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Kriegsende in Schwaben und Oberbayern (Folge 2)

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Kriegsende in Schwaben und Oberbayern (Folge 2)

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    Bombennacht, Bismarck Brücke
    Bombennacht, Bismarck Brücke Foto: Silvio Wyszengrad

    Als die Besetzung durch die 3. und 7. US-Armee und durch die 1. französische Armee bereits unaufhaltsam im Gange ist und die Wehrmacht ihr Heil nur noch in hinhaltenden Rückzugsgefechten sieht, läuft die Propagandamaschinerie immer noch auf vollen Touren. Zeitgewinn heißt die Parole. Die Parteiprominenz der NSDAP verkündet mit Geheim- und Wunderwaffen "die große Wende". Durchhalteappelle und drakonische Maßnahmen sollen die zunehmenden Auflösungserscheinungen der demoralisierten Truppe verhindern.

    Eine Verordnung des Reichsjustizministers vom 15. Februar 1945 sieht die (berüchtigten) Standgerichte "in feindbedrohten Verteidigungsbezirken' vor. Darin steht u. a.: "Die Härte des Ringens um den Bestand des Reiches erfordert von jedem Deutschen Kampfentschlossenheit und Hingabe bis zum Äußersten. Wer versucht, sich seinen Pflichten gegenüber der Allgemeinheit zu entziehen, insbesondere, wer dies aus Feigheit oder Eigennutz tut, muss sofort mit der notwendigen Härte zur Rechenschaft gezogen werden." Im Klartext heißt dies: Erschießen oder Aufhängen.

    Der - Erlass Hitlers am 25. September '44, "alle waffenfähigen Männer von 16 bis 60 Jahren" einzuberufen - dient als letztes militärisches Mittel des geschlagenen "Führers". Der Volkssturm soll die Wehrmacht stärken und gegen den Feind "einen unerbittlichen Kampf führen". Der Appell der Hitler-Chargen an die Heimatliebe löst aber oft eine gegenteilige Wirkung aus. Unzählige Male verweigern Männer des Volksturms - vor allem die älteren Jahrgänge - den Gehorsam.

    Selbstherrliche SS-Offiziere, Herren über Leben und Tod, sprechen von "ehrvergessenen Subjekten und Schweinehunden", die "den Tod der Schande sterben". Mutige Männer zahlen für ihren Widerstand mit dem Leben. Frauen - oft Kinder an der Hand - demonstrieren und bieten Widerstand.

    Am 19. März 1945 ordnet Hitler in dem sogenannten an, dass vor dem Rückzug alle Verkehrs- und Versorgungs anlagen (Brücken, Gas-, Wasser-, Elektrizitätswerke, Fabriken, Bergwerke, Vorratslager) zu sprengen seien. Als Rüstungsminister Speer protestiert und sagt, das deutsche Volk wolle auch nach dem Krieg weiterleben, antwortet ihm Hitler zynisch: "Wenn der Krieg verlorengeht, wird auch das Volk verloren sein. Was nach dem Kampf übrigbleibt, sind ohnehin die Minderwertigen. Die Guten sind gefallen."

    Hitlers Wahnsinns-Befehle werden weitgehend befolgt. Fanatische Parteifunktionäre, Standgerichte, SS und Gestapo sorgen dafür. Eine Anordnung vom 10. April '45 bestimmt jede deutsche Stadt zur "Festung" und zwingt den Kommandanten, sie bis zuletzt zu verteidigen. Auf kampflose Übergabe steht die . Laut "Flaggenbefehl" vom Reichsführer SS, Himmler, sind alle männlichen Bewohner eines Hauses, auf dem zum Zeichen der Übergabe eine weiße Fahne weht, "auf der Stelle" zu erschießen. Die Häuser seien niederzubrennen.

    Die Stimmen der Vernunft werden selten erhört von selbstgefälligen, machtbesessenen, wirklichkeitsfremden SS-Trupps. Nazi-Kommandeure finden das "offene Zusammenarbeiten mit dem Feind abscheulich". Die NS-Tyrannei feiert noch blutige Triumphe. In (Landkreis Günzburg) werden Harrer Leonhard Moll, Bürgermeister Schmid, Gendarmeriemeister Bader und Ortsgruppenleiter Schlosser wegen Hissens der weißen Fahne verhaftet und zum Standgericht ins benachbarte Scheppach gebracht. Die Vernehmungen durch einen SS-General dauern noch an, als sich US-Panzer dem Ort nähern. Die Feldgendarmerie flüchtet, die Todesurteile werden nicht mehr vollstreckt.

