Ein etwas verwaschener, leicht gelbstichiger weiß-blauer Himmel, davor ein orangefarbenes gebrochenes Herz, durch das die Sonne scheint – vor diesem Hintergrund werben die Organisatorinnen und Organisatoren des Volksbegehrens „Landtag abberufen!“ auf ihrer Homepage um die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger. Die Symbolik erschließt sich nicht ganz, aber das muss ja auch nicht sein. Jedenfalls: Es handelt sich um das kurioseste Volksbegehren in der Geschichte des Freistaats.
Die Väter der Bayerischen Verfassung hatten „angesichts des Trümmerfelds, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat“, nur das Beste für das bayerische Volk im Sinn. Sie formulierten nicht nur eine der schönsten Verfassungen der demokratischen Welt, sondern räumten den Bürgerinnen und Bürgern auch deutlich mehr Rechte ein als andernorts. Dazu gehört Artikel 18, Absatz 3, in dem es heißt, der Landtag könne „auf Antrag von einer Million wahlberechtigter Staatsbürger durch Volksentscheid abberufen werden“.
"Landtag abberufen": Rein rechtlich spricht nichts gegen das Volksbegehren
Die Bestimmung zielte nach den Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft darauf ab, dem Volk in außergewöhnlichen Krisensituationen die Möglichkeit zu geben, Neuwahlen zu erzwingen. Um Missbrauch zu verhindern, setzten die Verfassungsväter gleichzeitig ein hohes Quorum fest.
Eine Million Wahlberechtigte waren damals nach dem Krieg weit über zehn Prozent, heute sind es, weil Bayern nicht mehr rund 9,5, sondern mehr als 13 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner hat, relativ gesehen weit weniger. Die Hürde ist also niedriger geworden. Das unterscheidet dieses von anderen Volksbegehren, die auf eine Änderung der Gesetzgebung zielen und bei denen ein Quorum von zehn Prozent der Wahlberechtigten gilt. Rein rechtlich spricht nichts gegen das Begehren. Es muss nicht inhaltlich begründet werden.
Kurios ist es dennoch: Erstens gab es so etwas noch nie. Zweitens würde es im – höchst unwahrscheinlichen – Erfolgsfall nur dazu führen, dass etwa ein Jahr früher als geplant ein neuer Landtag gewählt werden müsste. Das ergibt sich aus den gesetzlichen Fristen, die zwischen Volksbegehren, Vorlage im Landtag, Volksentscheid und der Festsetzung eines Wahltermins liegen.
Von „Kadavergehorsam“ in den Fraktionen und einer „Diktatur der Parteien“ ist die Rede
Erstes erklärtes Ziel der Initiatoren ist, den Landtag „durch Neuwahlen mit anderen, besseren und bürgerorientierten Abgeordneten“ zu besetzen. Auf ihrer Internetseite erheben sie massive Vorwürfe gegen den aktuellen Landtag: Dort erlebe man „Lügen als Grundlage der Politik“.
Den Abgeordneten wird pauschal vorgeworfen, die Verfassung zu missachten. Von „Kadavergehorsam“ in den Fraktionen und einer „Diktatur der Parteien“ ist die Rede. Die Abgeordneten seien während der Pandemie „keine Vertreter des Volkes, sondern Vertreter ihrer Partei“ gewesen, erklärt Jan-Christoph Münch, ein Sprecher des Bündnisses. Vor allem hätten sie es in der Corona-Politik versäumt, „zu hinterfragen, was sie im Landtag beschließen“.
Laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kommen die Betreiber des Volksbegehrens „ganz eindeutig“ aus der „Querdenker“-Szene. So steht der stellvertretende Beauftragte des Volksbegehrens, Karl Hilz, im Visier des Verfassungsschutzes.
Dort heißt es über ihn: „Mit seinem Aktivismus gegen die Corona-Schutzmaßnahmen versucht er, eine systematische Störung der Funktionsfähigkeit des Staates herbeizuführen.“ Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) sieht in der Zielrichtung des Volksbegehrens „einen Versuch, unsere repräsentative Demokratie in Frage zu stellen: Denn die Initiatoren akzeptieren die Mehrheitsentscheidungen unseres demokratisch gewählten Landtags nicht, weil sie nicht ihrer gefühlten Mehrheitsmeinung entsprechen“.
Der Verdacht liegt also nahe: Das Volksbegehren attackiert die Demokratie mit einem Instrument, das zum Schutz der Demokratie in der Verfassung verankert wurde.