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Kirche: Marx-Rücktrittsgesuch sorgt weiter für Diskussionen unter Katholiken

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Marx-Rücktrittsgesuch sorgt weiter für Diskussionen unter Katholiken

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    Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx hat ein Kirchenbeben ausgelöst: Er hat Papst Franziskus seinen Amtsverzicht angeboten – um Verantwortung für die schleppende Missbrauchsaufarbeitung zu übernehmen und um ein Zeichen für Reformen zu setzen.
    Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx hat ein Kirchenbeben ausgelöst: Er hat Papst Franziskus seinen Amtsverzicht angeboten – um Verantwortung für die schleppende Missbrauchsaufarbeitung zu übernehmen und um ein Zeichen für Reformen zu setzen. Foto: Tobias Hase, dpa

    Es ist noch keine vier Monate her, dass Renate Spannig ein Thesenpapier ans Hauptportal der Frauenkirche in München gehängt hat. Sieben Thesen waren darauf geschrieben, nicht 95 wie einst bei Reformator Martin Luther. Der Sprecherin der Münchner Gruppe der katholischen Reform-Initiative Maria 2.0 geht es um die Priesterweihe für Frauen, um ein Ende des Pflichtzölibats – aber auch darum, dass „Taten sexualisierter Gewalt umfassend aufgeklärt und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen“ werden.

    Es ist viel passiert in den vergangenen Monaten, vieles, dass selbst Renate Spannigs Vorstellungskraft überstieg: Dass Papst Franziskus zwei hochrangige Bischöfe ins Erzbistum Köln schickt, um Kardinal Rainer Maria Woelkis Umgang mit Missbrauchsfällen untersuchen zu lassen. Oder, dass der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx zurücktreten möchte.

    Die Nachricht von Marx' Rücktrittsgesuch löste ein Kirchenbeben aus

    Am Freitag erschütterte diese Nachricht die katholische Kirche in München, in Deutschland, in aller Welt. Marx erklärte, er wolle Mitverantwortung tragen für „die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche“. Seitdem ist das, was nun noch alles passieren könnte, völlig unvorhersehbar geworden. Die Dynamik ist groß. Nimmt der Papst Marx’ Rücktrittsgesuch an? Wer wird sein Nachfolger? Kommt es zu reihenweise Bischofsrücktritten?

    Und: Wie geht es weiter mit dem Gesprächsprozess „Synodaler Weg“ zwischen Bischöfen und engagierten Katholiken, der als Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal entstand – und bei dem über systemische Ursachen debattiert wird, die Missbrauch innerhalb der Kirche begünstigen können. Wie Klerikalismus, ein übersteigertes Priesterbild, eine unreife Sexualität.

    Renate Spannig von der katholischen Reform-Initiative Maria 2.0 hängt ein Plakat mit ihren Thesen ans Hauptportal der Münchner Frauenkirche.
    Renate Spannig von der katholischen Reform-Initiative Maria 2.0 hängt ein Plakat mit ihren Thesen ans Hauptportal der Münchner Frauenkirche. Foto: Angelika Warmuth, dpa

    Kein Stein werde auf dem anderen bleiben, sagte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode nach Marx’ Rücktrittsgesuch. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, meinte, „Schönheitsreparaturen“ genügten nicht mehr. Selbst für Weiheämter für Frauen und ein Ende des Pflichtzölibats zeigte er sich offen.

    Renate Spannig, eine 55-jährige Sozialpädagogin, erkennt darin erste Folgen von Marx’ Entschluss. Gleichwohl ist sie in seiner Beurteilung gespalten. „Ich respektiere seinen Schritt. Doch auch mit Marx wäre es nicht zu echten Reformen gekommen“, sagt sie.

    Das habe sie Anfang Mai bei einem eineinhalbstündigen Gespräch mit ihm gemerkt, zu dem er sich mit Vertreterinnen und Vertretern von Reformgruppen traf. „Es war ein wertschätzendes Gespräch, gerade uns Frauen gegenüber.“ Marx habe allerdings auch betont, dass es mit ihm zum Beispiel keine Frauenweihe geben werde. „Wir sollten geduldig sein“, erzählt Spannig. Sie habe ihm geantwortet: „Wenn’s ungerecht wird, hab ich keine Geduld mehr!“

    Die katholische Kirche befindet sich in einer historischen Krise – Vergleiche mit Naturphänomenen liegen da nicht fern. Robert Köhler, einer der Vorsitzenden des Vereins Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer, sagt am Telefon: „Das Angebot von Marx, auf sein Bischofsamt zu verzichten, ist ein erster Donnerschlag. Man sieht die dunklen Wolken. Ein reinigendes Gewitter ist es nicht.“

    Genauer gesagt: Noch nicht. „Erst wenn flächendeckend Bischöfe, Generalvikare oder andere kirchliche Verantwortungsträger ihren Amtsverzicht anbieten würden, wäre es ein reinigendes Gewitter.“ Für Missbrauchsbetroffene wäre das, so der 57-jährige Münchner, ein wichtiges Zeichen. Wer sich ganz klar zu seiner eigenen Schuld bekenne und dementsprechend handele, der habe nach einem solchen Angebot auch eine zweite Chance verdient.

    Robert Köhler vom Verein Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer während einer Pressekonferenz im Jahr 2011.
    Robert Köhler vom Verein Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer während einer Pressekonferenz im Jahr 2011. Foto: Andreas Gebert, dpa (Archivfoto)

    2010 begann in Deutschland mit dem Bekanntwerden von immer weiteren Fällen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche das, was seitdem unter dem Wort „Missbrauchsskandal“ Schlagzeilen macht. Damals stand auch die oberbayerische Benediktinerabtei Ettal im Zentrum der Öffentlichkeit. Köhler, der von 1974 bis 1983 das Klosterinternat besuchte, war einer von vielen, die dort missbraucht wurden.

