Es ist schwer geworden, ein bayerischer Patriot zu sein. Das spüren auch jene Bayern, die sich nicht als glühende Anhänger der derzeit schwächelnden CSU verstehen. Einst hatten es Grüne und SPD im Maximilianeum mit einer ebenso mächtigen wie selbstbewussten Staatsregierung zu tun, die tat, was sie für richtig hielt, und dies notfalls auch gegen alle Widerstände im Land durchsetzte. Jetzt verschwimmen die politischen Frontlinien. „Mia san mia“ lautete über Jahrzehnte hinweg das kraftstrotzende Motto der Staatsregierung. Es wurde von einem zaghaften „Schau mer mal“ abgelöst.
Beispiel Corona-Politik: Die Wucht, mit der Ministerpräsident Söder (CSU) in der Bekämpfung der Pandemie zunächst voranging, ist einem vorsichtigen Abwarten gewichen. Die Staatsregierung beklagt wortreich, dass ihr mit dem Auslaufen der „epidemischen Lage“ im Bund die Rechtsgrundlage für Corona-Verordnungen in Bayern fehlen werde. Dabei könnte sie diese Rechtsgrundlagen in Bayern selbst schaffen. Sie müsste halt nur wissen, was sie will, und sich auch wollen trauen.
Freie Wähler und CSU schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu
Beispiel Klimaschutz: Seit Monaten liegt ein Entwurf für ein neues Klimaschutzgesetz von Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) zur Ressortabstimmung in der Staatskanzlei. Dass nichts vorangeht, schieben sich CSU und Freie Wähler gegenseitig in die Schuhe.
Beispiel Energiepolitik: In der bayerischen Wirtschaft wächst die Sorge über eine wachsende Unsicherheit in der Stromversorgung, weil die Stromtrassen von Nord nach Süd nicht fertiggebaut sein werden, wenn hier im Freistaat die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Der hartnäckigste Trassengegner ist ausgerechnet Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Die CSU nimmt das zähneknirschend hin, statt den Ausbau beim Bund aktiv voranzutreiben.
All das sind unangenehme Themen. Bei Corona geht es darum, ob Ungeimpften neue Einschränkungen zugemutet werden. In der Klima- und Energiepolitik hat es die Staatsregierung mit Windkraft- und Trassengegnern zu tun sowie mit Häuslebauern, die sich nicht vorschreiben lassen wollen, eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach zu installieren.
Mal können sich CSU und Freie Wähler nicht einigen, mal sind sie sich einig, die Verantwortung auf die Bundesregierung zu schieben. Aktuell wird in Bayern mehr laviert als regiert.
Hinzu kommt eine tiefe Verunsicherung in der CSU. Zwar sitzt Söder nach wie vor fest im Sattel. Er ist als Ministerpräsident und Parteichef unangefochten. Aber seit dem Debakel bei der Bundestagswahl rumort es an der CSU-Basis. Söders Erzählung, dass ein starker Vorsitzender die Partei über kurz oder lang mit nach oben zieht, wird offen angezweifelt.
CSU-Chef Markus Söder soll mehr Platz für andere Köpfe lassen
Der Parteichef wird aufgefordert, auch andere Köpfe nach vorne zu lassen, die sichtbar machen, dass es in der CSU verschiedene Strömungen gibt, die gleichwohl unter dem Dach einer Volkspartei zu einem stimmigen Gesamtkonzept zusammengefügt werden können. Das Problem dabei: Söder müsste Stil und Inhalt seiner Politik ändern.
Aktuell sieht es nicht danach aus, dass das gelingen wird. Die anderen Parteien im Landtag stellen sich längst auf ein anderes Szenario ein: Söder werde bis zur Landtagswahl vor allem mit Schuldzuweisungen operieren. Für unangenehme Entscheidungen im Bund werde er die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP verantwortlich machen. Wenn in Bayern etwas nicht klappt, werden die Freien Wähler als Sündenbock herhalten müssen.
Dass so eine Strategie für die CSU ausreichen könnte, glauben weite Teile der Partei nicht. Und es wäre auch nichts, worauf Bayern stolz sein könnte.