Das noch ziemlich neu renovierte, mächtige alte Haus schmiegt sich an den Domberg in Passau. Als könnte der es schützen vor den Überschwemmungen des Inns, der in der Nähe in die Donau fließt. Hier, im Haus seiner Großeltern, in dem seit dem 13. Jahrhundert Geistliche wohnten, lebt jetzt Ottfried Fischer. Der an Parkinson erkrankte Schauspieler und Kabarettist, den seine Fans liebevoll Otti rufen, hat sich mit seiner Lebensgefährtin Simone Brandlmeier an diesen Ort, in dieses Haus zurückgezogen.
Die Tür öffnet sich nach dem Klingeln automatisch. Wie von Geisterhand gezogen. Dann steht Fischers Freundin im Türbogen und bittet herein. Eine helle Wohnung, hier ein Kunstwerk, dort ein hübsches Deko-Element. Alles ist eben, gut zugänglich. Am Esszimmertisch, der sich auch zum Arbeiten eignet, sitzt Ottfried Fischer im Mittagslicht. In einem von Fenstern umgebenen Hausvorsprung. Durch die Scheiben ist der Inn zu sehen.
Vor über zwei Jahren schon verließ Fischer München, um wieder in seine Heimat zu gehen; in Ornatsöd im Kreis Passau wuchs er ja auf. Das Millionendorf München war ihm unheimlich geworden. Es hatte 2009 Schlagzeilen aus dem Rotlicht-Milieu gegeben und danach einen mehrjährigen Prozess gegen einen Reporter der Bild-Zeitung. Seine geliebten Kneipen schlossen auch; die Häuser wurden luxussaniert. Dann folgte der gesundheitliche Zusammenbruch mit einer lebensbedrohlichen Sepsis.
Ottfried Fischer kehrte München den Rücken
„So ois is zsammgfoin, auf oan Haufa“, sagt Fischer auf Bairisch, weil es sich wohl nur so richtig ausdrücken lässt. „Die Stadt“, er meint München, „bot mir nichts mehr, was mich gehalten hätte.“ Also kehrte er der Stadt den Rücken. „Ich vermisse sie auch nicht.“
Seine Lebensgefährtin, die ihn durch diese schwere Zeit brachte, hat ihm ein Glas Wasser auf den Tisch gestellt. Auch eine Schachtel Marlboro Lights liegt da, eine Zigarette und ein kleiner Aschenbecher. Fischer reicht die Hand zum Gruß. Sie zittert nicht. Er sitzt im Rollstuhl. Vieles an ihm wirkt starr. Der Kopf, der üppige Körper. Seine Augen aber sind flink geblieben. Eigentlich kann man nur an ihnen ablesen, wie es Ottfried Fischer gerade geht. Seine Mimik ist, wie bei Parkinson-Kranken üblich, sehr reduziert. 2008 machte er seine Erkrankung öffentlich.
Fischer hat ein Buch geschrieben, das am Freitag erschienen ist. Eins über seine Rückkehr nach Passau. „Heimat ist da, wo dir die Todesanzeigen etwas sagen“, heißt es.
Die Idee zu dem Buch sei ihm in der Reha gekommen, erzählt er. An seinem 65. Geburtstag vor einem Jahr hat er es angekündigt. Fischer gibt einem das Gefühl, dass er nicht über seinen Gesundheitszustand reden will. „Es geht wieder ganz gut“, nuschelt er nur einsilbig. Über das Buch redet er dagegen gerne. „Heimat ist da, wo dir die Todesanzeigen etwas sagen“: Ob er die Sterbenachrichten schon studiert habe heute? „Nein, ich habe noch keine Zeitung gelesen“, antwortet er. Man muss genau hinhören, wenn er spricht. Nach wie vor schießt er seine Sätze regelrecht heraus. Wie in seiner Kabarettsendung „Ottis Schlachthof“, die Ende 2012 eingestellt wurde, hat er das schludrige Dahinhaspeln als sprachliches Stilmittel perfektioniert.
