genervt von Corona. Aber wir tun uns damit keinen Gefallen, sondern sollten uns gegenseitig unterstützen. Am coolsten gehen übrigens die Schüler mit dieser schwierigen Situation um, sie verdienen großen Respekt.

    Viele Eltern sind aber nicht so entspannt, weil sie sich um die Abschlüsse ihrer Kinder sorgen. Die Mutter eines Realschülers schickte uns etwa die Frage, ob die Prüfungen zur Mittleren Reife angepasst werden und die Lehrer Nachsicht zeigen.

    Söder: Zu dem Corona-Stress, den wir ohnehin haben, brauchen wir nicht noch zusätzlichen Leistungsstress. Es ist kein normales Schuljahr, aber es muss ein faires und für die Schüler erfolgreiches werden. Deshalb müssen Prüfungstermine und Leistungsanforderungen angepasst werden. Wenn bestimmter Stoff nicht gelehrt werden kann, darf dieser Stoff auch nicht prüfungsrelevant sein. Deshalb: kein zusätzlicher Druck. Aber das Niveau der Abschlüsse werden wir natürlich garantieren.

    Gar nicht entspannt ist die Lage in Altenheimen. Ältere Menschen sind besonders gefährdet. Warum denkt man nicht auch über Maßnahmen nach, diese besonders zu schützen – etwa dass Senioren eigene Einkaufszeiten bekommen, wie es der Grüne Boris Palmer in Tübingen vormacht.

    Söder: Manche Experten sagen: Um ältere Risikogruppen garantiert schützen zu können, müsste man sie faktisch einsperren. Das wollen wir aber nicht. Das widerspräche allem, wie wir mit unseren Eltern und Großeltern umgehen wollen. Auch hier geht es ums Grundverständnis: Ab einer bestimmten Höhe der Infektionen ist es sehr schwer, Corona aus den Heimen fernzuhalten. Deshalb haben wir unsere Schutzmaßnahmen noch einmal verstärkt. Nicht nur Besucher müssen sich testen lassen. Auch Mitarbeiter müssen mindestens zweimal pro Woche zum Test. Und wir stellen zwei Millionen FFP-2-Masken zur Verfügung.

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    Trotzdem sind die Statistiken doch ganz klar: Ältere Menschen sind einem ungleich höheren Risiko ausgesetzt, an Corona zu sterben. Warum konzentrieren wir nicht mehr Maßnahmen auf ihren Schutz?

    Söder: Das tun wir bereits. Aber der wirksamste Schutz ist die Impfung. Das war in der Geschichte der Pandemien immer so. Es wird zwar keine Impfpflicht geben, aber wir müssen die Impfbereitschaft fördern. Nur so werden wir trotz Corona wieder normal leben können.

    Viele Menschen fürchten, dass es eine Impfpflicht durch die Hintertür geben wird – etwa weil der Zutritt zu Veranstaltungen oder auch Flüge und Reisen von einer Impfung abhängig gemacht werden.

    Söder: Ich kann mir so etwas nicht vorstellen. Es gibt rund um die Impfoffensive wichtigere Fragen, etwa wie wir Impfstoffe vor Dieben oder Zerstörung schützen können. Dazu kursiert bereits allerlei im Netz. Dann hören wir oft die Frage, ob Politiker sich impfen lassen wollen. Wenn ich an der Reihe bin, werde ich mich impfen lassen – vielleicht sogar in Anwesenheit eines Notars. Er kann dann bestätigen, dass es wirklich der richtige Impfstoff ist, um möglichen Fake News vorzubeugen.

    Der Heilige Abend soll vor allem still werden. Wie planen Sie ihn?

    Söder: Daheim mit der Familie. Und ich werde mir über Weihnachten sicher einige Online-Gottesdienste ansehen. Das habe ich Ostern schon getan, als es bei deutlich geringerem Infektionsgeschehen überhaupt keine Präsenz-Gottesdienste gab. Viele Predigten in sehr kurzer Zeit – ich fand das persönlich sehr bereichernd. Deshalb werde ich mir an Weihnachten so viele Gottesdienste wie selten anhören.

    Hier finden Sie weitere Statements von Markus Söder aus dem Gespräch bei "Augsburger Allgemeine Live" am 16. Dezember:

    Sie können sich das ganze Gespräch mit Markus Söder auch hier im Podcast anhören:

    Alle Folgen des Live-Formats "Augsburger Allgemeine Live" zum Nachlesen, Nachhören und Nachschauen finden Sie hier.

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