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Männliche Gewaltopfer: Hilfetelefon für Männer: „Viele Männer werden ganz massiv geschlagen“

Männliche Gewaltopfer

Hilfetelefon für Männer: „Viele Männer werden ganz massiv geschlagen“

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    Sarah Häde und Thomas Dietzel sitzen am neuen, bundesweiten Männerhilfetelefon. In den Räumen der Arbeiterwohlfahrt Augsburg können Opfer auch persönlich beraten werden.
    Sarah Häde und Thomas Dietzel sitzen am neuen, bundesweiten Männerhilfetelefon. In den Räumen der Arbeiterwohlfahrt Augsburg können Opfer auch persönlich beraten werden. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Dietzel, Bayern und Nordrhein-Westfalen haben das erste, deutschlandweite Hilfetelefon für Männer, die Gewalt erfahren, eingerichtet. Sie sind zusammen mit Ihrer Kollegin Sarah Häde hier im Augsburger Büro der Arbeiterwohlfahrt am Apparat. Nehmen viele Männer das Angebot an?

    Thomas Dietzel: Ja, es werden immer mehr. Mit diesem Angebot wurde eine große Lücke geschlossen.

    Das Problem ist vermutlich, dass bei Opfern von Gewalt vor allem zuerst an Frauen gedacht wird oder?

    Dietzel: Gewalt gegen Frauen ist ein großes Problem. Und hier sind Männer oft die Täter. Aber Opfer von Gewalt werden Frauen UND Männer. Nur sind Männer als Opfer von Gewalt in unserer Gesellschaft noch viel zu wenig anerkannt. Das ist noch immer ein großes Tabuthema. Ein Mann ist kein Opfer von Gewalt – das passt noch immer nicht ins Rollenbild, ich kann nur hoffen, dass sich hier etwas ändert.

    Wie muss man sich das vorstellen, schlagen die Ehefrauen zu Hause zu oder sind Männer vor allem psychischer Gewalt ausgesetzt?

    Dietzel: Beides kommt vor. Ehefrauen sind nicht immer die Täter, es gibt ja auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften; aber bei den Männern, die hier anrufen, sind es tatsächlich oft die Partnerinnen, die Gewalt ausüben. Ich muss sagen, ich hätte den Anteil der körperlichen Gewalt nicht so hoch eingeschätzt, wie er sich nun in den Gesprächen zeigt. Viele Männer werden ganz massiv geschlagen, sie werden gebissen, getreten und es wird vor allem psychisch Druck auf sie ausgeübt; nicht wenige werden regelmäßig gedemütigt und erniedrigt. Auch Erpressung spielt eine große Rolle, gerade wenn Kinder da sind.

    Ein Mann wurde von seiner Partnerin so schlimm misshandelt, dass er auszog

    Im schlimmsten Fall schlagen Männer zurück oder?

    Dietzel: Das kommt natürlich vor, dann vermitteln wir sie aber weiter, da sie auch Täter sind. Wir sind eine reine Opferberatungsstelle. Sie glauben aber gar nicht, wie viele Männer der körperlichen Gewalt in ihrer Partnerschaft nichts anderes entgegenzusetzen haben als Verzweiflung. Und das sind oft körperlich starke Männer.

    Wie alt sind die Männer, die anrufen?

    Dietzel: Es sind Männer aller Altersklassen, die Mehrheit ist zwischen 30 und 50. Ich hatte aber auch schon einen 85-Jährigen beraten. Er wurde von seiner 75-jährigen Partnerin körperlich so misshandelt, dass er ausziehen musste.

    Geht die Gewalt durch alle gesellschaftlichen Schichten?

    Dietzel: Ja. Hier rufen auch sehr viele Akademiker an. Erst kürzlich hatte ich einen international auf seinem Gebiet hoch geschätzten Experten am Telefon. Seine Frau schlägt ihn immer wieder, rastet wegen Kleinigkeiten völlig aus – auch sie ist im Übrigen Akademikerin. Eine Tochter lebt auch in dem Haushalt, der Mann weiß weder ein noch aus.

    Und was raten Sie in so einem Fall?

    Dietzel: In diesem Fall habe ich die Hoffnung, dass sie einsieht, dass etwas schief läuft und beide zusammen eine Paartherapie machen. Ich erlebe es hier aber immer wieder, dass die Männer auch nur reden möchten, dass sie jemanden brauchen, der ihnen überhaupt zuhört und der ihnen vor allem glaubt. Letzteres ist ein großes Problem. Nicht wenige Männer, die Gewalt ausgesetzt sind, haben die Erfahrung gemacht – auch mit der Polizei – dass man ihnen nicht glaubt, dass sie das Opfer sind. Und Frauen kalkulieren das manchmal mit ein.