Ottfried Fischer mit neuem Buch
Warum viele Menschen diesen doch eher traurigen Teil der Zeitung so aufmerksam lesen, lautet eine der nächsten Fragen. Und plötzlich, wie in seinen besten Zeiten, sprudelt es aus ihm heraus: „Weil sie das schöne Gefühl erleben wollen, dass sie nicht dabei sind.“ Da ist er, der Otti, wie ihn seine Fans kennen und lieben – der schlagfertige Spötter mit dem großen Herzen. In diesem Moment scheint er seinem Gesicht ein Lächeln abzuringen.
Der schlagfertige Spötter Otti, das ist die eine Rolle seines Lebens. Und dann gibt es da noch „Irgendwie und Sowieso“, die legendäre Bogner-Serie, in der Fischer einen jungen Bauernbub in seinen Sturm-und-Drang-Jahren spielt, den „Sir Quickly“. Der bricht vom heimischen Bauernhof aus und erlebt im Münchner Umland der 1968er-Zeit mit seinen Freunden eine Menge Abenteuer und die erste große Liebe. Am Ende kehrt er dorthin zurück, wo er herkam, weil er weiß, dass er genau dorthin gehört. Der Sir auf seinem Zündapp-Moped hat das allerdings deutlich schneller erkannt als Ottfried Fischer.
Bei ihm habe es bis zur Zielgeraden des Lebens gedauert, sagt Fischer. Die Auseinandersetzung mit dem Tod hat ihn vermutlich zurückgezogen, so wie ein Lachs am Ende zu seinem Laichplatz zurückkehrt. Jetzt sei für ihn die Zeit, über seine Wurzeln zu reflektieren, sagt er. In seinem Buch hat er gleich im ersten Kapitel zum Thema Heimat geschrieben: „Was meine Herkunft anbelangt, gestehe ich: Unser Humus ist auch manches Mal hart wie Stein. Stein, Quarz, Feldspat, Gneis und Glimmer. So setzte sich, da gibt’s nichts zu leugnen, unser Bodenschatz zusammen: Granit! Das beeinflusst natürlich auch unsere Schädel.“ Wenn er so, in seinem Körper gefangen, dasitzt, wirkt Ottfried Fischer wie ein großer Findling aus dem nahe gelegenen Bayerwald.
„Ich bin zwar noch ziemlich immobil“, sagt er nun. Aber mit Krücken sei er schon wieder ganz gut unterwegs. Fischer jammert nicht. Es drängt ihn nach draußen. „Man kann am Inn entlanggehen bis zur Ortsspitze und dann an der Donau wieder zurück.“ Damit er fitter werde, jage ihn sein Physiotherapeut, wie er es formuliert, regelmäßig die 74 Treppenstufen zu seinem Haus am Domberg hoch.
Aus ganz Deutschland kommen Journalisten nach Passau
Langweilig ist ihm nicht. Auch wegen der Buchveröffentlichung. Aus ganz Deutschland kommen deswegen Journalisten nach Passau. Doch er hat aus früheren Zeiten, in denen er von der Arbeit getrieben war, gelernt: „Ich bin ja jetzt quasi Rentner, ich kann es mir selbst richten, wie viele Termine ich haben will.“
Sagt’s und kommt noch einmal auf München zu sprechen: „Die Stadt war damals nicht mehr gut für mich.“ Er geht nicht groß darauf ein, dass ihn die Boulevardpresse damals gejagt hat, weil er Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen hatte. Die zweigten von seiner Kreditkarte über 30.000 Euro ab. Ottfried Fischer erklärt sich dies, das sagt er dann doch, auch mit dem Abschied von der Bühne und vom Fernsehen: „Das war vielleicht der Grund, warum ich in Seelennot geraten bin.“ Wegen dieses Abschieds habe er wohl ein zu lockeres Leben geführt.
