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Kommentar: Es gibt keinen Grund mehr, die Schulen zu schließen

Kommentar

Es gibt keinen Grund mehr, die Schulen zu schließen

Holger Sabinsky-Wolf
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    Eine Maske liegt auf einem Tisch in einer Münchner Schule.
    Eine Maske liegt auf einem Tisch in einer Münchner Schule. Foto: Matthias Balk/dpa

    Wenn man in einem Leitartikel fordert, dass die Schulen ab Herbst unbedingt offen bleiben müssen, wird erwartet, dass man dafür Argumente liefert. Das kommt noch. Drehen wir den Spieß aber erst einmal um und fragen: Warum sollten die Schulen nicht offen bleiben?

    Freilich, der Gesundheitsschutz: Schüler könnten sich massenhaft mit dem Coronavirus infizieren. Sie könnten das Virus in die Familien tragen. Aber wäre das aufs Ganze betrachtet wirklich ein unüberwindbares Hindernis? Wenig steht in dieser Pandemie so fest wie die Tatsache, dass Kinder ein äußerst geringes Risiko haben, schwer an Covid-19 zu erkranken. Und wenn sie das

    Allerhöchste Zeit, dass unser Land die richtigen Prioritäten setzt

    Deutschland steckt bei dieser Frage in einem Interessenkonflikt zwischen dem Gesundheitsschutz und dem Recht auf Bildung. Eine ehrliche Debatte darüber hat die Politik nie geführt. Eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie ist es den Regierenden vor allem wichtig, dass die Bundesliga-Stadien ab Mitte August mit 25.000 Zuschauern gefüllt werden und dass in Bayern wieder kräftig gefeiert werden kann. Opium fürs Volk. Und was ist mit den Kindern? Länder wie Dänemark, Frankreich oder die Schweiz haben Schulen aus grundlegenden Erwägungen so lange wie möglich offen gehalten. Es ist allerhöchste Zeit, dass auch unser Land wieder die richtigen Prioritäten setzt.

    Von Anfang an hat die Politik Kinder und Jugendliche mit einer erschreckenden Gleichgültigkeit und Trägheit behandelt. Die Bedeutung von Bildung und die wichtige soziale Funktion von Schulen und Kindergärten wurden zwar häufig hervorgehoben, aber am Ende waren Baumärkte und Friseursalons früher geöffnet. Die Folgen sind verheerend.

    Corona-Krise: Viele Kinder leiden unter Depressionen

    Nach monatelangem, teils schlechtem Online- oder Wechselunterricht sind die Bildungslücken enorm. Der direkte Kontakt und das Lernen in der Gruppe sind eben durch nichts zu ersetzen. Das haben jüngst auch die Regierungsberater der Leopoldina festgehalten und für ein Offenhalten von Kitas und Schulen plädiert. Viele Kinder leiden zudem unter Depressionen, Vereinsamung oder Internetsucht. Familien sind extrem belastet. Wem das als Argument nicht ausreicht, wie wäre es mit einem Punkt, der in Deutschland immer zieht: Mit Schulschließungen setzen wir unseren Wohlstand aufs Spiel. Das so oft benutzte Bild von einem Land, das in erster Linie auf seine geistigen Ressourcen zurückgreifen muss, um zukunftsfest zu sein – wo bleibt es in der Pandemie? Und wo bleibt das daraus zwingend folgende Handeln?

    Kurz bevor die ersten Bundesländer ihre Sommerferien beenden, stellt sich immer noch kein Politiker hin und sagt: Wir werden uns den Allerwertesten aufreißen, um so viel Unterricht wie möglich zu gewährleisten, das hat Priorität. Stattdessen gibt es eine kleingeistige Diskussion darum, wer die Luftreiniger zahlt. Und es häufen sich Forderungen, dass die Ständige Impfkommission ihre Empfehlung ändert und möglichst viele Kinder ab zwölf Jahren geimpft werden sollen. Das ist ein dreister Versuch, die Verantwortung für das neue Schuljahr auf die Wissenschaft abzuschieben. Niemand wird verhindern können, dass sich Kinder in den Schulen anstecken. Die Politik muss sich jetzt ihrer Pflicht stellen und Risiken neu abwägen. Und dabei müssen endlich das seelische Leid und geraubte Bildungschancen stärker gewichtet werden.

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