Der offenbar über Jahre hinweg äußerst nachsichtige Umgang der bayerischen Justiz mit einem lange Zeit in München lebenden Sohn des libyschen Diktators Gaddafi wird zum Streitfall im Landtag. „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen – das ist mein Eindruck“, sagte gestern die Grünen-Abgeordnete Christine Stahl. Sie fordert Aufklärung, ob im Fall des Gaddafi-Sohns mit zweierlei Maß gemessen wurde.
Eine erste Antwort des Justizministeriums jedenfalls stellte die Grünen nicht zufrieden. Danach sind zwischen November 2006 und Dezember 2009 insgesamt acht Ermittlungsverfahren gegen Saif al-Arab Mohamed al-Gaddafi eingestellt worden – unter anderem wegen des Verdachts auf Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung, Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz sowie Verkehrsdelikten. Zwei Strafverfahren wegen Verkehrsdelikten endeten mit Geldstrafen beziehungsweise Führerscheinentzug. Ein Verdacht wegen möglicher Verstöße gegen das Waffengesetz wurde nach ersten Vorermittlungen nicht weiter verfolgt.
Dass der Gaddafi-Sohn – der angeblich an der Technischen Universität Medizin studierte, tatsächlich aber mehr als dubioser Lebemann auffiel – eine Sonderbehandlung durch die Behörden erfuhr, liegt für die Grünen auf der Hand. In einem Fall im Sommer 2007, so wird berichtet, sei eine Durchsuchung seiner Villa und seiner Suite im Hotel Bayerischer Hof erst durchgezogen worden, nachdem zuvor die libysche Botschaft in Berlin darüber informiert worden sei. Ein Oberstaatsanwalt sei extra nach Berlin gefahren, um abzuklären, ob der Gaddafi-Sohn in München diplomatische Immunität genieße. Mehr als drei Wochen vergingen zwischen Erlass des Durchsuchungsbeschlusses und dem Vollzug. Waffen wurden dabei, was niemanden wunderte, nicht gefunden.
Einige Nachfragen haben die Grünen auch zum Verhalten des Münchner Polizeipräsidenten Wilhelm Schmidbauer. Er hatte sich am 28. August 2007 im Bayerischen Hof mit dem Gaddafi-Sohn, seinem Anwalt, seiner Sekretärin und einem Beauftragten der libyschen Botschaft getroffen. Zweck des Treffens war, dem jungen Mann klarzumachen, dass er sich anständig benehmen soll. Der Polizeipräsident habe ihn, wie es in dem Schreiben des Ministeriums heißt, „über das in Bayern und Deutschland geltende Rechtssystem aufgeklärt und dabei insbesondere die Tragweite und die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips erläutert“. Er habe ihm klargemacht, dass er keine Vorrechte genieße und dass er über keine diplomatische Immunität verfüge.
Viel genutzt haben die Belehrungen offenbar nicht. Bereits im April 2008 kam das nächste Verfahren wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen das Waffen- und das Kriegswaffenkontrollgesetz in Gang. Es wurde ebenso eingestellt wie weitere Verfahren. Dabei stand unter anderem der Verdacht im Raum, der Gaddafi-Sohn habe einen Polizisten bespuckt und eine äthiopische Hausangestellte geschlagen und mit einer Pistole bedroht.
Die Grünen wollen die Vorgänge jetzt in allen Einzelheiten rekonstruiert wissen – vielleicht sogar in einem Untersuchungsausschuss.