    Über Marx, der sich aus Sicht von Kritikern im Falle Ettals als Chefaufklärer inszenierte, sagt Köhler heute: „Er hat gegen viele Widerstände einiges voran gebracht und merkt, dass es so in der Art und Geschwindigkeit nicht weitergeht.“

    Sein Rücktrittsangebot sei daher ein wichtiges Zeichen. Denn nach wie vor schreite die Missbrauchsaufarbeitung viel zu langsam voran, und das elf Jahre nach Ettal. „Die Kirche schafft sich selbst ab, weil sie sich nicht verändert“, sagt Köhler. Wenigstens für die meisten Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer könne er sagen, dass sie mit der Vergangenheit hätten abschließen können. Es sei gut und vorbildlich aufgearbeitet worden.

    Wie geht es nun mit dem Gesprächsprozess "Synodaler Weg" weiter?

    Robert Köhler wie Renate Spannig sind sich einig darin, dass der Synodale Weg fortgeführt werden müsse. Spannig sagt: „Es gibt keine Alternative zum Synodalen Weg.“ Köhler sagt: „Der Synodale Weg muss weitergehen, sonst kann man die Kirche zusperren.“ Marx hatte diesen Gesprächsprozess mitinitiiert. Schnell aber regte sich heftiger Gegenwind – von katholisch-konservativen Bischöfen, die ihn als Weg in die Kirchenspaltung betrachten – Martin Luther lässt grüßen. Und aus dem Vatikan. Papst Franziskus, hieß es einmal, sei in „dramatischer Sorge“ über die Entwicklung in Deutschland.

    In einer ersten Reaktion sagte der Augsburger Bischof Bertram Meier unserer Redaktion am Freitagmittag, das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx werde „wohl Ausrufe- und Fragezeichen zugleich sein“. „Ausrufezeichen: Bemüht euch auf dem Weg der geistlichen Erneuerung voranzuschreiten! Fragezeichen: Inwieweit gelingt es uns, angesichts der zahlreichen Herausforderungen, vor denen die Kirche in Deutschland steht, die Einheit zu wahren.“

    Sowohl der Synodale Weg als auch das Themenfeld der Aufklärung und Aufarbeitung des Missbrauchs forderten „einen Schulterschluss derer, die einander den guten Willen zusprechen, mit Blick auf die Kirche sowohl aufklären als auch geistlich erneuern zu wollen“. Meier, Mitglied im „Synodalforum 2 – Priesterliche Existenz heute“, geht davon aus, dass der Synodale Weg auch nach dem Rücktrittsgesuch von Marx weitergehe.

    Maria 1.0-Sprecherin: "Marx zieht sich aus der Verantwortung"

    Clara Steinbrecher aus Eichstätt betrachtet den Synodalen Weg skeptisch – und keinesfalls als alternativlos. Die 23-jährige Studentin ist Sprecherin der katholischen Initiative Maria 1.0, die sich 2019 als Gegenbewegung zu Maria 2.0 bildete.

    Der Zusammenschluss hält es für keine Abwertung von Frauen, dass diese laut Kirchenlehre nicht zu Priesterinnen geweiht werden dürfen. Auch am Zölibat in seiner bisherigen Form hält er fest. Für Steinbrecher ist die Ausrichtung des Synodalen Wegs fraglich: Es würden Forderungen gestellt, die nicht umgesetzt werden könnten. „Die Kirche ist doch kein System, das einfach umgebaut werden kann“, sagt sie. Beim Synodalen Weg gehe es viel zu wenig um Glaubensvermittlung – und viel zu stark um Dauerdebattenthemen wie Frauenweihe oder Zölibat.

    In Marx’ Rücktrittsgesuch sieht Steinbrecher einen „klugen Schachzug“: „Er kommt damit der Aufdeckung seiner eigenen Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen zuvor und zieht sich aus der Verantwortung“, sagt sie mit Blick auf entsprechende Vorwürfe, die in Marx’ Trierer Bischofszeit zurückreichen, und ein noch ausstehendes Missbrauchsgutachten für das Erzbistum München und Freising.

    „Natürlich kann ein Führungswechsel fruchtbar sein. Aber es ist doch viel stärker, im Amt zu bleiben und einen begonnenen Prozess zu Ende zu bringen, wie das der Kölner Kardinal Woelki beabsichtigt“, meint sie.

    Der Druck auf den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki steigt zusehends. Nun muss er sich auch noch einer Apostolischen Visitation - einer Untersuchung - stellen.
    Der Druck auf den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki steigt zusehends. Nun muss er sich auch noch einer Apostolischen Visitation - einer Untersuchung - stellen. Foto: Oliver Berg, dpa

    Der vielkritisierte Woelki übrigens sagte derKatholischen Nachrichten-Agentur: „Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung von Kardinal Marx, die er in diesen für die katholische Kirche schweren Zeiten als seine persönliche Konsequenz gezogen hat.“ Er selbst habe bereits vergangenen Dezember Papst Franziskus gebeten, die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln sowie seine persönliche Verantwortung zu bewerten. „Damit habe ich mein Schicksal damals vertrauensvoll in die Hände des Papstes gegeben.“

    Ob Papst Franziskus das Rücktrittsgesuch des Münchner Kardinals Reinhard Marx annehmen wird und ob sich dessen Kölner Mitbruder Woelki im Amt wird halten können - auch das: völlig unvorhersehbar.

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