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Landkreis Landsberg: 25 Jahre nach der Tat: Natalies Mörder könnte bald freikommen

Landkreis Landsberg

25 Jahre nach der Tat: Natalies Mörder könnte bald freikommen

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    1000 Menschen gedachten 1996 bei einem stillen Lichterzug in Epfach der kleinen Natalie Astner.
    1000 Menschen gedachten 1996 bei einem stillen Lichterzug in Epfach der kleinen Natalie Astner. Foto: Frank Leonhardt, dpa

    Für Natalies Eltern ist der Gedanke unerträglich, dass der Mörder ihrer kleinen Tochter irgendwann freikommt. Das haben sie immer betont. Und

    Es ist auf den Tag genau 25 Jahre her, dass das kleine Mädchen ermordet wurde. Die Tat gehört zu den entsetzlichsten Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte. Am Morgen des 20. September 1996 verlässt die Erstklässlerin Natalie Astner das Elternhaus in Epfach (Landkreis Landsberg). Sie will zur Schule. Doch auf dem kurzen Weg wird sie von dem damals 27-jährigen Kfz-Elektriker Armin S. abgepasst. Er zerrt das Kind in den Kofferraum eines Autos, das er zuvor gestohlen hat, und fährt zum Lech. Dann entkleidet er das Mädchen und begrapscht es.

    Natalie flehte ihn an, er möge sie freilassen

    Natalie fleht ihn an, er möge sie freilassen. Sie sagt, ihr Vater würde ihm 1000 Mark geben, wenn sie gehen könnte. So stand es in S.’ Geständnis. Als die Kleine den Täter ansieht, dreht er nach eigener Aussage durch. Er schlägt Natalie bewusstlos, legt sie in den Lech und lässt sie ertrinken. Die Leiche wird zwei Tage später gefunden.

    Die Erinnerungsstätte von Natalie Astner
    Die Erinnerungsstätte von Natalie Astner Foto: Christian Rudnik

    Schnell mischt sich in das Entsetzen riesige Wut. Es wird bekannt, dass Armin S. kein unbeschriebenes Blatt ist. Er war bereits wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Frauen zu viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, durfte allerdings schon nach drei Jahren vorzeitig wieder aus dem Gefängnis. Gutachter waren zu dem Schluss gekommen, dass er keine Gefahr mehr darstelle – ein schrecklicher Irrtum.

    Armin S. wurde zu lebenslanger Haft verurteilt

    Im Dezember 1997 verurteilt das Landgericht Augsburg Armin S. zu lebenslanger Haft und stellt die besondere Schwere der Schuld fest. Eine Entlassung nach 15 Jahren ist damit ausgeschlossen. Doch nach 18 Jahren durfte der Verurteilte beantragen, den Rest der Strafe zur Bewährung auszusetzen. S. machte von dieser Möglichkeit 2014 sofort Gebrauch. Das Landgericht Koblenz lehnte den Antrag aber ab und legte fest, dass der Mörder mindestens weitere fünf Jahre in Haft bleiben muss.

    Armin S. ist heute 53. Er sitzt nach mehreren Verlegungen im Hochsicherheitsgefängnis in Diez an der Lahn in Rheinland-Pfalz. 25 Jahre lang ist er eingesperrt. Aber wie lange wird er noch hinter Gittern bleiben müssen? Unter Juristen ist seit langem klar, dass es von Mal zu Mal schwieriger sein wird, die Anträge auf vorzeitige Entlassung abzulehnen. Irgendwann wird der Tag wohl kommen, an dem der Sexualverbrecher und Mörder frei ist. An dem lebenslang nicht mehr lebenslang bedeutet.

    Der Täter darf das Gefängnis in Begleitung eines Vollzugsbeamten hin und wieder verlassen

    Nun verdichten sich die Hinweise, dass der Tag in nicht mehr allzu ferner Zukunft liegen könnte. Seit einem Jahr darf Armin S. in Begleitung eines Vollzugsbeamten das Gefängnis hin und wieder für Freigänge verlassen. Das berichtet die bekannte Opferanwältin Marion Zech, die Natalies Eltern seit Jahrzehnten vertritt. Im August 2020 sei sie darüber informiert worden. Solche begleiteten Freigänge sind untrügliche Anzeichen dafür, dass die JVA den Häftling langsam auf ein Leben in Freiheit vorbereiten will. Die nächste Stufe wären Freigänge in Begleitung von Verwandten oder Vertrauenspersonen. Ob es die mittlerweile schon gibt, weiß Anwältin Zech nicht. Sie hat darüber keine Informationen erhalten.

    Fälle getöteter Kinder in Deutschland

    Februar 2002: Am Rosenmontag 2002 steigt ein junger Mann in das Haus einer Familie in Gersthofen und ermordet die zwölfjährige Vanessa. Der Täter wird gefasst und zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt.

    6. Mai 2004: Die achtjährige Levke aus Cuxhaven verschwindet nach der Schule. Dreieinhalb Monate später wird ihre skelettierte Leiche in einem Sauerländer Waldstück gefunden. Der Täter tötet am 30. Oktober 2004 auch den achtjährigen Felix. Er wird 2005 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.

    Juni 2004: In Metzels (Thüringen) erwürgt und ersticht ein 38 Jahre alter vorbestrafter Kinderschänder die sechsjährige Jessica. Die Kleine war auf dem Heimweg vom Kindergarten.