Jetzt Passau. Er wohnt wieder in der Nähe der Familie. Sein Bruder führt den Einödhof in Ornatsöd, wo er geboren wurde und von dessen Bergwiese er bis weit ins oberösterreichische Mühlviertel schauen konnte. Für einen, der sich mit dem Gehen schwertut, ist die Stadt im Herzen Niederbayerns allerdings kein passender Ort. „Mit Barrieren ist Passau reichlich gesegnet: Kopfsteinpflasterwüsten und drei Flüsse, damit haben nicht viele Städte aufzuwarten.“
Die Lebensgemeinschaft Fischer-Brandlmeier hat sich inzwischen trotzdem eingelebt. „Ich habe einige Schulfreunde wieder getroffen“, erzählt Ottfried Fischer. Mit denen sei er häufig unterwegs. Selbst die übrig gebliebenen Freunde aus der Landeshauptstadt setzen sich des Öfteren in den Zug, um ihn zu besuchen.
München, das ist in „Irgendwie und Sowieso“ Manhattan. Was fällt ihm ein, wenn er an die Serie denkt? „Dankbarkeit“, sagt Fischer. Vor allem das. Vor allem gegenüber seinem frühen Förderer Franz Xaver Bogner, und dass der ihm einen so grandiosen Start in die Karriere ermöglicht habe. Kein schlechtes Wort kommt ihm über den Regisseur über die Lippen.
Das ist die Krankheit Parkinson
Parkinson ist eine nervenbedingte Bewegungsstörung, die vor allem ältere Menschen trifft.
Ursache für die auch Schüttellähmung genannte Krankheit ist das Absterben von Nervenzellen im Gehirn, in der Folge geht die Kontrolle über Gliedmaßen verloren.
Zittern, verspannte Muskeln sowie Gang- und Gleichgewichtsstörungen sind die Symptome, denen auch Depressionen vorausgehen können.
Fachleute gehen davon aus, dass Parkinson erblich bedingt ist.
In der Bundesrepublik leiden nach Angaben der Deutschen Parkinson Vereinigung bis zu 280.000 Menschen an der unheilbaren Krankheit.
Erste Symptome für Parkinson treten meist im Alter zwischen 50 und 60 Jahren auf.
Bis zu zehn Prozent der Betroffenen sind aber jünger als 40. Der Name geht auf den englischen Arzt James Parkinson zurück, der 1817 als erster die Symptome der Schüttellähmung beschrieb.
Zu den Prominenten, die seit Jahren mit der Krankheit leben, gehören der frühere Fußball-Trainer Udo Lattek, Kabarettist Ottfried Fischer, Star-Dirigent Kurt Masur oder die Box-Legende Muhammad Ali.
Auch Papst Johannes Paul II. war an Parkinson erkrankt. (dpa)
Zweimal die Woche geht Fischer ins Fitnessstudio
Die Wahrscheinlichkeit, dass Ottfried Fischer in diesem Leben beruflich noch mal große Programme, Serien oder Filme bestreitet, schätzt er als gering ein. „Die Zeit ist vorbei. Ich bin dazu nicht mehr in der Lage.“ So realistisch sieht er es. Er weigert sich aber auch, den ganzen Tag darüber nachzudenken: „Ich habe mir jegliches Grübeln strikt untersagt.“ Gleichwohl hat er sich ein Ziel gesetzt: Wenigstens vielleicht bei einem der früheren Kollegen für eine Nummer auftauchen – oder aus seinem Buch lesen. Zweimal die Woche geht er ins Fitnessstudio, um an seinem Körper zu arbeiten.
Fischer zündet sich die seit Beginn des Gesprächs vor ihm liegende Zigarette an. Die Unterhaltung, so scheint es, strengt ihn allmählich an. Arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, muss der Schauspieler nicht mehr. Finanziell hat er ausgesorgt. „Das Beste an meinem Leben ist, dass ich in der ersten Hälfte genügend Geld zur Seite schaffen konnte.“ Allein die Mieteinnahmen aus den 13 Parteien seines Hauses in Passau dürften für ein finanziell sorgenfreies Leben ausreichen.