    Auch der Bürgermeister von , Alois Kolb, entrinnt nur knapp dem Tod durch die SS-Schergen. Kolb setzt sich zur Rettung des Ortes für die Einstellung deutschen Artilleriefeuers gegen die Amerikaner ein und wird wegen Wehrkraftzersetzung" angeklagt. Ein SS-Spähtrupp dringt kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner in die unter Beschuss liegende Stadt ein, um Kolb abzuholen. Eine mutige Frau, Anna Baur, stürmt ins Rathaus und warnt den Bürgermeister. Die SS-Leute und drei Hitlerjungen finden im sinnlosen Kampf gegen US-Panzer den Tod. In Niederraunau bei Krumbach lassen unverantwortliche SS-Offiziere 16-, 17-jährige noch Geschütze aufstellen, fliehen dann vor den heranrückenden Amerikanern und lassen die hilflosen Burschen zurück. In (Kreis Günzburg) werden Bürgermeister Kern und Pfarrer Portenlänger verhaftet, verhört und mit dem Tode durch Erschießen bedroht. Es bleibt bei der Drohung.

    In (Kreis Neu-Ulm) bittet am 24. April eine SS-Einheit bei einem Bauern morgens um Milch. Die Tochter des Landwirts sagt zu einem Soldaten: "Geht doch heim, ihr könnt doch nichts mehr ausrichten." Da nimmt sie einer beiseite mit den Worten: "Reden Sie nicht so viel, wir haben Leute dabei, die vor nichts zurückschrecken. Wir kommen gerade von Unterkirchberg, da ist heute nacht was Schreckliches passiert." (Gemeint ist die Erschießung von drei Männern, die weiße Tücher aus dem Fenster gehängt hatten.)

    Am selben Tag werden in (bei Neu-Ulm) Schmiedemeister Wörz und Bauer Stetter von zwei SS-Männern erschossen. Ihr "Verbrechen": Sie wollen Soldaten vor Errichtung einer Panzersperre abhalten und die Zerstörung des Ortes vermeiden. Weil er mit anderen Bürgern aus Deiningen (bei Nördlingen) Panzersperren vor einer Brücke beseitigt, wird dem Landwirt Michael Römer von SS-Offizieren der Prozess gemacht. Er wird auf der Flucht auf offener Straße niedergestreckt. Im Ries-Städtchen flehen Frauen und Kinder auf Knien den Kommandanten, die weiße Fahne hissen zu dürfen. Herzlos lehnt der SS-Mann ab. Die Folge: Wemding wird von US-Artillerie beschossen. Mehr als 100 Häuser werden zerstört und beschädigt, neun Einwohner sterben.

    In bei Augsburg proben etwa 500 mutige Bürger, meist Frauen, den Aufstand: Sie bauen trotz der Drohungen der heißspornigen SS-Leute, die auch Warnschüsse abfeuern, Panzersperren ab, die auf der von herführenden Straße vom Volkssturm errichtet worden sind. Offiziere befehlen unter Androhung des Standrechts über den Ort die Wiederinstandsetzung der Barrieren. Die durch nichts einzuschüchternden Frauen beseitigen das Hindernis - auch mit Hilfe eines Ochsengespanns. Bürger haben mit herangerückten US-Truppen Kontakt aufgenommen - auch der zum Durchhalten entschlossene Bürgermeister ist nun zur Übergabe bereit. Friedberg wird nicht mehr beschossen, die SS zieht ab.

    Ähnlich laufen die Ereignisse auch in (Oberallgäu) ab. Es geht um Verteidigung oder Übergabe des Ortes. Am Abend des 27. April werden alle Frauen aufgerufen, sich auf dem Marktplatz einzufinden. Die Bevölkerung fordert mit großer Mehrheit die Übergabe der Stadt. Ein SS-Adjutant, der lautstark und gestenreich für mutige Verteidigung eintritt, wird, so hält es der Chronist, von den zornigen Immenstädter Frauen "windelweich geschlagen". Die Frauen bekommen nach ihrer handfesten Aktion von besorgten Bürgern den Rat, in die nahen Berge zu flüchten. Zwei Tage später hissen zwei Immenstädter Männer auf dem Kirchturm die weiße Flagge.