    13. Oktober 2004: Die siebenjährige Angelina wird vom 17-jährigen Bruder ihrer Freundin vergewaltigt und anschließend ermordet.

    17. Februar 2005: Der der neunjährige Peter wird in München ermordet aufgefunden. Die Polizei nimmt einen 28-jährigen vorbestraften Kindesmörder fest, der mit Peters Vater bekannt war.

    17. Mai 2005: Ein 37-Jähriger zerrt die sechsjährige Ayla in Zwickau in sein Auto und tötet sie.

    22. Februar 2007: In Leipzig wird der neunjährige Mitja wahrscheinlich sexuell missbraucht und erstickt. Der Täter wird nach einem Suizidversuch festgenommen und 2007 zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

    7. September 2007: Die achtjährige Jenisa verschwindet in Hannover auf dem Weg zu ihrer Tante. Vier Tage später findet die Polizei Kleidungsstücke und Schuhe eines Mädchens, die zur Beschreibung der Bekleidung Jenisas zum Zeitpunkt ihres Verschwindens passen. Von dem Mädchen fehlt bis heute jede Spur.

    18. August 2008: Die achtjährige Michelle aus Leipzig kehrt nicht von der Ferienbetreuung in der Grundschule nach Hause zurück. Drei Tage später wird am Stötteritzer Wäldchen im Südosten Leipzigs ihre Leiche entdeckt. Der geständige Täter, ein 19-Jähriger, wird im Oktober 2009 zu einer Jugendstrafe von neuneinhalb Jahren verurteilt.

    12. Januar 2009: Die achtjährige Kardelen aus Paderborn verschwindet auf dem Weg zu einer Freundin. Drei Tage später wird ihre Leiche am rund 60 Kilometer entfernten Möhnesee gefunden. Der 29-jährige mutmaßliche Täter, ein Nachbar, wird vier Wochen nach der Ermordung in der Türkei gefasst. Im Dezember 2009 wird er dort zu lebenslanger Haft verurteilt.

    Juli 2009: Polizisten finden die Leiche der neunjährigen Corinna aus Eilenburg (Sachsen) in einem Nebenarm der Mulde. Das Kind fiel einem Sexualverbrechen zum Opfer.

    3. September 2010: Der zehnjährige Mirco aus Grefrath verschwindet abends auf dem Heimweg. Die Polizei geht bald von einem Verbrechen aus. Erst im Januar 2011 können die Ermittler einen Verdächtigen festnehmen. Der 45-jährige aus dem nahe gelegenen Schwalmtal ist geständig und führt die Ermittler zu Mircos Leiche. Er wird später verurteilt.

    15. November 2010: Die 14-jährige Nina aus Bodenfelde in Niedersachsen kehrt nicht nach Hause zurück. Wenige Tage später verschwindet der 13 Jahre alte Tobias. Am 21. November werden die Leichen der beiden Kinder am Ortsrand von Bodenfelde gefunden. Wenig später wird der 26-jährige Jan O. festgenommen.

    April 2012: Wegen Mordes aus Habgier muss der Onkel von Chiara (8) und Sharon (11) aus Krailling bei München lebenslang in Haft. Der verschuldete Familienvater habe im März 2011 auch die Mutter der Kinder umbringen wollen, um seiner Frau ein Erbe zu verschaffen, urteilt das Gericht. Die Verteidigung legt Revision ein.

    25. März 2012: In einem Parkhaus in Emden wird ein totes Mädchen gefunden. Ihr 19-jähriger Mörder wird später gefasst und seine Unterbringung in einer Psychiatrie angeordnet - auf unbestimmte Zeit. Er sei wegen einer schweren Persönlichkeitsstörung vermindert schuldfähig und eine "Gefahr für die Allgemeinheit", so das Gericht.

    16. Februar 2014: Angler finden die Leiche der zwölfjährigen Franziska aus dem Kreis Eichstätt. Ein 26-Jähriger hat die Tat gestanden.

    Diese restriktive Informationspolitik gegenüber Angehörigen von Verbrechensopfern wird seit langem scharf kritisiert. Geändert hat sich nichts. Natalies Eltern und ihre Anwältin Marion Zech bekommen die seltenen Hinweise auch nur, weil sie sich seit rund 20 Jahren in einem Vollstreckungsverfahren gegen den Täter befinden. Sie hatten in einem Zivilprozess Schmerzensgeld erstritten, das seither vom sogenannten Eigengeld des Täters im Gefängnis gepfändet wird. Es sind etwa 200 Euro jeden Monat. Nur weil es diesen rechtlichen Vorgang gibt, werden die Angehörigen zumindest über die wesentlichen Justiz-Entscheidungen zu dem Mörder ihrer Tochter informiert. Eine solche Entscheidung wäre auch die vorzeitige Entlassung von Armin S. Doch wenn es nach Natalies Eltern geht, darf diese Entscheidung noch lange auf sich warten lassen.

    Die heftige Debatte damals nach dem Mord an Natalie über den Umgang mit Sexualstraftätern mündete Anfang 1998 in eine Gesetzesverschärfung. Die Obergrenze von zehn Jahren bei der erstmaligen Anordnung der Sicherungsverwahrung wurde gestrichen. Es war der Auftakt zu einer neuen, härteren strafrechtlichen Gangart gegenüber Gewalt- und Sexualstraftätern.

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