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Konzert in München: Warum Helene Fischer die Königin des Schlagers ist

Konzert in München

Warum Helene Fischer die Königin des Schlagers ist

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    Helene Fischer gibt in 14 Stadien 22 Konzerte, ihre Agentur rechnet mit rund 900.000 Besuchern.
    Helene Fischer gibt in 14 Stadien 22 Konzerte, ihre Agentur rechnet mit rund 900.000 Besuchern. Foto: Bernd Wüstneck, dpa

    Man kann es sich natürlich so einfach machen wie die Spötter. Die sagen, das sei halt „Musik für nach dem vierten Bier“ – und meinen, mit der einfältigen Volksfestseligkeit schon alles erklärt zu haben. Aber das erzählt dann eben deutlich mehr vom eigenen Dünkel als über das eigentliche Phänomen.

    Die Wirklichkeit nämlich zeigt die Sängerin Helene Fischer, wie sie derzeit die größten Arenen der Republik in Serie füllt – gleich zweimal etwa die in Gelsenkirchen, zweimal auch die in Köln, schließlich sogar das Olympiastadion in Berlin zweimal. Tatsächlich ist die 30-Jährige damit das größte deutsche Pop-Phänomen seit Westernhagens „Freiheit“ und Grönemeyers „Mensch“, wenn nicht das größte überhaupt.

    So steht sie am Samstagabend auch auf der Bühne eines mit 55.000 Zuschauern bereits seit langer Zeit ausverkauften Münchner Olympiastadions – und die Euphorie ist tatsächlich bei kaum einem dem Bierdunst geschuldet. Sondern einer Begeisterung, die Menschen zwischen fünf und 105 Jahren eint, Frauen und Männer, coole tätowierte Jugendliche und gesetzte Ehepaare in Abendrobe, unter all ihnen nicht wenige, die offensichtlich erstmals ein Konzert dieser Dimension besuchen.

    Und die kriegen was zu staunen. Denn Helene Fischer liefert über zweieinhalb Stunden hinweg ein Showspektakel, bei dem nicht nur die riesige Bühne Konfetti und Feuer spuckt, sondern auch sie selbst in einem Gurt an Seilzügen durch die ganze Arena fliegt, bei der auch die Handys der Zuschauer zentral gesteuert, farbig blinkend in die Choreografie einbezogen werden.

    Helene Fischer vergisst die Wurzeln ihrer Karriere nicht

    Natürlich ist mit dem Spektakel allein auch noch nichts erklärt. Aber es führt doch auf die entscheidende Spur. Die Elemente dafür nämlich hat sich Fischers Team in den Kunststückchen des globalen Popstarzirkus abgeschaut: Der anfängliche Auftritt als antike Göttin etwa von Kylie Minogue, die Flugnummer von Pink, das hier via App gesteuerte Mitblinken von Coldplay, die das noch mit Armbändern organisierten.

    Und auch das Rekeln einer Jenifer Lopez auf der sündig roten Couch baut die Helene ein, bloß ohne jede Kopulationsanspielung. Schließlich kann sie von einer gewissen Sensibilität ihres Publikums ausgehen für die Grenze zwischen durchaus gewolltem Kokettieren mit ihren Reizen und der ja auch schon bis in jedes Stadttheater hinein herrschenden Provokation mit Frivolität. So bringt sie also samt einem Dutzend versierter Tänzer aus den USA den großen Popzirkus auf die Bühne – in Geschmacksgrenzen.

    Dabei vergisst Helene Fischer die Wurzeln ihrer Karriere freilich nicht. Gleich zu Beginn etwa serviert sie mit „Unser Tag“, „Und morgen früh küss ich dich wach“ und „Fehlerfrei“ drei ihrer Schlagerkracher. Bereits da steht fast das gesamte Publikum auf und wird sich auch im Lauf des Abends kaum noch hinsetzen. Und als Schlagerhoffnung war die Deutschrussin schließlich auch damals, im Anschluss an eine Ausbildung zur Musical-Darstellerin, entdeckt worden.

