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Landtag: Die Gesichter einer Affäre

Landtag

Die Gesichter einer Affäre

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    Georg Schmid
    Georg Schmid Foto: Foto: Fred Schöllhorn

    Sie war gestern im Landtag in aller Munde – die Verwandtenaffäre. Erst tagten die Fraktionen. Abends trafen sich die Vorsitzenden mit dem Ziel, das Abgeordnetengesetz heute gemeinsam verschärfen zu wollen. Ihr Vorschlag fiel dann deutlich schärfer aus als ursprünglich geplant. Demnach sollen künftig die Abgeordneten keine Familienmitglieder bis zum vierten Verwandtschaftsgrad mehr anstellen können – das betrifft Cousinen und Vettern. Ursprünglich war nur ein Verbot bis zum dritten Verwandtschaftsgrad geplant.

    Neues Abgeordnetengesetz: Keine Familienmitglieder bis zum dritten Verwandtschaftsgrad

    CSU-Fraktionschefin Christa Stewens erklärte die Verschärfung: Wäre die Anstellung von Cousinen und Vettern noch möglich, wäre das „klassische Vetterngeschäft“ weiter erlaubt. Doch wollen CSU, SPD, Grüne und FDP jeden Anschein der Vetternwirtschaft vermeiden. Auch in einem zweiten Punkt wird das neue Abgeordnetengesetz noch rigider als geplant: Künftig dürfen die Abgeordneten nämlich auch bis zum dritten Verwandtschaftsgrad keine Familienmitglieder anderer Abgeordneter mehr anstellen. Freie- Wähler-Chef Hubert Aiwanger sagte nein zu beiden Verschärfungen: „Das geht uns zu weit. Das wäre ein Riesenberufsverbot für sehr viele Leute. Künftig könnten dann tausende von Menschen in Bayern nicht mehr für Abgeordnete arbeiten.“

    Fünf Regierungsmitglieder haben auf Geheiß von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) angekündigt, Gelder, mit denen sie Verwandte entlohnt haben, an die Staatskasse zurückzuerstatten oder zu spenden. Teilweise ist dies schon erfolgt. Unter den 17 „Altfällen“, die noch in der aktuellen Legislaturperiode Ehepartner oder Kinder beschäftigten (alle ausnahmslos CSU), sind sechs Abgeordnete aus Schwaben. Nachfolgend eine Dokumentation:

    Regierungsmitglieder

    Beate Merk

    Die Justizministerin erteilte ihrer Schwester zwischen Februar 2010 und Februar 2013 Aufträge für Büroarbeiten. Dafür zahlte die Neu-Ulmerin nach eigenen Angaben monatlich durchschnittlich 1200 Euro. Die Arbeitslöhne habe sie „voll und ganz an die Staatskasse zurücküberwiesen“. Den Gesamtbetrag nannte Merk bisher nicht. Rücktrittsforderungen sind gegen sie nicht laut geworden, da die Beschäftigung eines Bruders oder einer Schwester erlaubt ist.

    Franz Pschierer

    Der Finanzstaatssekretär (Mindelheim) hat inzwischen alle Zuwendungen, die er in seiner Zeit als Mitglied der Staatsregierung an seine Frau bezahlt hat, beglichen. Sie war in seinem Stimmkreisbüro beschäftigt. Die Summe beläuft sich auf rund 42 000 Euro. Er habe sich, so Pschierer, rechtlich nichts zuschulden kommen lassen.

    Ludwig Spaenle

    Der Kultusminister aus München hat seine Ehefrau nach seiner Ernennung im Oktober 2008 als Teilzeitkraft weiterbeschäftigt. Er hat nach eigenen Worten die Absicht, 34 000 Euro zurückzuzahlen.

    Gerhard Eck

    Der Innenstaatssekretär aus Unterfranken gab zu, seiner Frau seit 1998 monatlich 760 Euro netto bezahlt zu haben. Er habe das Honorar – eine Summe nannte er nicht – inzwischen an die Staatskasse zurücküberwiesen. Eck betonte, stets „nach Ehre und Gewissen“ gehandelt zu haben.

    Helmut Brunner

    Der Landwirtschaftsminister, seit 2008 im Amt, räumte ein, neben seiner Frau auch seine Schwester und die Nichte jahrelang mit einem Minijob beschäftigt zu haben. 13 500 Euro wollte der Minister aus Niederbayern an die Staatskasse zurückzahlen.