In dem spielt Politik unverändert eine wesentliche Rolle. „Man muss sich zeitlebens politisch einführen und Stellung beziehen“, betont Fischer denn auch. Gerade, wenn man es so gewohnt sei wie er. Als die Rede auf Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder kommt, setzt Fischer wieder eine Pointe: „Wer ist des? Ist des a Grüner?“, fragt er scheinheilig. Söder müsse wohl ein Saulus-Paulus-Erlebnis gehabt haben, so wie er sich heute gebe.
Von den Grünen fordert Fischer, sie müssten „jetzt mal eine regierungsfähige Politik machen“. Der Zustand der SPD, die er alleine aufgrund ihrer Vergangenheit für mehr als eine Partei hält, sei „ein Jammer“. Zur rechtspopulistischen AfD sagt er nur: „Die politischen Allheilmittelverkäufer haben am Ende immer den Krieg gebracht.“ Der AfD traut er das dennoch nicht zu: „Die werden sich am Ende selbst zerlegen.“
Schließlich der Klimawandel, das Thema dieser Tage. Am Inn wollen sie Mauern bauen, sodass der Fluss kaum mehr zu sehen ist. Dabei könne man schlimme Hochwasser auch damit nicht aufhalten, meint Fischer. „Jeder weiß, welche Folgen steigende Temperaturen haben.“ Er finde es gut, dass Kinder und Jugendliche sich zu Wort melden, weil sie die politische Führung zu tiefgründigen Veränderungen nicht in der Lage hielten. „Ich wäre wahrscheinlich früher auch auf die Demos gegangen. Aber das ist mehr eine Gewissensberuhigung.“
Das Treffen neigt sich dem Ende zu. Fürs Foto achtet Simone Brandlmeier darauf, dass Ottfried Fischer aufrecht im Rollstuhl sitzt. Vorm Abschied muss jedoch eines unbedingt geklärt werden. Ist er, der direkt unterhalb des Doms wohnt, gläubig?
Als "Pfarrer Braun" war er erfolgreich im Namen der Kirche unterwegs
„Ich habe etwas in mir, das könnte Glauben sein“, sinniert Fischer. In seinem Buch schreibt er, es gebe weder bei Sokrates noch bei Jesus „Erkenntnisse der gesicherten Art“. So recht will er sich nicht festlegen. Dabei war er in seinem Berufsleben als „Pfarrer Braun“ überaus erfolgreich im Namen der katholischen Kirche unterwegs, wenn auch nur im Fernsehen. Als typischer Niederbayer will er die Türe zum Himmel offenbar aber nicht endgültig zuschlagen. Seine Großmütter seien gläubig im besten Sinn gewesen, erzählt er. „Die dachten, die Verstorbenen gehen einfach nur in einen anderen Raum und warten dort, bis man sich später wieder trifft.“ Er beneide sie ob dieser naiven Vorstellung, die vieles im Leben und Sterben einfacher mache.
In seinem Buch heißt es allerdings: „Nachdem der Mensch Gott schon nachweislich seine Schöpfung versaut hat, bin ich gar nicht mehr sicher, ob das ewige Leben überhaupt ein Fortschritt ist.“ Trotzdem habe er nach der Rückkehr vom gottlosen München ins fromme Passau wie seine Omas eine Kerze für die armen Seelen anzünden wollen, sagt Fischer. „Vielleicht bin ich ja selbst eine.“
Allzu viel übers Sterben mag er nun nicht mehr nachdenken. Ottfried Fischer will sich um sein Leben auf der Zielgeraden kümmern. Und es klingt ein wenig wie eine Kampfansage an die eigene Vergänglichkeit, wenn er meint: „Ich habe noch nicht vor, dass ich mich abschließend langweile.“ Da ist er wieder, der wundervolle Spötter.