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Landarztquote: Wie gut kommt das Medizinstudium ohne Einserschnitt an?

Landarztquote

Wie gut kommt das Medizinstudium ohne Einserschnitt an?

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    Weil in vielen ländlichen Regionen in Bayern Hausärzte fehlen, gibt es im Freistaat seit diesem Jahr eine Landärztequote.
    Weil in vielen ländlichen Regionen in Bayern Hausärzte fehlen, gibt es im Freistaat seit diesem Jahr eine Landärztequote. Foto: Ulrich Wagner (Symbol)

    Katja Wirthensohn wollte schon immer Ärztin werden. Die Praxis ihrer Mutter übernehmen, die der Großvater gründete, das ist seit vielen Jahren ihr Traum. Unzählige Stunden ihrer Kindheit verbrachte sie in der Spielecke im Wartezimmer. Statt „Vater, Mutter, Kind“ stellte sie mit ihren Freunden am liebsten „Arzt und Patient“ nach. Je älter sie wurde, desto größer wurde der Wunsch, Medizin zu studieren. Bis der Schulabschluss kam. „Ich war gut am Gymnasium, habe einen Abischnitt von 2,1“, erzählt die junge Frau aus Altusried im Oberallgäu.

    „Aber das reicht eben noch lange nicht, um einen Medizinstudienplatz zu ergattern.“ In Bayern liegt der Numerus clausus – also die Note, mit der man einen Studienplatz bekommt – derzeit bei 1,0. Zu hoch, für Katja Wirthensohn. Doch nun, mit 23, bekommt die junge Frau eine zweite Chance.

    Wer sich nicht daran hält, dem droht eine Strafe von 250.000 Euro

    In Bayern gilt ab kommendem Wintersemester erstmalig eine Landarztquote. Das bedeutet, dass die Staatsregierung 5,8 Prozent aller Medizinstudienplätze an junge Menschen vergibt, die nicht die passenden Noten haben, um regulär einen Platz zu bekommen. Im Gegenzug müssen sich die angehenden Mediziner dazu verpflichten, nach ihrer Ausbildung für zehn Jahre als Hausarzt im ländlichen Raum zu arbeiten. Wer sich nicht daran hält, muss 250.000 Euro zahlen.

    In Bayern gibt es in immer mehr Dörfern überhaupt keine Hausarztpraxen mehr, viele Menschen müssen weit fahren, wenn sie krank sind und eine Behandlung brauchen. Dieser Entwicklung will der Freistaat mit der neuen Landarztquote entgegenwirken. Mehrere hundert Kandidaten bewarben sich, 114 Bewerber bekamen eine Zusage – Katja Wirthensohn ist eine von ihnen.

    Katja Wirthensohn mit ihrer Mutter Eva in Altusried
    Katja Wirthensohn mit ihrer Mutter Eva in Altusried Foto: Wirthensohn

    Für die junge Frau war nach dem Abitur klar, dass sie sich einen anderen Weg suchen muss, um ihren Traum wahr werden zu lassen. Sie machte ein Freiwilliges Soziales Jahr und studierte Gesundheitsökonomie. „Das war auch toll, aber ich habe gemerkt, dass mir der persönliche Kontakt zu den Menschen am meisten Spaß macht.“ Im Herbst 2019 stellte sie sich darauf ein, für das lang ersehnte Studium ins Ausland zu gehen. „Doch dann kam in Bayern die Landarztquote, das hat zeitlich perfekt gepasst.“ Als die Zusage kam, fiel Wirthensohn vor Freude erst mal vom Stuhl. „Das war ein krasses Gefühl. Meine Oma hat sich am meisten gefreut. Sie hat die Praxis in Altusried mit meinem Opa eröffnet. Jetzt bekomme ich vielleicht die Chance, sein Lebenswerk fortzuführen.“

    Doch bis es so weit ist, dass Wirthensohn die Praxis ihres Großvaters, die jetzt die Mutter führt, übernehmen kann, dauert es noch eine lange Zeit: sechs Jahre Studium plus fünf Jahre Facharztausbildung und dann für zehn Jahre als Hausärztin in einem Bedarfsgebiet arbeiten – also in einer Region in Bayern, in der es nicht genügend Hausärzte gibt oder in der eine Unterversorgung droht.

