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Justiz: Polizistenmord: Wer ist schuld, wenn Raimund M. jetzt frei kommt?

Justiz

Polizistenmord: Wer ist schuld, wenn Raimund M. jetzt frei kommt?

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    Der Prozess gegen den mutmaßlichen Polizistenmörder Raimund M. ist abgetrennt.
    Der Prozess gegen den mutmaßlichen Polizistenmörder Raimund M. ist abgetrennt. Foto: Fred Schöllhorn

    Spektakuläre Entscheidung im Prozess um den Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth: Das Verfahren gegen den mutmaßlichen Mörder Raimund M. wurde heute vom laufenden Verfahren abgetrennt. Seit Anfang des Jahres hatte das Augsburger Schwurgericht gegen ihn und seinen Bruder Rudi R. wegen der Tat verhandelt. Wie konnte es dazu kommen? Und wie geht es weiter? Hier die Antworten:

    Warum wurde das Verfahren gegen Raimund M. abgetrennt?

    Raimund M. leidet an Parkinson. Sein Zustand hatte sich in den vergangenen Monaten immer weiter verschlechtert. Weil der 60-Jährige als nicht mehr verhandlungsfähig galt, wurde der Prozess im September unterbrochen. Das Problem: Ein solcher Strafprozess darf nur eine bestimmte Zeit lang unterbrochen werden. Im Fall des Polizistenmord-Prozesses endet dieser Zeitraum am 19. November. Nachdem Gutachter Ralph-Michael Schulte jetzt zum Schluss kam, dass der mutmaßliche Mörder verhandlungsunfähig ist, wurde das Verfahren gegen ihn abgetrennt - um nicht den gesamten Prozess zum Platzen zu bringen.

    Wie geht es jetzt weiter?

    Am 19. November wollen die Richter entscheiden, ob das Verfahren gegen Raimund M. nicht nur abgetrennt, sondern auch vorläufig eingestellt wird. Das gilt allerdings als sehr wahrscheinlich. Der Prozess gegen den zweiten Beschuldigten Rudi R. wird ganz normal weitergeführt.

    Kommt der mutmaßliche Mörder jetzt frei?

    Das ist gut möglich. Man wird Raimund M. wohl noch einige Zeit in Untersuchungshaft lassen und hoffen, dass sich der Zustand wieder bessert. Allerdings werden die Verteidiger des Mannes mit Sicherheit Haftbeschwerde einlegen. Dann könnte es tatsächlich dazu kommen, dass der mutmaßliche Polizistenmörder freigelassen werden muss.

    Warum ist Raimund M. überhaupt verhandlungsunfähig?

    Der Gutachter meint, daran sei auch die „strenge Einzelhaft“ schuld, die im Juli vorigen Jahres gegen M. verhängt worden war. Die Symptome bei dem Angeklagten seien so, „wie wir es leider immer wieder bei isolierten Patienten erleben“, sagte Ralph-Michael Schulte. Der Neurologe attestierte M. eine Reihe teils massiver Einschränkungen: Sprachstörungen, Konzentrationsprobleme, Halluzinationen sowie eine schwere depressive Phase mit wahnhaften Zügen.

    Warum saß Raimund M. so lange in Einzelhaft?

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Die Einzelhaft hatte das Gericht angeordnet, weil die Ermittler von einem Mitgefangenen Hinweise erhalten hatten, dass M. sich und seinen Bruder freipressen wolle – ein Richter sollte dazu angeblich entführt werden. Zudem hatte man in seiner Zelle ein aus Rasierklingen gebasteltes Messer gefunden. Seither fiel der Häftling allerdings nicht mehr auf.

    Kann es sein, dass Raimund M. seine schwere Krankheit nur simuliert?

    Das schließt Gutachter Schulte aus. Eine zweite Sachverständigenmeinung hat das Gericht bislang nicht eingeholt.

    Könnte man nicht einfach in Abwesenheit von Raimund M. weiterverhandeln?

    Nach der Strafprozessordnung ist es zwar möglich, den Prozess gegen einen Angeklagten fortzusetzen, obwohl er nicht anwesend sein kann. Allerdings ist das nur gestattet, wenn der Angeklagte den schlechten Gesundheitszustand selbst zu verantworten hat – er müsste etwa das Essen verweigern. In Justizkreisen geht man davon aus, dass das bei Raimund M. nicht in Betracht kommt.

    Kann Raimund M. später wieder der Prozess gemacht werden?

    Wenn das Verfahren gegen ihn nur vorläufig eingestellt wird - wovon auszugehen ist -. dann ist das möglich. Voraussetzung ist aber, dass ihn die Gutachter für verhandlungsfähig erklären. Und: Der gesamte Prozess müsste gegen ihn komplett neu aufgerollt werden.

    Was ist mit seinem ebenfalls angeklagten Bruder Rudi R.?

    Der Prozess gegen Rudi R.  geht weiter - eben ohne seinen Bruder. Ihm droht wegen des Mordes an dem Augsburger Polizisten weiter einen lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.

    Wer ist schuld, wenn Raimund M. tatsächlich freikommt - obwohl er womöglich ein Mörder ist?

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    Im Oktober 2011 wurde der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth im Dienst erschossen. Die beiden Täter werden später verurteilt.

    Genau diese Frage wird nun intensiv diskutiert werden. Gab es Versäumnisse in der JVA Straubing, wo der 60-Jährige einsaß? Hätte er besser oder anders therapiert werden müssen? Hätten Amts- und Landgericht Augsburg, die die monatelange Einzelhaft zu verantworten haben, früher reagieren müssen? 

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