    Abgeordnete aus Schwaben

    Eberhard Rotter

    Rotters Ehefrau hat, seit der Abgeordnete im Landtag sitzt (1990), monatlich 1250 Euro netto erhalten für 25 Arbeitsstunden in der Woche. „Das waren 23 Jahre ohne jegliche Beanstandung“, sagt er. Rotter (Kreis Lindau) weiß nach eigenen Worten noch nicht, ob er der Gesetzesänderung heute zustimmen wird.

    Peter Schmid

    Chronologie der "Verwandtenaffäre"

    15. April: Das Buch "Die Selbstbediener - Wie bayerische Politiker sich den Staat zur Beute machen" von Hans Herbert von Arnim erscheint und tritt die Diskussion um die "Familienaffäre" los. Zwei Tage später diskutiert der bayerische Landtag über Arnims Kritik.

    19. April: Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) veröffentlichte eine Liste von 17 Abgeordneten, die bis vor Kurzem rechtmäßig Verwandte ersten Grades beschäftigten.

    19. April: Ministerpräsident Horst Seehofer fordert die betroffenen Parteimitglieder auf, die Beschäftigungsverhältnisse mit ihren Familienangehörigen sofort zu beenden. CSU-Fraktionsvorsitzender Georg Schmid und Kultusminister Ludwig Spaenle kündigen daraufhin ihren Ehefrauen.

    23. April: Die Summe des Honorars von Georg Schmids Frau wird bekannt: Sie erhielt für ihre Leistungen monatlich zwischen 3.500 und 5.500 Euro brutto.

    25. April: Georg Schmid tritt aufgrund des schwindenden Rückhalts in der CSU und des medialem Drucks als Fraktionsvorsitzender zurück. Ein Neuburger Bürger zeigt Georg Schmids Ehefrau Gertrud wegen Scheinselbstständigkeit an.

    29. April: Georg Winter tritt als Haushaltsausschussvorsitzender im bayerischen Landtag zurück. Er hatte seine beiden Söhne im Alter von 13 und 14 Jahren sowie seine Frau beschäftigt. Die Staatsanwaltschaft Augsburg prüft Ermittlungen gegen Georg Schmid und seine Ehefrau wegen Scheinselbstständigkeit.

    30. April: Münchens Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Christian Ude fordert Schmid und Winter auf, auch ihre Landtagsmandate niederzulegen. Mittlerweile sind 17 Abgeordnete der CSU, zwei der SPD, ein Grüner sowie Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger in die Familienaffäre verwickelt.

    2. Mai: Georg Schmid gibt seinen Rückzug aus der Berufspolitik bekannt. Justizministerin Beate Merk, Landwirtschaftsminister Helmut Brunner und Kulturstaatssekretär Bern Sibler räumen ein, enge Verwandte beschäftigt zu haben.

    3. Mai: Landtagspräsidentin Barbara Stamm veröffentlicht eine Liste mit 79 Abgeordneten, die nach 2000 Familienangehörige beschäftigt haben oder hatten. Kultusminister Spaenle kündigt an, das volle Gehalt seiner Frau zurückzuerstatten. Ministerpräsident Seehofer fordert betroffene Abgeordnete auf, diesem Beispiel zu folgen.

    4. Mai: Fünf Kabinettsmitglieder kommen der Forderung Seehofers nach und wollen dem Staat die Gelder zurücküberweisen.

    6. Mai: Ministerpräsident Seehofer stellt seinen Drei-Punkte-Plan zur Überwindung der Familienkrise vor. Das Landtagsamt vertritt die Meinung, dass die Anstellung von Georg Winters Söhnen illegal war. Der will daraufhin das komplette Gehalt seiner Söhne an die Staatskasse zurückzahlen.

    7. Mai: Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International fordert alle betroffenen Abgeordneten auf, die Gelder zurückzuerstatten. Die Staatsanwaltschaft Ausburg will gegen den zurückgetretenen CSU-Fraktionschef Georg Schmid nach Angaben des Landtags ein Ermittlungsverfahren einleiten. Die Staatsanwaltschaft Augsburg kommentiert den Bericht vorerst jedoch nicht.