    Männer wurden oft schon in der Kindheit Opfer von Gewalt

    Wie wird es Ihnen erzählt: Ist Gewalt oft von Anfang an in Beziehungen ein Problem oder bildet es das Ende nach jahrelangen Streitereien?

    Dietzel: Das ist ganz unterschiedlich. Was mir immer wieder berichtet wird, ist, dass die Geburt des Kindes oder der Kinder Auslöser von Gewalt in einer Beziehung ist. Die Ursache ist oft in einer Überforderung zu suchen, aber es ändert sich da auch etwas in der Partnerschaft – und zwar nicht selten zum Negativen: Frauen, die zu Hause bleiben, kommen mit dieser Rolle oft nicht zurecht und machen den Partner dafür verantwortlich. Nicht selten wurde mir aber auch erzählt, dass man sich plötzlich in einem Leben fand, dass man so gar nicht führen wollte, zu spät stellt sich heraus, dass man doch keine Kinder wollte. Das ist alles sehr tragisch.

    Doch bleibt die Frage, warum sich Männer Gewalt gefallen lassen?

    Dietzel: Oft steckt eine Geschichte dahinter. Nicht selten wurden die Männer schon in ihrer Kindheit Opfer von Gewalt – von körperlicher, verbaler oder sogar von sexualisierter Gewalt. Ein großes Problem ist es, dass Männer mit niemanden über die Gewalt, die ihnen angetan wurde oder wird, sprechen – auch nicht über die Gewalt in ihrer Ehe oder am Arbeitsplatz.

    Am Arbeitsplatz, wie meinen Sie das?

    Dietzel: Über Gewalt am Arbeitsplatz wird generell wenig gesprochen. Aber viele Männer werden von ihrem Chef regelmäßig zusammengebrüllt, vor oder von ihren Kollegen gedemütigt und als Versager hingestellt. Auch Mobbing ist eine Form von Gewalt.

    Das erleben Frauen aber auch, sie reden aber eher über ihre Erfahrung?

    Dietzel: Ja, Frauen erzählen etwa ihren Freundinnen, wenn es Probleme in der Ehe oder auf der Arbeit gibt. Männer tun das in der Regel nicht. Viele glauben noch immer, dass sie das mit sich ausmachen müssen und gerade bei Gewalterfahrung ist die Scham darüber sehr, sehr groß. Das merken wir am Hilfetelefon: Immer wieder wird geschaut, dass ja niemand zuhört, dass niemand mitbekommt, dass sie hier anrufen.

    Die Männer bleiben komplett anonym?

    Dietzel: Ja, das ist ganz wichtig.

    Wie geht es nach dem Anruf weiter?

    Dietzel: Wie gesagt, viele wollen tatsächlich nur sprechen. Und das ist völlig in Ordnung. Wir können aber, vorausgesetzt natürlich, die Männer möchten das, sie an weitere Experten und Hilfeangebote bei ihnen vor Ort vermitteln. Hier rufen ja Betroffene aus dem ganzen Bundesgebiet an. In Schwaben lebende Opfer können auch einen persönlichen Gesprächstermin bei uns ausmachen. Und in Augsburg haben wir auch die Möglichkeit, Männer in einer Männerschutzwohnung unterzubringen.

    Wann ist das möglich?

    Dietzel: Wenn ein Mann Opfer häuslicher Gewalt ist und schnell einen Schutzraum für sich und nicht selten auch für seine Kinder braucht. Das Problem ist, dass es viel zu wenige Männerschutzwohnungen gibt. Wir haben in Deutschland zwar viele Frauenhäuser, aber nur sehr wenige Männerschutzwohnungen, dabei ist der Bedarf sehr hoch.

    • Zur Info: Das kostenlose, anonyme Männerhilfetelefon, das vom Bayerischen Sozialministerium gefördert wird, hat die Nummer: 0800 123 99 00; Infos unter www.maennerhilfetelefon.de; männliche Gewaltopfer aus Schwaben und Landsberg/Lech können sich auch unter Telefon 0821 450 339 20 melden.

    Thomas Dietzel, 63, Erziehungswissenschaftler und Heilpraktiker für Psychotherapie, arbeitet seit Juli bei „VIA – Wege aus der Gewalt“, einer Beratung der Arbeiterwohlfahrt Augsburg. Er ist verheiratet, hat drei Söhne und eine Stieftochter.

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