    Landarztquote: Was macht den Reiz aus, als Landarzt zu arbeiten?

    Welche Gebiete das sind, erfasst die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB). Rund ein Dutzend sind es momentan, die meisten davon liegen im Norden Bayerns. In unserer Region ist momentan nur Donauwörth betroffen, wie die KVB auf Anfrage mitteilt. Doch man kann davon ausgehen, dass sich die Situation in den nächsten Jahren auch in Schwaben weiter verschlimmern wird. Davon ist Sebastian Völkl, angehender Allgemeinmediziner aus Nördlingen, überzeugt.

    Völkl ist jetzt da, wo Katja Wirthensohn in zehn Jahren sein möchte. Nach dem Abitur – er schaffte einen Schnitt von 2,6 – bekam auch er keinen Studienplatz für Humanmedizin. Er machte eine Ausbildung zum Rettungsassistenten, nach fünf Jahren wurde ihm dann doch ein Platz zugelost. Er befindet sich gerade im letzten Jahr seiner Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner und schwärmt von seinem Beruf. „Die Allgemeinmedizin ist das breiteste Fachgebiet von allen. Ich begleite meine Patienten von klein auf bis ins hohe Alter.“

    Sebastian Völkl, der außerdem Mitglied im bayerischen Hausärzteverband und der Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbands Nordschwaben ist, hält die bayerische Landarztquote für ein gutes Projekt: „Bei vielen jungen Leuten hat der Landarzt einen schlechten Ruf. Es müssen Anreize geschaffen werden, um als Hausarzt aufs Land zu gehen. Finanziell oder eben mithilfe von Studienplätzen.“

    Können junge Menschen wirklich das Ausmaß ihrer Entscheidung abschätzen?

    Manche Kritiker sehen in der Landarztquote allerdings den falschen Weg, um etwas gegen die drohende Unterversorgung im ländlichen Raum zu tun. Unter ihnen sind Vertreter des Hartmannbundes – ein Berufsverband für Ärzte in Deutschland mit nach eigenen Angaben mehr als 70.000 Mitgliedern. Einige halten die Landarztquote für unvereinbar mit der Freiheit der ärztlichen Berufsausübung. In einem Positionspapier argumentiert der Interessenverband, es entstehe die Gefahr, dass Ärzte ausgebildet würden, die sich nicht mit ihrer Tätigkeit identifizieren. Zudem bestünde die Gefahr, dass sich reiche Studenten einen Platz erkaufen könnten und die Vertragsstrafe in Kauf nehmen. Bayerische Studentenvertretungen kritisieren außerdem, dass viele junge Menschen gar nicht abschätzen könnten, was es bedeute, sich für die nächsten 20 Jahre festzulegen.

    Andere Mitglieder des Hartmannbundes sehen die Landärztequote durchaus positiv. Unter ihnen ist zum Beispiel der bayerische Vorsitzende Wolfgang Locher. Er habe viel Verständnis für die Sorgen der vom Arztmangel betroffenen Landkreise und für den Ruf der Landräte nach einer Sicherung der medizinischen Grundversorgung der Landbevölkerung. Seiner Meinung nach musste die Politik handeln und hat mit der Landärztequote einen langfristig sinnvollen Weg beschritten. Locher verwahrt sich auch gegen eine Infantilisierung junger Menschen, die mit dem Argument verbunden sei, Abiturienten seien noch nicht reif genug für berufliche Weichenstellungen. "Zwanzigjährige, die als Wähler die Geschicke eines Landes politisch mitbestimmen, sind auch in der Lage, berufliche Entscheidungen für ihr eigenes Leben zu treffen."

    Es sind die Punkte und Fragen, die auch Katja Wirthensohn beschäftigt. Auch sie fragt sich, wie das wäre, wenn sie nach dem Studium in ein bestimmtes Gebiet in Bayern hinbeordert werden würde und nicht die Praxis der Mutter übernehmen darf. Was ist, wenn sie bis dahin Partner und Kinder hat, die ebenfalls mit ihr umziehen müssten? Doch die Freude, dass sie im Herbst mit dem Medizinstudium beginnen kann, überwiegt momentan diese Fragen. „Ich weiß, was ich will und was ich kann. Das gibt mir Selbstsicherheit.“

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