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Kommentar: Die Lehren aus dem Fall Gurlitt

Kommentar

Die Lehren aus dem Fall Gurlitt

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    Die Augsburger Staatsanwaltschaft hat im Fall des Kunstsammlers Gurlitt ein Exempel statuiert. Das brachte ihr schärfste Kritik ein. Ein Gutes hat der Fall trotzdem.
    Die Augsburger Staatsanwaltschaft hat im Fall des Kunstsammlers Gurlitt ein Exempel statuiert. Das brachte ihr schärfste Kritik ein. Ein Gutes hat der Fall trotzdem. Foto: Marc Müller (dpa)

    Es gibt da einen Roman, den ein jeder, zumal in Bayern, gelesen haben sollte. Er ist süffig, kritisch, ironisch. Es geht darin eingangs um die Kunst und um die Justiz und um die Darlegung eines bayerischen Sittengemäldes: Ein kunstsinniger Mensch gerät in die Mühlen von Staat und Staatsanwaltschaft. Der Roman heißt „Erfolg“, stammt von dem deutschen Juden Lion Feuchtwanger und wurde deswegen 1933 von den Nazis verbrannt.

    Lebte Feuchtwanger heute noch, so hätte er derzeit ausreichend Stoff, um den Anfang seines Romans ganz aktuell neu zu erfinden – selbst wenn er seine folgende Schilderung vom deutschen Treiben auf den politischen Abgrund hin kaum übernehmen könnte. Aber dass da ein kunstsinniger Mensch in die Mühlen der Staatsanwaltschaft gerät, das würde ihm zur Inspiration bleiben – auch wenn sich dieser Mensch moralisch etwas zuschulden hat kommen lassen. Er heißt Cornelius Gurlitt und versteckte jahrelang Bilder, von denen er annehmen musste, dass sie einst geraubt waren. Das war nicht fein – aber letztlich unanfechtbar aufgrund bewusst geformter bundesrepublikanischer Rechtslage.

    Dann aber machte sich Cornelius Gurlitt möglicherweise eines wohl eher kleineren Steuerdelikts juristisch schuldig – worauf sich sofort das ganz große Mühlrad drehte: Komplettbeschlagnahme seiner Sammlung. Als dies die Augsburger Staatsanwaltschaft „nur“ 20 Monate später zugab, ahnte man bereits Schlimmes, was die Verhältnismäßigkeit in der vorliegenden Rechtslage anbelangt. Auch erfasste einen schon damals tiefster Unglaube darüber, dass in Schwabing angeblich keine relevanten Dokumente zur Sammlung Gurlitts gefunden wurden.

    Jetzt, gut zwei Jahre nach der Beschlagnahme, lichtet sich starke Vernebelung: Vor einer Woche wurde der Vertrag zwischen Bund und Gurlitt perfekt, wonach der betagte Sammler Raubkunst freiwillig zurückzugeben bereit ist.

    Und justament nur zwei Tage später wird von der Augsburger Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme wieder aufgehoben – nicht zuletzt aufgrund eingestandener „fundierter Beschwerde der Verteidiger Gurlitts“.

    Wie aber dürfte nun das vermutete Steuerdelikt von Gurlitt ausgehen – wenn es denn mal nach mehr als zwei Jahren abschließend bewertet ist? Vermutlich wie das Hornberger Schießen!Das brachte ihr schärfste Kritik ein. Ein gutes hat der Fall trotzdem

    Der Fall Cornelius Gurlitt

    22. September 2010: Der Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt wird auf einer Zugfahrt von Zürich nach München kontrolliert. Zollfahnder schöpfen Verdacht, es könne ein Steuerdelikt vorliegen.

    23. September 2011: Das Amtsgericht Augsburg bewilligt einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss für Gurlitts Münchner Wohnung.

    28. Februar 2012: Gurlitts Wohnung in München-Schwabing wird durchsucht. Die Fahnder entdecken rund 1280 wertvolle Kunstwerke. Der Fund wird geheim gehalten, die Berliner Kunstexpertin Meike Hoffmann mit der Erforschung der Herkunft beauftragt.

    3. November 2013: Das Nachrichtenmagazin «Focus» bringt den Fall an die Öffentlichkeit und sorgt damit für eine Sensation.

    11. November 2013: Die ersten 25 Werke werden auf der Plattform «lostart.de» veröffentlicht - nach und nach folgen alle weiteren unter Verdacht stehenden Werke. Eine Taskforce wird eingesetzt, sie soll die Herkunft der Bilder erforschen.

