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Kriegsende in Schwaben und Oberbayern (Folge 1)

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Kriegsende in Schwaben und Oberbayern (Folge 1)

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    An dem Tag, an dem der ergebene Gauleiter Wahl seinem "Führer" untertänigst seine Loyalität versichert, geht über der letzte und folgenschwerste Bombenhagel nieder, der über 300 Menschen in den Tod reißt. Das Viertel um den Güterbahnhof ist dem Erdboden gleichgemacht. Ein amerikanischer Bombenangriff auf Nördlingen fordert 30 Todesopfer. Und in Gersthofen übt ein Feldwebel der Waffen-SS zackig mit Schulbuben der achten Klasse Panzerbekämpfung mit der Panzerfaust, und in einem Artikel der "National-Zeitung" steht beispielsweise, wie gerne "Kinder Krieg spielen und den Feind vernichten wollen".

    Mitte September 1944 wird der in zwei Schutzgebiete (Ost und West) eingeteilt. West umfaßt die Bereiche Ingolstadt, Augsburg, Landsberg, Kaufbeuren und Kempten. Am 10. April 1945 werden die Städte Ingolstadt, Neuburg/Donau, Donauwörth, Dillingen/Donau, Günzburg und Ulm zu ortsfesten Stützpunkten erklärt. Das bedeutet: Verteidigung bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone. Der Korpsbefehl vom 20. April 1945 lautet knapp und klar, "dass Bayern an Iller und Donau verteidigt und dem Gegner hier ein endgültiges Halt geboten werden muss". Schwaben, das seit 1941 durch einzelne schwere Luftangriffe und Bombardierungen - u. a. Augsburg, Schwabmünchen, Lauingen, Donauwörth, Bäumenheim, Oettingen, Neu-Ulm, Nördlingen, Memmingen - stark betroffen ist, wird im April 1945 noch Kriegsschauplatz.

    Vom völlig zerstörten und lichterloh brennenden aus, wo einer der letzten heftigen und organisierten Widerstände der deutschen Truppen stattfindet - als "Battle of Crailsheim" in die US-Kriegsgeschichte eingegangen -, erfolgt der entscheidende Durchbruch der Alliierten über die Donau mit der Besetzung Schwabens und Ober-bayerns durch Amerikaner und Franzosen.

    Während die 10. US-Panzerdivision den von Teilen der 19. deutschen Armee und der Wlassow-Armee (russische Befreiungsarmee unter General Wlassow in Diensten Hitlers) gehaltenen Alb-Riegel bei Göppingen knackt, erzielt die 12. Panzerdivision der Amerikaner zwischen Aalen und Nördlingen den Durchbruch.

    Die "Teufelskatzen" wie sich die US-Soldaten geschmeidig und geschmeichelt selber nennen, rücken in drei Keilen und mit mehr als 500 Panzern unaufhaltsam auf die Donau vor. Aus Neresheim ruft ein amerikanischer Offizier im Rathaus an und erkundigt sich, ob die Stadt ohne Kampf und Blutvergießen übergeben wird. Bürgermeister Dr. Georg Hogen plädiert für sofortige Besetzung mit dem aufschlußreichen Hinweis: "Die Donaubrücke ist noch nicht zerstört." Am 22. April, einem regnerischen Sonntag, kurz vor elf Uhr, rollen die US-Panzer in die Stadt. Als sie auf die 1923 erbaute Donaubrücke zurattern, will das achtköpfige Sprengkommando (Soldaten und Volkssturm) den Übergang in die Luft jagen. Die Zündladung, italienisches Dynamit, angeblich durch einen Sabotageakt mit Magermilch nass und verdorben, versagt. Die US-Krieger überwältigen das verblüffte und verzweifelte Sprengkommando und durchschneiden die Zündschnüre. Die Brücke ist gerettet und damit auch die Stadt.

    Voller Stolz und Selbstbewusstsein stellen die "Teufelskatzen" nach ihrem leichten "Sprung" über die Donau an der Brücke eine Tafel auf mit der Inschrift: "Ihr überquert die schöne blaue Donau durch das Verdienst der 12. Panzerdivision." Und Kommandeur Oberstleutnant Clayton Wells, ein Texaner, hat nur einen Wunsch an diesem denkwürdigen Tag: "Den Mann zu finden, der die Brücke in Remagen erobert hat, und ihm zu sagen: Deine Brücke ist vielleicht größer gewesen, aber meine stürzte nicht zusammen."