    Mit dem Schlageralbum „Farbenspiele“ hat sie es als Erste geschafft, in zwei Jahren hintereinander die meistverkaufte Platte in Deutschland zu liefern. Und mit dem Schlagerhit „Atemlos durch die Nacht“ – der natürlich auch am Ende dieses Abends in München steht, dreifach gesungen und von Feuerwerk beschlossen – hat sie zudem den Song für den deutschen Fußball-WM-Titel geliefert und den ultimativen Oktoberfest-Hit.

    Der Sängerin ging es nie um Schlager

    Aber dass sie zudem mit ihrer Show zum jährlichen Bestandteil des deutschen Weihnachtsprogramms und trotz Skandalfreiheit ihrer Beziehung mit Florian Silbereisen zur Königin der Boulevard-Magazine geworden ist; dass sie Werbeträgerin eines der größten deutschen Einzelhandelsunternehmen ist und zugleich eine große hiesige Anlagenberatung und Deutschlands größte Boulevardzeitung ihre Tour präsentieren – das hängt mit Umfassenderem zusammen.

    Fischer ist für Millionen die schönste und darstellerisch eindrucksvollste Brücke zwischen traditioneller deutscher Unterhaltungsmusik und zeitgenössischem Entertainment. Welten vom „Musikantenstadl“ entfernt. Mit ihr ist Schlager nicht mehr provinziell und Pop plötzlich ganz greifbar. Der Superstar bleibt dennoch „unsere Helene“ – und steht für die Sehnsucht, das Leben wäre leicht und groß, bodenständig und sexy …

    Für Helene beginnt sich so eine Hypothek aufzulösen. Ihr ging es nie um den Schlager, sie liebte immer die Popmusik. Für Abende wie in München gibt sie das Unterhaltungs-Motto aus, „dass alle mal den Alltag vergessen können“ – aber ihr Anspruch wird immer offensichtlicher. Bei der letzten Tour noch hatte sie Medleys mit Schlagern wie „Ein Bett im Kornfeld“ eingebaut, Pophits von Robbie Williams und Celine Dione nur vereinzelt eingestreut. Nun ist die Hälfte der großen Showmitte bereits schlagerfrei.

    Helene Fischer hat Grenzen

    Das ufert in modernes Ballett zu „Rondo Veneziano“ aus, bedeutet aber vor allem Songs von Westernhagens „Sexy“ und Grönemeyers „Männer“ bis zu Tina Turners „The Best“ und Bryan Adams’ „I Do It For You“. Ein Best-of-Musical-Programm eben, deren Superstar-Darstellerin Helen Fischer ist. Ein Problem könnte dabei werden: Ob das ihren Fans nicht irgendwann zu viel wird?

    Ein Problem ist bereits: dass sie das Meiste davon nicht gut singt. Gerade in dieser versuchten und von einer punktgenau spielenden Band gestützten Vielseitigkeit nämlich tritt ihre stimmliche Begrenztheit zutage. Ihr fehlen Charisma und Kraft, der Schmutz und die Seele, um solche Songs nicht auch einfach nur als nette Liedchen erscheinen zu lassen. Damit gewönne sie wohl nicht mal bei „Deutschland sucht den Superstar“. Sie bleibt die Göttin der perfekt inszenierten guten Laune – großer Pop aber beinhaltet das Bewusstsein von der Möglichkeit des Scheiterns …

    Stopp. Ist das nicht wieder die Sicht des Dünkels? Wo ist das Problem, wenn’s Helene Spaß macht, und ihr Millionen mit Freude folgen? Denn das ist doch die Gegenwart. Aber der Markenkern und damit Fischers Zukunft könnte sich daran entscheiden. Jetzt gelingt der Spagat noch, dank des Ausnahme-Hits „Atemlos“. Aber abseits davon steht sie an einem Kipppunkt. Womöglich wird dies der Höhepunkt ihrer Karriere gewesen sein.

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