Kein bayerischer Herrscher hat die Menschen so bewegt wie Ludwig II. Widersprüchlich war sein Leben, rätselhaft sein Sterben. 125 Jahre nach Ludwigs Tod zeigt die Landesausstellung im Neuen Schloss Herrenchiemsee das facettenreiche Wesen und Wirken des berühmtesten Wittelsbachers. Jede Woche stellen wir ein Fundstück aus der Schau „Götterdämmerung. Ludwig II.“ vor. Heute geht es darum, wie die Figur des Königs im Film geformt wurde.
Kein Drehbuchautor hätte wohl einen besseren Stoff erfinden können: Ludwig II. greift nach den Sternen und stürzt in die Nacht. Die Schauplätze des Lebens von Ludwig, seine irrealen Schlösser, sind wahre Traumgebilde mit großem cineastischen Potenzial. Dann ist da die unmögliche Liebe zu Elisabeth von Österreich („Sisi“). Schließlich ist Ludwig II. als Charakter ein Grenzgänger. Ludwig II. wird, so könnte man sagen, erst im Film und durch den Film zur vollends modernen Figur.
In den Filmen, entstanden im Zeitraum von 75 Jahren, wandelt sich das Bild Ludwigs II. Die frühen Streifen zeigen ihn als zerrissenen Traum-König. Der prekäre Künstlertypus und der spätmoderne „Pop“-Künstler sind weitere Deutungen.
Ludwigs Leben im Film beginnt stumm. In Rolf Raffés „Das Schweigen am Starnbergersee. Schicksalstage Ludwigs II. König von Bayern“ (1920) wird der König von dem Sänger Martin Wilhelm und dem Schauspieler Ferdinand Bonn verkörpert. Im Film geht der König zugrunde einmal am Verrat seiner Verlobten Sophie, von der er glaubt, dass sie ihn mit einem Maler betrügt, zum anderen am erzwungenen Abschied von Richard Wagner und zum Dritten am Krieg von 1870/71. Raffé, und das ist entscheidend, assoziiert Ludwig immer deutlicher mit Christus. Ein Zwischentitel beschreibt seine Passion: „Schwer drückt die Dornenkrone“.
Zehn Jahre später bringt Wilhelm Dieterle seinen Stummfilm „Ludwig der Zweite, König von Bayern. Das Schicksal eines Menschen“ (1930) in die Kinos. Dieterle selbst mimt den König. Die in Mode gekommene Psychoanalyse spielt eine wichtige Rolle
Es liegt zunächst nahe, Helmut Käutners „Ludwig II.“ (1955) ganz im Kontext des deutschen Films der 50er Jahre und ihre höchst sentimentale Nostalgie nach den guten alten „Kaisers Zeiten“ zu verstehen. Doch man sollte Käutner weniger als Künstler der Konvention sehen, der er in dieser Zeit gewiss auch war, sondern als einen, der sich für die dünne Grenzlinie zwischen dem Sozialen und der Psyche und für die offenen Wunden interessiert, die Geschichte und Gesellschaft dem Individuum zufügen. Daraus bezieht Käutner das Potenzial seiner besten Melodramen. Immer wieder betont Ludwig II., dargestellt von O. W. Fischer, bei Käutner seinen Wunsch, „rein“ leben zu wollen, ohne „Lug’ und Verrat“, ohne sich den Imperativen der Machtpolitik fügen zu müssen. Doch da er sich nicht fügt, fällt er ihnen zum Opfer.
Kunst und Politik in ihrem prekären Verhältnis zueinander: Das ist das Thema von Luchino Viscontis vierstündigem Film „Ludwig II.“ (1972). Im Schicksal des Königs, dargestellt von Helmut Berger, zeichnet sich für Visconti paradigmatisch das Schicksal der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft ab: Entweder sie wirkt in der Öffentlichkeit und wird doch immer wirkungsloser, weil weder Wissenschaft noch Industrie oder Politik ihrer wirklich bedürfen, oder sie verschließt sich in sich, sie wird zum „ewigen Rätsel“, wie Ludwig.
Der Film der Brüder Dubini „Ludwig 1881“ (1995) stellt sich danach einer großen Herausforderung. Die Dubinis sind Dokumentaristen und auch in ihrem „Ludwig“-Film halten sie sich fast durchgängig an historische Dokumente. In der Inszenierung lässt sich ebenfalls eine beinahe semi-dokumentarische Haltung feststellen, so, als vollzöge sich vor der Kamera ein Experiment, das es zu beobachten gälte, als sei der Ausgang offen. Er ist es nicht, was den einen Handlungsstrang angeht: die Reise Ludwigs II. mit dem Schauspieler Josef Kainz in die Schweiz 1881. Ludwigs Wunsch – sein Experiment – war es, sich an den Schauplätzen von Schillers „Wilhelm Tell“ von der Stimme von Kainz, der den Text deklamiert, in die „Geschichte“ tragen zu lassen.
Das Opfer seiner hochfliegenden Träume
Die immer wieder aufgenommene und filmisch aufbereitete Geschichte Ludwigs hat ihren Teil zum Mythos und zur „Popfigur Ludwig“ beigetragen. So ist es wohl nicht verfehlt, von diesem bis dato letzten Bild Ludwigs II. im Film einen Bogen zu schlagen zu jenem Mann, der sich zum „King of Pop“ krönte: zu Michael Jackson, dem genialen Performer seiner selbst, der vor unseren Augen zuerst immer sonderlicher, immer künstlicher wurde, dann unverständlicher und tragischer, vielleicht das Opfer seiner hochfliegenden Träume, vielleicht das von Intrigen, bis zum mysteriösen frühen Tod. Was für Ludwig die Schlösser waren, das war für Jackson Neverland, sein Traumreich. AZ
Götterdämmerung. König Ludwig II. Bis 16. Oktober 2011, täglich geöffnet von 9–18 Uhr, Schloss Herrenchiemsee.