    In Wertingen, Binswangen, Offingen, Burgau und Leipheim kommt es noch überraschend zu harten Auseinandersetzungen. In fordert die aufgebrachte Bevölkerung über den Bürgermeister die kampflose Übergabe des Zusamstädtchens. Der Abschnittskommandeur zeigt zwar Verständnis für die hoffnungslose Lage, beruft sich jedoch auf seinen Befehl. So kommt es am 25. April zu einem neuen Angriff der Amerikaner: 17 junge deutsche Soldaten sterben. Fünf Zivilisten kommen ums Leben. Die Kämpfe in Binswangen fordern 17 Todesopfer (14 deutsche Soldaten und drei Zivilpersonen). Ein tragischer Zwischenfall ereignet sich im wenige Kilometer entfernten Emersacker: Männer, Frauen und Kinder suchen auf der Dorfstraße Kontakt mit den Befreiern. Herzliche Verbrüderungsszenen spielen sich ab, als eine Granate neben der kleinen Menschenansammlung einschlägt und sechs Frauen und drei Männer, darunter zwei US-Soldaten tötet.

    "Belagerungszustand" herrscht in der Gemeinde (Kreis Günzburg) noch am 25. April. SS-Truppen verteidigen den Ort blindwütig gegen anrückende Besatzer. Die Amerikaner scheinen gegen die selbstherrlichen SS-Formationen zum Äußersten entschlossen. Sie erklären unmissverständlich, das "verdammte Nest" habe nun schon zwei Tage Widerstand geleistet, "mehr als eine große Stadt", und sie hätten keine Lust mehr, das länger mitzumachen. Der größte Teil der SS-Leute und Hitlerjugend verlässt jedoch den Ort, weil eine Bombenbekämpfung aus der Luft befürchtet wird. Die Gemeinde wird ohne Gegenwehr ""genommen". Doch 78 deutsche Soldaten - die Verluste der Amerikaner sind nicht bekannt - und fünf Offinger Bürger sind der blutige Tribut des sinnlosen Kampfes mit großsprecherischen Durchhalteparolen.

    63 - meist junge - SS-Männer fallen bei viertägigen Kampfhandlungen in , das bereits von US-Truppen besetzt ist, als SS-Einheiten noch einmal zum Sturm auf den Ort blasen. Viele der Toten müssen nach der Rückeroberung durch die Amerikaner zur "Abschreckung" auf den Straßen liegenbleiben. In marschieren couragierte Bürger unter Leitung des Uhrmachers Josef Oswald den "Befreiern" entgegen. Sprecher Oswald sagt: "Wir sind friedliche Bürger dieser Stadt und am Kampfe unbeteiligt. Wir bitten um Schonung." Doch es entbrennen wieder heftige Kämpfe zwischen SS- und US-Soldaten mit Verlusten auf beiden Seiten. Burgau steht unter schwerem Beschüß. Am 26. April bringen die Amerikaner den hartumkämpften Ort in ihren "Besitz". Bürgermeister Holl, die weiße Fahne in der Hand, übergibt Burgau mit den Worten. "Bitte schonen Sie Einwohner und Stadt. Heil..., entschuldigen Sie bitte, guten Tag."

    Nach dem erfolglosen und bei Wertingen und Offingen verlustreichen Versuch, den Brückenkopf der Amerikaner einzuengen, sind wesentliche Kämpfe und Gefechte in Schwaben nicht mehr zu registrieren. Die deutsche 19. Armee an Donau und Iller (im Raum Ulm/Neu Ulm) ist von Auflösungserscheinungen gezeichnet. Am 23. April ertönt über Funk Befehl vom Oberkommando West: "Die Donau-Linie muss unter allen Umständen gehalten werden." Die 189. Infanteriedivision soll auf die Iller-Linie ausweichen. Ausgemergelte, hungrige, erschöpfte, niedergeschlagene Soldaten mit Handkarren und Leiterwagen und ohne schwere Waffen ziehen als erbarmungswürdige Verkörperung des Kriegsfiaskos Richtung Senden, Weißenhorn, Illertissen. Die besteht noch aus jämmerlichen Teilen der Ersatzdivision 407 des Gebirgsjäger-Bataillons 99, kümmerlichen Resten der Heeresgruppe G und dem letzten Volkssturmaufgebot.

    Nach den letzten schweren Bombenangriffen am 19. April, die furchtbare Verwüstungen anrichten und mehr als 100 Tote fordern, stehen bis zum Einmarsch der Alliierten durch Luft- und Tieffliegerangriffe unter Beschuss. Doch das Wehrmacht-Oberkommando gibt - wieder einmal - eine verlogene Durchhalteparole aus: "Schwere Abwehrkämpfe an der Iller-Donau-Linie. Massiver Einsatz der deutschen Artillerie." Als der Bürgermeister von einen Tross ungebärdiger junger Hitler-Fanatiker bittet, "mit dem Geschieße endlich aufzuhören" und das Lazarett auf Schloß Oberkirchberg - das bereits Treffer aufweist - zu schonen, entgegnet ein SS-Offi-zier kaltschnäuzig: "Wir haben hier einen Befehl auszuführen. Wenn Sie nicht schleunigst verschwinden, lasse ich Sie erschießen."

