Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Katholische Kirche: Jetzt spricht der Verfasser der unterdrückten Kölner Missbrauchsstudie

Katholische Kirche

Jetzt spricht der Verfasser der unterdrückten Kölner Missbrauchsstudie

    • |
    Der Druck auf den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki nimmt täglich zu.
    Der Druck auf den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki nimmt täglich zu. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Am Mittwoch ist der Druck auf den höchst umstrittenen Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki nochmals gestiegen. Nach einer weiteren Pfarrgemeinde, die ihm das Vertrauen entzogen hatte, meldete sich erstmals einer der Rechtsanwälte ausführlich zu Wort, deren Missbrauchsgutachten Woelki seit Monaten unter Verschluss hält. Woelki hatte bekanntlich eine Untersuchung der Missbrauchsfälle in seinem Erzbistum Köln bei der renommierten Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl in Auftrag gegeben - dieser dann aber schwere Vorwürfe gemacht. Wegen angeblicher handwerklicher Fehler und äußerungsrechtlicher Bedenken könne das Gutachten, in dem Namen von Verantwortlichen genannt werden, nicht veröffentlicht werden.

    Ulrich Wastl sprach jetzt im Interview mitChrist&Welt in der Zeit, das unserer Redaktion vorliegt, von einem "Gewaltangriff" auf seine Kanzlei und auf sich selbst. Ein derartiges Verhalten habe er noch nicht erlebt. Er sei davon ausgegangen, das Gutachten auf jeden Fall veröffentlichen zu können. "Das mag heute blauäugig erscheinen, aber so war es." Im Vertrag mit dem Erzbistum Köln sei dies jedoch nicht ausdrücklich so festgehalten gewesen.

    Wastl hält weiter an einer Veröffentlichung fest. Man stehe hiermit bei den Missbrauchs-Betroffenen im Wort. Zudem sei die fachliche Kompetenz seiner Kanzlei massiv in Zweifel gezogen worden - "ohne dass der Gegenstand der Kritik, unsere Arbeit, der Öffentlichkeit zur Prüfung vorliegt". Einen Rücktritt Woelkis forderte Wastl dennoch nicht. Dies sei ihm egal. "Ich hege keine Rachegefühle."

    Gutachter in Christ&Welt-Interview: Kann nicht erkennen, wo wir uns falsch verhalten haben sollen

    Die Frage, ob er denn gepfuscht habe, wies Wastl - der als Anwalt unter anderem schon für den damaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel arbeitete - in Christ&Weltvehement zurück und betonte seine Unabhängigkeit. Über sein Gutachten für das Erzbistum Köln sagte er, dass man sich dafür "alle Fälle von 1975 bis 2019 angeschaut" habe. Dann habe man 15 Fälle ausgesucht, um an ihnen - tiefer gehend und beispielhaft - persönliche Verantwortlichkeiten darzustellen. Und die Namen von Verantwortlichen eben auch zu nennen. Dies sei möglich, so Wastl in Christ&Welt, weil es sich bei Bischöfen, Generalvikaren und mit Abstrichen auch Personalverantwortlichen um Personen der Zeitgeschichte handele.

    Einer von dem bereits seit längerem bekannt ist, dass er im Gutachten der Münchner Kanzlei eine Rolle spielt, ist der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Er war einst in Köln Generalvikar, also "Alter Ego" des damaligen Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner. Heße hatte - ebenfalls in Christ&Welt - der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl vorgeworfen: "Ich habe insgesamt den Eindruck, die Verfasser der Studie hätten gründlicher arbeiten können." Wastl sagte nun dazu: "Ich kann nicht erkennen, wo wir uns ihm gegenüber falsch verhalten haben sollen. Die Plattitüde, wir hätten gründlicher arbeiten können, soll er mit Fakten belegen. Wir werden diese dann widerlegen."

    Gegen den Hamburger Erzbischof Stefan Heße gibt es schwere Vertuschungsvorwürfe. Er bestreitet sie vehement.
    Gegen den Hamburger Erzbischof Stefan Heße gibt es schwere Vertuschungsvorwürfe. Er bestreitet sie vehement. Foto: Markus Scholz, dpa

    Über Heße war eine Passage mit schweren Vorwürfen publik geworden. „Dieser Befund gestattet die Schlussfolgerung", so heißt es, "dass es sich bei den Unzulänglichkeiten, einschließlich fehlender Opferfürsorge, nicht um Einzelfälle handelt, sondern um regelmäßig wiederkehrende, durchgängig festzustellende Mängel in der Sachbehandlung von Missbrauchsfällen basierend auf einer indifferenten, von fehlendem Problembewusstsein geprägten Haltung des Dr. Heße gegenüber Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker.“ Der Hamburger Erzbischof wies das wiederholt zurück.

    Pfarrgemeinden und engagierte Katholiken wenden sich von Woelki ab und bitten den Vatikan um Hilfe

    Erst kürzlich hatte die Münchner Kanzlei in einer fünfseitigen Pressemitteilung erklärt, dass sie eine Veröffentlichung ihres Gutachtens für "zwingend geboten" halte. Sie könne es "jederzeit" selbst veröffentlichen. Es sei ihr "dringender Wunsch", dass das Gutachten "zeitnah und vollständig veröffentlicht wird". Diese Veröffentlichung könne auch ausschließlich über die Homepage der Kanzlei erfolgen, "so dass nach unserer Einschätzung für das Erzbistum Köln keinerlei Haftungsrisiken bestehen". Das war einerseits ein Angebot an Kardinal Woelki. Andererseits klang es wie eine Drohung. Was nach Recherchen unserer Redaktion auch durchaus so gemeint war - und nach wie vor ist. Schließlich kämpft die Kanzlei um ihren guten Ruf, unterliegt aber einer Verschwiegenheitsverpflichtung seitens des Erzbistums Köln.

