Das Rücktrittsangebot des Münchner Erzbischofs Reinhard Kardinal Marx ist nach Ansicht des renommierten Münsteraner Kirchenrechtlers Thomas Schüller ein „epochales, in die Geschichte eingehendes Ereignis“.
Kirchenrechtler Schüller: "Woelki kann nach diesem Schritt von Marx nicht im Amt bleiben"
Schüller sagte im Gespräch mit unserer Redaktion, Marx’ Schritt sei eine Botschaft an seine Mitbrüder, Papst Franziskus – und vor allem an den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der sich in den nächsten Wochen wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen einer Apostolischen Visitation stellen muss. „Woelki kann nach diesem Schritt von Marx nicht mehr im Amt bleiben“, sagte Schüller. „Dies ist ein Frontalangriff auf Woelki und auf alle reaktionären Bischöfe in der Deutschen Bischofskonferenz, die sich gegen Reformen stellen.“
Die Botschaft an den Papst sei: „Die Kirche muss sich reformieren. Es braucht ein Schuldbekenntnis, Umkehr und Veränderung.“ Marx selbst hatte erklärt: Die Diskussionen der letzten Zeit hätten gezeigt, „dass manche in der Kirche gerade dieses Element der Mitverantwortung und damit auch Mitschuld der Institution nicht wahrhaben wollen und deshalb jedem Reform- und Erneuerungsdialog im Zusammenhang mit der Missbrauchskrise ablehnend gegenüberstehen“. Dieser Haltung erteile er eine klare Absage.
Münsteraner Kirchenrechtler Schüller: Alle Bischöfe müssen sich hinterfragen
Angesprochen davon fühlen müssten sich nun vor allem der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer und der Kölner Kardinal Woelki, so Thomas Schüller. Diese seien die entschiedensten Gegner des sogenannten Synodalen Wegs von deutschen Bischöfen und Laien. Bei diesem Gesprächsprozess geht es um strukturelle Reformen infolge des Missbrauchsskandals der katholischen Kirche. Diskutiert wird über Klerikalismus, Männerbünde, den Zölibat oder die Rolle der Frau.
In Marx’ Erklärung zu den Gründen seines Amtsverzichtsangebots sieht Kirchenrechtler Schüller eine „knallharte Analyse“ des desolaten Zustands der katholischen Kirche in Deutschland. Diese sei, so Marx, an einem „toten Punkt“. Laut Schüller übernimmt Marx aber auch Verantwortung für eigene Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen zu seiner Zeit als Trierer Bischof, die erwiesen seien. Marx habe in den vergangenen Jahren eine persönliche Reflexion vorgenommen, die ihn verändert habe.
Als Folge von Marx’ Schritt, über den der Papst allerdings noch entscheiden muss, müssten sich nun alle älteren deutschen Bischöfe fragen, ob nicht auch sie ihren Amtsverzicht anbieten müssten. „Es ist eine Dramatik für die deutschen Bischöfe. Alle müssen sich jetzt fragen: Übernehmen wir auch Verantwortung?“ Das könne Karrieren kosten oder die Lebensplanung durcheinander bringen, sei aber dringend nötig, so Schüller. Ihn habe Marx’ Erklärung „sprachlos gemacht“. Für Schüller steht fest: „Das ist eine Zäsur für die Kirche in Deutschland.“
Bonner Kirchenrechtler Lüdecke: Respektabler Schritt von Marx
Der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke hält den vom Münchner Kardinal Reinhard Marx angebotenen Amtsverzicht für einen „sicher nicht verfrühten“ Schritt. Der Professor an der Universität Bonn sagte unserer Redaktion am Freitag: „Die Meldung, Kardinal Marx habe dem Papst den Verzicht auf sein Amt als Erzbischof von München angeboten, kommt überraschend. Es ist ein, wenn auch sicher nicht verfrühter respektabler Schritt. Er zieht damit Konsequenzen aus eigenen Fehlern und übernimmt auch politische Verantwortung.“
Lüdecke verwies darauf, dass es nun an Papst Franziskus liege, den Amtsverzicht anzunehmen oder eben abzulehnen. „Der Papst entscheidet nun souverän, ob er den angebotenen Amtsverzicht annimmt oder nicht“, sagte Lüdecke. „Inwieweit der Kardinal damit die Gespräche auf dem von ihm als ‚Reform‘-Prozess verstandenen Synodalen Weg einen Dienst erweist, bleibt abzuwarten.“ Marx hatte sich in seiner Amtsverzichtserklärung für den kirchenintern heftig umstrittenen „Synodalen Weg“ stark gemacht.
Dieser wurde als Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal ins Leben gerufen, um systemische Ursachen für Fälle sexualisierter Gewalt und den Umgang mit ihnen zu erörtern. Kritiker fürchten eine Verwässerung des Glaubens und die Gefahr einer Kirchenspaltung. Marx sagte dagegen nun, der Synodale Weg müsse weitergehen. Die katholische Kirche sei an einem „toten Punkt“ angekommen.
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