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Kriminalität: Seit sechs Jahren jagen Augsburger Fahnder eine Steuerbetrüger-Bande

Kriminalität

Seit sechs Jahren jagen Augsburger Fahnder eine Steuerbetrüger-Bande

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    Es ist momentan eines der größten internationalen Ermittlungsverfahren.
    Es ist momentan eines der größten internationalen Ermittlungsverfahren. Foto: Alexander Kaya (Symbolbild)

    Die Szene wirkt wie aus einem Fernsehkrimi: Nachts auf Mallorca brechen Polizisten mit Helmen und Schutzwesten mittels eines Rammbocks die Eingangstür eines Luxus-Wohnhauses auf. Mit gezückten Pistolen stürmen sie ins Haus. Sekunden später sieht man einen Mann auf einem Sofa sitzen. Er hat nur eine Schlafanzughose an, die Hände sind auf den Rücken gefesselt. Eine junge Frau huscht durchs Bild.

    All dies hat sich im Oktober 2013 tatsächlich so abgespielt. Es ist ein Einsatzfilm der spanischen Guardia Civil. Was nicht zu sehen ist: Auch ein Augsburger Staatsanwalt war bei der Razzia dabei: Marcus Paintinger. Seit sechs Jahren schon ist der 43-Jährige in Europa mit einem Spezialauftrag unterwegs: Er spürt einem grenzüberschreitend aufgezogenen Betrug mit der deutschen Umsatzsteuer nach. Durch Täuschung haben Finanzämter in verschiedenen Bundesländern zig Millionen Euro an Händler von Elektronikartikeln ausbezahlt. Es ist momentan eines der größten internationalen Ermittlungsverfahren. Die Augsburger Staatsanwaltschaft zählt mehr als 300 Beschuldigte. Nun neigen sich die Ermittlungen dem Ende zu, teilten

    Die verhängten Haftstrafen summieren sich auf 200 Jahre

    Staatsanwalt Marcus Paintinger.
    Staatsanwalt Marcus Paintinger. Foto: Ulrich Wagner

    Die Ausmaße des Verfahrens sind demnach gewaltig: Für die Zerschlagung der mafiösen Strukturen arbeiten die bayerischen Fahnder mit Kollegen in mehr als 30 Ländern zusammen. Die Ermittlungen erstreckten sich beispielsweise über Belgien, Dänemark, Großbritannien, Norwegen, Spanien und Italien bis in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Hongkong. 612 Wohnungen, Büros oder Lager wurden durchsucht. Bislang wurden in Augsburg 72 Angeklagte in 30 Verfahren verurteilt. Die verhängten Haftstrafen summieren sich auf 200 Jahre. Dem Fiskus ist ein Steuerschaden von rund 60 Millionen Euro entstanden.

    Die Umsatzsteuer-Mafia war weltweit vernetzt und verständigte sich mit Tarnnamen hoch konspirativ über verschlüsselte Kommunikationsmedien. Die Sicherung und Aufbereitung von 25 Terabyte (27,5 Millionen Megabyte) stellte die IT-Experten des Landeskriminalamts vor bislang nicht gekannte Herausforderungen.

    Hintergrund des Mega-Verfahrens ist ein sogenanntes Umsatzsteuerkarussell. Umsatzsteuer ist der Fachbegriff für die im Volksmund als Mehrwertsteuer bezeichnete Abgabe. Es handelt sich um eine Endverbrauchersteuer, die sich Unternehmen vom Finanzamt erstatten lassen können. Die Bande nutzt eine Besonderheit im europäischen Recht: Bei den illegalen Karussellgeschäften schieben die Kriminellen Waren innerhalb Europas im Kreis umher, um mittels manipulierter Rechnungen von den Finanzbehörden Erstattungen kassieren zu können.

    Für die Augsburger Justiz steht noch jahrelange Arbeit an

    Die Soko „Karussell“ stützt sich bei ihren Ermittlungen auf mehrere Kronzeugen. Einer von ihnen, ein Engländer, sagte erst vor wenigen Tagen in einem Prozess vor der 9. Strafkammer aus. Dort ist ein Landsmann angeklagt. Der 54 Jahre alte Zeuge ist in Augsburg als ein wichtiger Kopf der Bande zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt worden. Dennoch läuft er seit dem Urteil frei herum. Er ist in einem Zeugenschutzprogramm. Zum

    Während die Ermittler ihre Arbeit nun langsam beenden, steht für die Augsburger Justiz noch jahrelange Arbeit an. „Dieser Komplex wird uns mindestens noch bis ins Jahr 2019 beschäftigen“, sagt Landgerichtspräsident Herbert Veh. Das Gericht ist in den vergangenen Jahren mit Verfahren aus dem Bereich der Umsatzsteuerkarusselle regelrecht überschwemmt worden.

    Daher wurde im Laufe der Jahre die Zahl der Wirtschaftsstrafkammern von zwei auf sechs erhöht, um die komplexen Verfahren abarbeiten zu können. Viele besonders aufwendigen Prozesse gegen die Hintermänner der Steuer-Mafia stehen laut Landgerichtspräsident Herbert Veh aber erst noch an.

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