Journalisten aus dem ganzen Land schauen nach Kaufbeuren im Allgäu. Dort hat eine deutliche Mehrheit der Wähler am Sonntag bei einem Bürgerentscheid ihren Stadtrat zurückgepfiffen, der mit dem örtlichen Türkisch-Islamischen Kulturverein Ditib über ein Grundstück für den Neubau einer Moschee verhandeln wollte. Was ist los in der 45.000-Einwohner-Stadt? Entlädt sich dort der Islam-Hass an einem muslimischen Verein, der seit Jahrzehnten unauffällig ist und sich ein größeres Gebetshaus wünscht?
"Das klare Votum ist das Ergebnis einer tiefen Verunsicherung in der Bevölkerung", sagt Oberbürgermeister Stefan Bosse am Tag danach. "Es ist ein Statement vieler Menschen gegen den politischen Islam." Dies habe er in vielen Einzelgesprächen wahrgenommen. Dass der Verein seit vier Jahrzehnten völlig unauffällig seine Heimat in Kaufbeuren hat, dass die Stadt ihre Einflussmöglichkeiten auf Planung und Betrieb der neuen Moschee aus der Hand gibt, wenn möglicherweise bald auf Privatgrund gebaut wird – diese Argumente haben die Kritiker nicht überzeugt. Oder gar nicht erreicht, wie Bosse vermutet. Dabei habe es an Veranstaltungen und Aufklärungsarbeit zu dem Vorhaben nicht gemangelt.
AfD zog beim Bürgerentscheid im Hintergrund die Fäden
"Die Stimmungslage ist hier nicht anders als in ganz Deutschland", sagt CSU-Politiker Bosse, der sich stets für den Neubau aussprach. "In Kaufbeuren hat sie nun aber ein Ventil gefunden." Wie bei der Fußball-WM soll es am Sonntagabend sogar einen Autokorso vor dem Rathaus gegeben haben, bei dem sich einige deutsche Moschee-Gegner nach dem sportlichen Desaster doch noch einmal als Sieger fühlen durften. "Das Motto: Denen haben wir es gezeigt", sagt Bosse. Diese Stimmung reiche angesichts der Politik des türkischen Präsidenten Erdogan, der Terrorangst und der Flüchtlingssituation weit ins bürgerliche Lager hinein. Aber natürlich wäre es zu einfach, alle Gegner des Vorhabens als Protestwähler zu kategorisieren. Das weiß auch Bosse. Viele Bürger seiner Stadt hätten die Dimension des muslimischen Gebetshauses und das Minarett kritisiert. Pläne, von denen der Verein bislang nicht abrücken wollte.
Ein Teil der Erklärung findet sich aber doch speziell in Kaufbeuren, genauer in Neugablonz. Heimatvertriebene haben den Stadtteil nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut. Später ließen sich dort viele Spätaussiedler aus den früheren Ostblock-Staaten nieder – eine umworbene Wählergruppe der AfD. Die rechtspopulistische Partei hat auch bei dem Bürgerentscheid im Hintergrund die Fäden gezogen. Prozentual war die Ablehnung des Grundstücksgeschäfts für den Moschee-Bau im Neugablonzer Zentrum am höchsten. Bosse sieht Zusammenhänge und zieht daraus die Erkenntnis, dass die Politik diese Bevölkerungsgruppe bislang möglicherweise vernachlässigt habe.
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