    In führt Pfarrer Städele die Amerikaner im Morgengrauen des 24. April in den Ort. Deutsche Artillerie schießt noch immer von den Iller-Anhöhen herunter. Der Wehrmachtbericht indes meldet, Versuche der Amerikaner, ihre Brückenköpfe südlich von Dillingen zu erweitern, seien verlustreich zusammengebrochen. Auch eine Lüge: An diesem Tage stehen die Amerikaner bereits vor Wertingen und im Westen einige Kilometer vor Memmingen.

    Dramatisch spitzt sich die Lage in und um zu.'Entweder kampflose Übergabe oder tödlicher Bombenhagel lautet die knallharte Alternative der Amerikaner. 2000 US-Bomber stehen für das infernalische Zerstörungswerk bereit. Mutige Männer einer Widerstands- und Freiheitsbewegung - allen voran Dr. Rudolf Lang, Georg Achatz, Franz Hesse und Anton Setzer - setzen sich unter Lebensgefahr mit US-Kampfführern in Horgau und Aystetten in Verbindung. Sie überwältigen den Kampfkommandanten und führen die Amerikaner ohne Gegenwehr in die Stadt, die wie durch ein Wunder der totalen Zerstörung entgeht.

    In der Kriegsgeschichtsschreibung der 7. amerikanischen Armee ist das Kapitel Augsburg so vermerkt: wurde vor der völligen Zerstörung, wie sie über Aschaffenburg, Würzburg, Heilbronn, Nürnberg und Ulm kam, bewahrt, weitgehend dank einer einzigartigen revolutionären Bewegung, die den Einmarsch der amerikanischen Truppen erleichterte. Die Übergabe Augsburgs im zentralen Sektor der bayerischen Abschlussoperationen der 7. Armee war eine der seltsamsten Begebenheiten auf dem Vormarsch durch Deutschland."

    Über flattern Sternenbanner und Trikolore. Ein grotesker, mehr politisch als militärisch motivierter Wettlauf zwischen den US-Truppen und der 1. französischen Armee unter Jean de Lattre de Tassigny, die bei Ulm und im oberschwäbischen Raum an der Iller stehen, beginnt. Charles de Gaulle hat seiner Rhein-Donau-Armee den Vormarsch über den Rhein befohlen und damit eklatant gegen Abmachungen der Alliierten verstoßen. Ende April rücken Franzosen, Marokkaner und Algerier unter dem berühmt-berüchtigten Kolonial-Haudegen Philippe Leclerc von Westen kommend ins Bodenseegebiet (Lindau), West- und Oberallgäu und Teilbereiche Westschwabens ein. Der eigenmächtige und selbstgefällige de Gaulle, der sich vorübergehend im und aufhält, lässt auf dem Pfarrhof in Immenstadt einen Triumphbogen errichten. Erst das zweite "Werk" findet den Gefallen des Generals. Auf dem Marktplatz nimmt de Gaulle in großer Pose die Parade ab.

    Am 27. April hissen die Amerikaner in das Sternenbanner. Einen Tag später ist Füssen "erobert". Doch erst am 30. April meldet das Wehrmacht-Oberkommando: "In Oberschwaben gingen Augsburg und Kempten verloren." Einen Tag vor dem Einmarsch der Franzosen in Immenstadt am 30. April fallen die Bibliothek, das Kapuzinerkloster und das Heimatmuseum und zahlreiche andere Gebäude den Bomben von Tieffliegern zum Opfer. Auch in richtet ein schwerer Tieffliegerangriff der Amerikaner noch schwere Verwüstungen, vor allem an der Pfarrkirche St. Michael, an.

    Durch eine Brandkatastrophe verliert Sonthofen sein Rathaus. Ausgelöst wird das Feuer durch die Zigarette eines Franzosen, der mit mehreren Landsleuten die im Sitzungssaal gelagerten, von der Bevölkerung abgelieferten Waffen und Munition begutachtet.

    In kann Bürgermeister Deinhard Flakbatterien zum Abzug bewegen, so dass die Amerikaner keinen Widerstand antreffen. Drei Tage später, am 30. April, erfolgt die kampflose Übergabe der "Dynamit AG", einer bestens getarnten Munitions- und Pulverfabrik (auf dem Gelände des heutigen Neugablonz). Werkleiter Bärmann übergibt den US-Truppen das explosive Areal, von deren Existenz sie offenbar keine Ahnung hatten.

    In der Nacht zum 1. Mai erfolgt die schlagartige Besetzung durch die Widerstandsgruppe "Heimatschutzverband Allgäu", die mit den Alliierten (Franzosen und Amerikanern) zusammenarbeitet. "Unsere Heimat darf nicht sterben, sie ist das Letzte, was wir haben", steht auf ihren Flugblättern. Parteifunktionäre, der Bürgermeister und SS-Männer werden festgenommen.

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