    Kardinal Rainer Maria Woelki verweigert seit Monaten die Veröffentlichung eines von ihm selbst in Auftrag gegebenen Gutachtens.
    Kardinal Rainer Maria Woelki verweigert seit Monaten die Veröffentlichung eines von ihm selbst in Auftrag gegebenen Gutachtens. Foto: Andreas Arnold, dpa

    Das Angebot zur Veröffentlichung jedenfalls ließ Woelki umgehend ausschlagen. Seine Pressestelle erklärte das Gutachten einmal mehr für "untauglich". Die Pressestelle wurde sogar noch deutlicher: Der "Veröffentlichung eines rechtswidrigen Gutachtens" könne man nicht zustimmen. Das Erzbistum Köln stützt sich dabei auf ein "Gegen-Gutachten" zu dem Münchner Gutachten, das dieses regelrecht verreißt. Allerdings stellte die Münchner Kanzlei mittlerweile ein mit ihrem Kölner Gutachten vergleichbares Missbrauchsgutachten für das Bistum Aachen vor. Und zwar in Beisein das dortigen Bischofs. Einwände - gerade auch rechtlicher Art - sind bislang nicht bekannt. Im Gegenteil: Das Aachener Gutachten gilt bereits als Vorbild für weitere Gutachten, die künftig im Auftrag katholischer Bistümer noch von unabhängigen Juristen oder Historikern erstellt werden sollen.

    Vieles erinnnert an "Prunk-Bischof" Tebartz-van Elst

    Und so vergeht kaum ein Tag, an dem der Druck auf Kardinal Woelki nicht weiter steigt. Geistliche wie engagierte Laien gehen mit unmissverständlichen Worten auf Distanz zu ihm, die Zahl der Kirchenaustritte wächst rasant. Es wird immer einsamer um Woelki. Der vielschichtige Skandal, in dessen Zentrum er steht, erinnert in seiner Dynamik damit stark an den Skandal um den ehemaligen Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst. Der musste 2014 zurücktreten, nachdem er mit seinen Sonderwünschen ein Bauprojekt erheblich verteuert und die tatsächlichen Baukosten von mindestens 31 Millionen Euro verschleiert hatte. Berühmt wurde seine "Luxus-Badewanne", die ihn in der Öffentlichkeit den verächtlichen Beinamen "Protz-Bischof" oder "Prunk-Bischof" einbrachte. Allein die „Ausstattung des Badezimmers des Bischofs mit Sanitärgegenständen (ohne Montage)“ kostete einem Prüfbericht zufolge 37.000 Euro. Wie der Kölner Kardinal Woelki verlor auch Tebartz-van Elst zunächst das Vertrauen ungezählter Katholiken in seinem Bistum - bis er schließlich dem Papst seinen Amtsverzicht anbieten musste.

    Ein Bild aus dem Dezember 2012: Der damalige Limburger Bischof im Innenhof der bischöflichen Residenz. 
    Ein Bild aus dem Dezember 2012: Der damalige Limburger Bischof im Innenhof der bischöflichen Residenz.  Foto: Boris Roessler, dpa (Archivbild)

    Wie tief Woelki bereits im Ansehen gesunken ist, zeigt eine kürzlich veröffentlichte "Erklärung der Gemeindegremien" der Kirche der Jesuiten Sankt Peter Köln. In ihr heißt es gleich zu Beginn: "Mit der Kirche darf es so auch nicht weitergehen. Sie erfüllt in diesen Tagen in Köln nicht ihren Auftrag. Anstatt das Evangelium zu verkünden, ist sie mit sich selbst beschäftigt und verliert, weil sie Verbrechen in ihrer Mitte nicht anerkennt, was sie am meisten braucht: Vertrauen." Auf tragisch-dramatische Weise finde die Kölner Kirche seit elf Jahren "keinen glaubwürdigen Weg, den systemischen Machtmissbrauch in ihrer Mitte anzuerkennen". Es werde versucht, die Institution zu schützen; die Kirchenverantwortlichen missachteten die Wahrheit. Die Erklärung mündet in einer deutlichen Forderung: "Wegen erwiesener Unfähigkeit zur Selbstreform erbitten wir für das Erzbistum eine externe Begutachtung. Diese Prüfung sollte dringend über eine Apostolische Visitation von Bischöfen (...) hinausgehen." Es ist ein Hilferuf an den Papst.

    Am Dienstagabend erklärte die katholische Reformbewegung "Wir sind Kirche": "Die nach wie vor völlig verworrene Situation im Erzbistum Köln stellt derzeit eine große Belastung für den Synodalen Weg dar." Die jüngste Stellungnahme des Diözesanrates Köln sowie die Briefe von Kölner Priestergruppen zur aktuellen Situation der Missbrauchsaufklärung zeigten, dass eine fruchtbare Pastoral im Erzbistum Köln derzeit unmöglich ist. "Der Vertrauensschaden in Köln, aber auch für die Kirche in Deutschland ist enorm." Und weiter: Jeder Tag, an dem im Kölner Erzbistum die Unklarheit über das zurückgehaltene Missbrauchsgutachten andauere, so "Wir sind Kirche", sei einer zu viel.

    Der Synodale Weg ist ein Reformprozess zwischen Bischöfen und engagierten Laien, der sich mit den tiefer liegenden, strukturellen Gründen für die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche befasst - und diesen etwas entgegensetzen will. Diskutiert wird unter anderem über kirchliche Sexualmoral, Klerikalismus und Zölibat. Die nächste Online-Konferenz des Synodalen Weges findet am 4. und 5. Februar statt.

    Lesen Sie dazu auch:

    Kölner Stadtdechant setzt sich von Kardinal Woelki ab

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden