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Kreis Augsburg: Weihnachten im Kinderheim: Wenn die Familie kein Zuhause ist

Kreis Augsburg

Weihnachten im Kinderheim: Wenn die Familie kein Zuhause ist

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    Natürlich gibt es auch für die Kinder und Jugendlichen im Josefsheim an Weihnachten Geschenke – und doch unterscheidet sich das Fest oftmals elementar von dem von Gleichaltrigen.
    Natürlich gibt es auch für die Kinder und Jugendlichen im Josefsheim an Weihnachten Geschenke – und doch unterscheidet sich das Fest oftmals elementar von dem von Gleichaltrigen. Foto: Ulrich Wagner

    Irgendwann haben er und sein Bruder aufgegeben. Immer donnerstags riefen sie bei ihrer Mutter an. Dann täglich. Immer und immer wieder. Doch seit Februar ist sie nicht mehr zu erreichen. Sie hat sich einfach nicht mehr bei ihren Söhnen gemeldet. Wo sie jetzt ist? Der 14-Jährige zuckt die Achseln. Keine Ahnung. Ob er sie vermisst? „Jetzt nicht mehr“, sagt er und gibt sich cool. Und sein Vater? „Der wollte nichts mehr von uns wissen.“ Stefan* und sein Bruder leben im Heim. Im Josefsheim Reitenbuch im Landkreis Augsburg. Zusammen mit 45 anderen Kindern im Alter zwischen sieben und 17 Jahren.

    Ein zweites Zuhause

    Viele von den Kindern haben eine ähnliche Lebensgeschichte wie die beiden Brüder: Die Eltern leben zwar noch oder zumindest ein Elternteil, aber sie können sich nicht so um ihre Kinder kümmern, wie es die Mädchen und Buben bräuchten. Spitzt sich die Situation zu, schaltet sich das Jugendamt ein. Oder Eltern bitten um Hilfe. Oder die Kinder gehen zur Polizei. Dann finden die Kinder in Einrichtungen wie dem Josefsheim ein zweites Zuhause. Die elfjährige Manuela* lebt schon seit über zehn Jahren dort. Eine ihrer beiden Schwestern auch. „Meine große Schwester wohnt beim Papa. Mein Bruder ist im Gefängnis“, erzählt sie offen. Ihr Vater holt sie an Weihnachten zwar ab. Aber nur für kurze Zeit. Er müsse viel arbeiten, sagt das zierliche, aufgeschlossene Mädchen mit den braunen Haaren und den zarten Sommersprossen im Gesicht. Und die Mutter? „Das wissen wir nicht, wo die ist.“ Doch als sie weiter erzählt, wird klar, dass ihre Mutter seit Jahren mit schweren Alkoholsuchtproblemen kämpft.

    Suchterkrankungen sind keine Seltenheit, sagt Norbert Haban. Er leitet das Josefsheim. Die Eltern darf man seiner Einschätzung nach nicht vorschnell verurteilen. Körperliche und psychische Probleme machten es vielen nicht möglich, sich angemessen um ihre Kinder zu kümmern. Nicht immer klappt auch das Zusammenleben mit einem neuen Partner. Die 15-jährige Susanne kann davon berichten. Sie musste erleben, was es heißt, wenn die Mutter früh stirbt, der Vater eine andere Frau mit eigenen Kindern findet, das Familienleben dann aber nicht mehr funktioniert. Dabei ist sie sehr freundlich, fleißig und gut in der Schule. Sie besucht die Realschule und hat nach ihrem Abschluss fürs nächste Jahr schon einen Ausbildungsplatz als Hotelfachfrau.

    „Alle Kinder sind freiwillig hier“, betont Heimleiter Haban. Und es werden selbstverständlich alle Feste gefeiert. Weihnachten sowieso. Das ganze große, historische Haus ist festlich geschmückt. Im Eingang steht eine schöne Krippe. Elektrische und echte Kerzen erhellen die Räume. Gleich im Eingang türmen sich liebevoll verpackte Wichtelgeschenke. Die Zimmer der Gruppen, in denen die Kinder und Jugendlichen wohnen, sind kreativ und gemütlich gestaltet. Hier wird gemalt, musiziert, fern geguckt und gespielt. Selbstverständlich dürfen auch Freunde von außerhalb kommen. „Bevor sie hier herkommen glauben viele, wir wohnen in einem Heim mit Gittern an den Fenstern“, sagt Stefan. Viele Bastelarbeiten und Fotos zieren die Gänge. In einer Küche backt ein Mädchen duftende Plätzchen.

    Manuela hat die Hausführung übernommen. Stolz verweist sie nicht nur auf die eigene Turnhalle und spaziert mit der Besucherin in den Partykeller, vor allem führt sie den kleinen Kinosaal vor. Auch in ihr eigenes Zimmer, das sie mit zwei weiteren Mädchen teilt, erlaubt sie einen Blick. Dort zeigt sie vor allem die vielen DVDs von Bibi & Tina, die sie schon hat. Weitere Filme sollen an Weihnachten folgen. Schließlich gibt es im Heim wie bei anderen Kindern auch Geschenke.

    Was wünschen sich die Kinder?

    Und wer die Kinder fragt, was sie sich wünschen, bekommt Sachen aufgelistet, die auf vielen Wunschzetteln stehen: Adidas-Shirts, Spiele, eine besondere Uhr, eine Kette, eine Sporttasche... Zur Erfüllung der Wünsche leistet auch die Kartei der Not, das Leserhilfswerk unserer Zeitung, jedes Jahr einen Beitrag. „Es ist unserem Kuratorium ein großes Anliegen, gerade Kindern und Jugendlichen, die immer unverschuldet in Not geraten, nach Kräften zu helfen“, sagt Arnd Hansen, Geschäftsführer der Kartei der Not. „Dank vieler Spenden können wir ihnen an einem Weihnachten ohne Eltern gemeinsam mit der Einrichtung zumindest mit einem kleinen Geschenk eine Freude machen. Wo möglich, unterstützen wir auch zum Beispiel den Kauf von Kleidung oder den Start in das eigene Leben nach dem Auszug aus dem Heim.“

    Michaels Wunsch allerdings kann man mit keinem Geld der Welt bezahlen: „Ich wünsche mir vor allem, dass meine Mutter wieder da ist“, sagt der 13-Jährige ernst. Doch seine Mutter ist früh gestorben.

    Stefans Mutter lebt noch. Man weiß nur nicht wo. Stefan ist selbstbewusst. Zielstrebig. Nach der Schule will er eine Ausbildung zum Fluggerätemechaniker bei Premium Aerotec machen. Ob er seine Mutter wirklich nicht vermisst? Heimleiter Haban winkt ab. „Alle hier vermissen ihre Eltern“, sagt er. „Unzuverlässigkeit und Unsicherheit sind für die Kinder besonders schlimm.“ Doch oft tut das Vermissen so weh, dass man den Schmerz mit besonderer Coolness überspielt. Stefan ist besonders cool. *Namen der Kinder von der Redaktion geändert

    So können Sie helfen

    Möchten auch Sie Menschen in unserer Region, die unverschuldet in Not geraten sind, unterstützen? Das sind die Spendenkonten unserer Kartei der Not:

    Kreissparkasse Augsburg

    IBAN: DE54 7205 0101 0000 0070 70; BIC: BYLADEM1AUG

    Stadtsparkasse Augsburg

    IBAN: DE97 7205 0000 0000 0020 30; BIC: AUGSDE77XXX

    Sparkasse Allgäu

    IBAN: DE33 7335 0000 0000 0044 40; BIC: BYLADEM1ALG

    Sparda-Bank Augsburg

    IBAN: DE42 7209 0500 0000 5555 55; BIC: GENODEF1S03

    Hier finden Sie die Kartei der Not auf Facebook

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