    In erklärt sich eine Gruppe von Bürgern und Mitgliedern einer Widerstandsbewegung bereit, den amerikanischen Truppen (44. Infanterie-Division und 10. Panzerdi-vision) in Richtung Pfronten und Roßhaupten entgegenzugehen und zu verhandeln. Versuche von unverbesserlichen Hitler-Anhängern, doch noch Widerstand zu leisten, scheitern.

    Zwei Tage vor dem Eintreffen der Amerikaner wird in bei Mindelheim der Plizeibeamte Engelbert Satzger aufgehängt, weil er die (Hoheits-) Abzeichen von seiner Uniform abgenommen hat - auf Anweisung des Landrats.

    In (zwischen Mindelheim und Memmingen) sammeln sich am 26. April ver-sprengte Truppenreste als "Vaterlands-Verteidiger" zum "Sturm auf die Amerikaner". US-Bomber leisten ganze Arbeit der Zerstörung. Die Kämpfe fordern zehn Tote. Unter ihnen ist auch der 74-jährige Gemeindediener und Mesner Lorenz Satzger, vom 70-jährigen Bürgermeister Engelbert Haug, der mit einem Nervenzusammenbruch darniederliegt, zum Hissen der weißen Fahne auf den Kirchturm geschickt. Die Leiche Saugers weist einen Einschuß am Hals auf - vermutlich von SS-Schützen, die mit Handfeuerwaffen aus den Kirchturm ballern.

    In (Kreis Aichach-Friedberg) wird von einem SS-Kommando ein Zivilist "wegen negativer politischer Äußerungen" festgenommen, aus dem Ort geführt und erschossen. Seine letzten Worte vor der Exekution; "Sie tun es aus persönlichem Haß." Ein SS-Offizier richtet in Schrobenhausen die Pistole auf den Volkssturm-Kommandanten mit den Worten: "Wenn Sie mich daran hindern, erschieße ich Sie." Der Volkssturm-Leiter will die Sprengung der Paar-Brücke vermeiden. Die Brücke wird in die Luft gejagt, eine Viertelstunde bevor die Amerikaner anrücken.

    Freilich, auch Befreier und Besatzer lassen sich zu Auswüchsen, Ausschreitungen, Verfehlungen und todbringenden Handlungen an der Zivilbevölkerung und deutschen Soldaten hinreißen. Im und in wird wiederholt über Vergewaltigungen, Plünderungen, Diebstähle und Trinkgelage mit gewalttätigen Folgen, vor allem durch algerische und marokkanische Legionäre der französischen Armee, berichtet.

    In richten die Amerikaner auf der Suche nach SS-Männern ein Massaker an. Drei schwarze US-Soldaten klettern aus einem Panzer und fragen nach SS-Angehörigen im Ort. Ein Sanitäter führt sie in das Kameradschaft-Haus der Wollfilzfabrik, das als Behelfslazarett dient. Die Amerikaner schießen wie wild auf sechs Schwerverwundete. Fünf SS-Männer sind auf der Stelle tot, der sechste überlebt mit Streifschüssen, weil er sich tot stellt. Die Opfer sind zum Teil so verstümmelt, dass sie nicht mehr identifiziert werden können.

    Von französischen Besatzungs-Soldaten wird am 30. April ein Fahrer der Wehrmacht in einem Versteck in (Kreis Lindau) aufgespürt und auf der Stelle erschossen. Das gleiche Schicksal ereilt auch den Landwirt Alois Boll, der auf seiner Weide Vieh eintreiben will und wahrscheinlich den Ruf "Halt, stehenbleiben" überhört hat.

    Auch skurrile Dinge passieren in den angespannten Tagen vor der Stunde Null: in bei Kempten wollen vier fanatische, aus dem Rheinland evakuierte Frauen, die Feinde mit Eimern brühendheißen Wassers außer Gefecht setzen. In (Kreis Memmingen) hält der 80-jährige Bauer Hiemer mit seinem Ochsengespann den Vormarsch der US-Truppen zwar nicht entscheidend, aber doch für kurze Zeit auf, als er in dem Moment die Hauptstraße überquert, als auch US-Panzer anrollen. Die Amerikaner stoppen ihre klobigen Fahrzeuge und lassen dem Ochsenlenker höflich die Vorfahrt. Und bei gewinnt ein Landwirt der Entmilitarisierung auch eine praktische Seite ab: Bauernschlau benutzt er einen an einer Stange befestigten Stahlhelm als Jaucheschöpfer.

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