Es ist mitten in der Nacht, die Straßen sind leer. Die Polizei hält ein Auto an: Verkehrskontrolle. Während der Beamte durch das geöffnete Fenster nach den Fahrzeugpapieren fragt, stürmt auf einmal ein Wolfsrudel, etwa zehn Tiere, von hinten auf den Beamten zu. Dieser, völlig überrumpelt, öffnet in Windeseile die hintere Autotür des Fahrers, den er soeben kontrollieren wollte, und schwingt sich schnell auf die Rücksitzbank.
Wölfe in Städten sind meist junge Tiere auf Wanderschaft
Diese Szene spielte sich vor etwa zehn Jahren in Russland ab. Ein Video dokumentiert den skurrilen Einsatz. Im europäischen Teil Russlands leben mit die meisten Wölfe Europas. Doch mittlerweile hat sich der Wolf auch in Deutschland ausgebreitet. Aktuelle Bilder aus Bissingen im Landkreis Dillingen beweisen: Der Wolf ist sogar außerhalb des Waldes unterwegs. In der Gemeinde haben am Montag Bürger ein Tier beobachtet, das durch den Ort streunte und sich auf einem Betriebsparkplatz umschaute. Muss man in der Region bald mit Bildern wie aus Russland rechnen?
Andreas von Lindeiner ist Landesfachbeauftragter für Naturschutz beim Bayerischen Landesbund für Vogelschutz (LBV) und gleichzeitig Wolfsexperte der Arbeitsgruppe „Große Beutegreifer“. Er ist sich sicher: „Solche Bilder, wie die im Video, werden wir hier so schnell nicht zu Gesicht bekommen“, sagt er und lacht. In Deutschland wurden laut Naturschutzbund im Monitoringjahr 2019/2020 128 Rudel Wölfe (ein Paar mit Nachwuchs, bis zu acht Tiere), 35 Paare sowie zehn einzelne Wölfe gezählt.
Von Lindeiner sieht den Aufschrei um den Wolf eher als eine Frage der Gewohnheit. Wölfe, die in Dörfern oder Städten herumspazieren, sind seiner Meinung nach meist junge Tiere auf Wanderschaft. „Der Wolf sucht sich den kürzesten Weg. Und wenn er dabei über eine Straße oder über den Parkplatz muss, läuft er eben so“, sagt von Lindeiner. Dabei seien vor allem die jungen Tiere ziemlich unbedarft und neugierig unterwegs.
Studie: 76 Prozent der Befragten geben an, der Wolf soll bleiben
Auch am Spielplatz in Bissingen soll das Raubtier vorbeigelaufen sein. Eine Vorstellung, die Kindern und Eltern kurz einen Schrecken einjagt. „Der Wolf ist kein Kuscheltier, das ist klar. Man muss sich natürlich respektvoll verhalten, wenn man auf das Tier trifft“, erklärt von Lindeiner. Angst haben müsse man aber nicht. Oft würde der Wolf den Menschen gar nicht registrieren. Aufeinandertreffen von Angesicht zu Angesicht gehörten zu den seltenen Begegnungen, da der Wolf ein scheues Tier ist, so der Naturschutzbeauftragte.
Im Kreis Dillingen wurde der Wolf durch das Autofenster eines Mitarbeiters beobachtet und fotografiert. Für von Lindeiner ist eine solche Begegnung ein „Sechser im Lotto“: „Das scheue Tier so nah zu beobachten, ist faszinierend.“ Laut einer LBV-Studie sieht das der Großteil der Bevölkerung so, 76 Prozent der Befragten gaben an, dass Wölfe selbst dann in Deutschland leben sollen, wenn es zu Problemen komme.
Einige Menschen, vor allem Hundehalter, sorgen sich jedoch, dem Wolf beim Joggen oder auch Gassigehen zu begegnen. Hundehalter sollten ihr Haustier sofort anleinen, wenn sich das Raubtier nähert, erklärt der Wolfsexperte. Sieht der Wolf den Hund nämlich als Gegner oder Geschlechtspartner, könne es schnell gefährlich werden. Bis heute kam es in Bayern nachweislich zu keinen Übergriffen auf Hunde. Bei Nutztieren sehen die Zahlen anders aus: 2020 gab es nach Angaben des Landesamtes für Umwelt zwölf Wolfsrisse an Weidetieren in Bayern, größtenteils waren Schafe betroffen. Von Lindeiner findet: „Man muss nicht gleich nach der Flinte rufen.“ Damit meint er unter anderem Vertreter des Bayerischen Landtags.
Bauernverband: "Wolf ist riesige Gefahr für Weidetiere"
Abgeordnete der CSU und der Freien Wähler im Bayerischen Landtag haben am 2. Mai den Antrag gestellt, zu prüfen, ob der Wolf ins Jagdrecht aufgenommen werden kann. Bisher wurde noch nicht darüber abgestimmt. Im Antrag sprechen die Mitglieder von größer werdenden Schäden an landwirtschaftlichen Nutztieren. Perspektivisch werde zum Schutz der Weidewirtschaft neben Herdenschutzmaßnahmen eine Bestandsregulierung in Deutschland nötig sein. Stefan Köhler, Umweltpräsident beim Bayerischen Bauernverband, sagt: „Der Wolf stellt eine riesige Gefahr für Weidetiere dar. Ein Nebeneinander von Weidehaltung und Wolfsrudeln ist nicht möglich, da können die Zäune noch so hoch sein.“ Der BBV fordert eine Obergrenze an Wölfen und eine Regulationsmöglichkeit.
Laut des Bayerischen Aktionsplans Wolf, ein Management-Plan der Regierung, gibt es im Beispiel Bissingen keinen Handlungsbedarf. Denn darin steht: Läuft der Wolf direkt an Ortschaften entlang oder durch Siedlungen, ist das als ungefährlich eingestuft.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Keine Panik vor dem Wolf
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