    19. November 2013: Die Behörden teilen mit, dass Gurlitt Hunderte Bilder zurückbekommen soll, die ihm zweifelsfrei gehören. Den Angaben zufolge scheiterten mehrere Übergabeversuche.

    23. Dezember 2013: Es wird bekannt, dass Gurlitt unter vorläufige Betreuung gestellt wird.

    28. Januar 2014: Die Taskforce gibt bekannt, dass nach einer ersten Sichtung 458 Werke aus Gurlitts Sammlung unter Raubkunstverdacht stehen. Gurlitts damaliger Anwalt, Hannes Hartung, sagt, sein Mandant sei gesprächsbereit und an einer «fairen und gerechten Lösung» interessiert.

    3. Februar 2014: Gurlitts Anwälte teilen mit, dass sie Anzeige gegen unbekannt stellen, weil vertrauliche Informationen aus den Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit gerieten.

    10. Februar 2014: Nach Angaben von Gurlitts Sprecher Stephan Holzinger wurden mehr als 60 weitere wertvolle Bilder in Gurlitts Haus in Salzburg gesichtet und an seinen sicheren Ort gebracht - darunter Werke von Picasso, Renoir und Monet.

    19. Februar: Gurlitts Anwälte geben bekannt, dass sie beim Amtsgericht Augsburg Beschwerde gegen die Beschlagnahmung der Kunstsammlung eingelegt haben.

    24. und 28. Februar: Bei weiteren Besichtigungen des Salzburger Anwesens von Gurlitt werden zahlreiche weitere Kunstgegenstände «in einem zuvor nicht zugänglichen Teil des alten Hauses» gefunden.

    5. März: Das Amtsgericht München ordnet die weitere Betreuung Gurlitts an. Sie soll zunächst bis Ende des Jahres gelten.

    26. März: Gurlitts Betreuer Christoph Edel lässt mitteilten, dass die Salzburger Sammlung Gurlitts nicht nur 60, sondern 238 Werke umfasst. Außerdem gibt er bekannt, dass Gurlitt sich bereiterklärt, als Raubkunst anerkannte Bilder aus der Schwabinger Sammlung an die Erben jüdischer Vorbesitzer zurückzugeben. Den Anfang soll die «Sitzende Frau» von Henri Matisse machen.

    7. April: Gurlitt unterzeichnet einen Vertrag mit der Bundesregierung, in dem er sich bereiterklärt, Bilder, bei denen es sich um Nazi-Raubkunst handelt, freiwillig zurück zu geben. Ein Jahr soll die Taskforce Zeit haben, die rund 500 verdächtigen Bilder aus seiner Sammlung zu überprüfen. Danach gehen sie an Gurlitt zurück. (dpa)

    6. Mai: Cornelius Gurlitt stirbt im Alter von 81 Jahren. Seine gesamte Bildersammlung vermacht er einem Kunstmuseum in Bern.

    24. November: Nach längerer Bedenkzeit erklärt das Kunstmuseum Bern, das Erbe von Cornelius Gurlitt annehmen zu wollen. Bilder, die unter Raubkunstverdacht stehen, bleiben aber zunächst in Deutschland.

    Kein Zweifel: Im Fall Gurlitt wurde ein Exempel statuiert. Mit enormer Schärfe ging die Staatsanwaltschaft gegen einen alles andere als verteidigungsbereiten Privatier und gegen dessen potenziellen Raubkunstbesitz vor – während ansonsten vielerorts seit Jahren weggeguckt wird bei potenzieller Raubkunst in Museen und Behörden. Das wäre ein Ding gewesen, wenn eine Staatsanwaltschaft auch mal auf bloßen Verdacht hin in einer Staatsgemäldesammlung potenzielle Raubkunst beschlagnahmt hätte! Solch ein Fall wäre sogar eher gerechtfertigt gewesen, weil im Fall des Falles Rückgabepflicht besteht.

    Das Exempel, das statuiert wurde, hat der Augsburger Staatsanwaltschaft von vielen Seiten ausreichend Süffisanz, Spott, Hohn, ja allerschärfste Kritik eingebracht. Das war über Monate hinweg gewiss kein Zuckerschlecken. Ein juristisch geglückter Feldzug sieht anders aus.

    Immerhin bleibt der höchst aparte Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg bei all ihrer juristischen Eile und nachfolgenden Weile letztlich den Anstoß gegeben hat zu einer moralisch getriebenen Regelung des Falles Gurlitt. Und: Es ist grundsätzlich etwas in Bewegung gekommen in Sachen Raubkunst-Restitution.

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