    8. Mai: Der Bayerische Oberste Rechnungshof schaltet sich in die Affäre ein. Er will rückwirkend die Vergabe von Abgeordneten-Jobs an Familienangehörige sowie die Neuregelung des Abgeordnetengesetzes prüfen.

    23. Februar 2014: Auf dem Höhepunkt der Verwandtenaffäre im Landtag beschließt die CSU einstimmig einen Verhaltenskodex. Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel hatte zusammen mit anderen CSU-Spitzenpolitikern den Kodex für ihre politischen Mandatsträger entwickelt, um Filz- und Amigo-Vorwürfen künftig jede Grundlage zu entziehen.

    25. Februar: Der schwäbische SPD-Abgeordnete Harald Güller wird im Rahmen der Verwandtenaffäre wegen Betrugs verurteilt. Er hatte den Sohn seiner Frau aus erster Ehe im Jahr 2009 für zwei Monate beschäftigt und 7500 Euro für Gehalt und Sozialversicherungsbeiträge aus der Landtagskasse gezahlt. Die Richterin argumentierte, dass Güller, der selbst Jurist ist, vorsätzlich gehandelt habe. Güllers Anwalt kündigte Berufung an.

    11. Juni: Nach einer Verfassungsklage der SPD werden im Landtag die Summen veröffentlicht, die Kabinettsmitglieder ihren Verwandten bezahlt haben. Bei den fünf Ministern und Staatssekretären der CSU – Helmut Brunner, Ludwig Spaenle, Gerhard Eck, Franz Pschierer und Bernd Sibler – liegt die Gesamtsumme der gezahlten Vergütungen seit 1997 bei über 1,3 Millionen Euro.

    25. Juli: Die Staatsanwaltschaft Augsburg erhebt Anklage gegen Georg Schmid. Der frühere CSU-Fraktionschef soll 350.000 Euro Sozialabgaben nicht bezahlt haben. Im Einzelnen lauten die Vorwürfe auf vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 262 Fällen sowie Steuerhinterziehung in 59 Fällen. Seiner Frau werden Beihilfe und Steuerhinterziehung vorgeworfen.

    Der Neu-Ulmer Parlamentarier scheidet nach 15 Jahren aus dem Landtag aus. Seiner Frau hat er für die Mitarbeit im Büro, das sich im Keller seines Hauses befindet, bis Herbst 2011 monatlich 350 Euro bezahlt. Danach waren es 1500 Euro, weil die Sekretärin ihre Stunden reduziert hatte und Arbeit umgeschichtet wurde. Ohne die Zuarbeit der Ehefrau ist dem 66-Jährigen nach eigenen Worten „eine geregelte Abgeordnetentätigkeit nicht mehr möglich“.

    Max Strehle

    Er räumte ein, seiner Frau, die sich um das Abgeordnetenbüro ihres Mannes kümmerte, ein Bruttogehalt in Höhe von 2500 Euro gezahlt zu haben. Er habe damit den für Landtagsmitglieder geltenden Pauschalbetrag von 7425 Euro „zu einem großen Teil nicht in Anspruch genommen“, sagte Strehle (Landkreis Augsburg), der dem Parlament seit 1982 angehört. „Ich habe mich immer an die geltenden Richtlinien gehalten.“ Erst vor kurzem seien seine Unterlagen vollständig geprüft worden. Strehle: „Es gab absolut nichts zu beanstanden.“

    Georg Schmid

    Der Donauwörther trat als CSU-Fraktionschef im Landtag und CSU-Kreisvorsitzender zurück. Bei der Landtagswahl am 15. September wird Schmid, der dem Parlament seit 1990 angehört, nicht mehr kandidieren. Dem 60-Jährigen wird vorgeworfen, seine Frau möglicherweise als Scheinselbstständige beschäftigt zu haben.

    Georg Winter

    Als Vorsitzender des Haushaltsausschusses trat der Politiker aus Höchstädt (Kreis Dillingen) zurück. Das Landtagsamt beanstandete, dass Winter 1990 seine beiden damals 13 und 14 Jahre alten Söhne illegal angestellt hatte. Er beschäftigte darüber hinaus seine Frau. Inzwischen hat Winter den gesamten Betrag für die Kinder nach eigenen Angaben „vollumfänglich“ zurücküberwiesen. Sein Mandat will er behalten und im Stimmkreis Augsburg-Land/Dillingen antreten.

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