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Justiz: Kein Ermittlungsverfahren gegen Ivo Sasek und seine Sekte OCG

Justiz

Kein Ermittlungsverfahren gegen Ivo Sasek und seine Sekte OCG

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    Ein Mann öffnet ein Handbuch der Sekte „Organische Christus-Generation“, kurz OCG.
    Ein Mann öffnet ein Handbuch der Sekte „Organische Christus-Generation“, kurz OCG. Foto: Arne Immanuel Bänsch, dpa

    Fachleute beobachten die Sekte „Organische Christus-Generation“ (OCG) des Schweizers Ivo Sasek seit Jahren mit zunehmender Sorge. Sie verbreite unter anderem über das Internetportal kla.tv antisemitische Verschwörungsmythen und habe sich im Verlauf der Corona-Pandemie radikalisiert. Als vermeintlich „erleuchtete Elite“ wolle sie den Menschen die Augen öffnen und auf das „Böse“ – Politiker wie „Mainstreammedien“ – aufmerksam machen. Eines der aktuell meistgeklickten Videos heißt: „Coronapolitik: Psychologische Kriegsführung – bitte nicht einknicken!“

    Im vergangenen Jahr war publik geworden, dass Sektenmitglieder tausende Daten, darunter die von Spitzenpolitikerinnen wie Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) oder des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, zusammengetragen haben sollen. Dabei ging es Medienberichten zufolge um Privatanschriften und Telefonnummern sowie Informationen zu Religionszugehörigkeit, Nationalität oder sexueller Orientierung. „Freundes- und Feindeslisten“? Dem BR gegenüber hatte Sasek das entschieden dementiert und erklärt, die Datensammlung diene nur der „Weiterbildung“.

    Haben Sektenmitglieder Daten von Politikerinnen und Politikern gesammelt, um Feindeslisten zu erstellen?

    Aufgrund der öffentlichen Berichterstattung wurde im März 2020 durch die Generalstaatsanwaltschaft München von Amts wegen ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet, im Mai 2020 kam ein anonymer Hinweis hinzu. Laut Generalstaatsanwaltschaft wurde geprüft, ob die Straftatbestände der Volksverhetzung, der Bedrohung und der Aufforderung zu Straftaten vorliegen.

    Wie erst jetzt auf Anfrage unserer Redaktion bekannt wurde, ist dieses Verfahren eingestellt worden: „Im Ergebnis haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein verfolgbares strafbares Verhalten ergeben, entsprechend musste Anfang Januar 2021 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen werden.“ Man habe zahlreiche Zeugen – darunter Aussteiger – vernommen, Äußerungen Saseks sowie die Veröffentlichungen auf kla.tv ausgewertet und über den Rechtshilfeweg Erkenntnisse der Schweizer Behörden einbezogen.

    Fabian Mehring machte als Zeuge eine Aussage im Vorermittlungsverfahren gegen die Sekte OCG. Der Politiker der Freien Wähler ist Landtagsabgeordneter.
    Fabian Mehring machte als Zeuge eine Aussage im Vorermittlungsverfahren gegen die Sekte OCG. Der Politiker der Freien Wähler ist Landtagsabgeordneter. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Fabian Mehring, Landtagsabgeordneter der Freien Wähler (FW), sagte ebenfalls als Zeuge aus. Sein Heimatort Meitingen ist wenige Kilometer von Mertingen (Kreis Donau-Ries) entfernt, wo sich Mitglieder einer nach eigenen Angaben „freikirchlichen“ Gemeinde zur OCG zählen.

    Wie die Generalstaatsanwaltschaft München die Einstellung des Vorermittlungsverfahrens erklärt

    Die Vorermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft stützten sich offenkundig insbesondere auf einen Beitrag des BR-Magazins "Kontrovers" und auf eine parlamentarische Initiative Mehrings. Seine Fraktion und er hatten einen Dringlichkeitsantrag mit dem Titel "Null Toleranz gegenüber Extremisten - Aktivitäten der Sasek-Bewegung in Bayern unter die Lupe nehmen" eingebracht, der im Februar 2020 im Innenausschuss des Landtags einstimmig angenommen worden war. In dem TV-Beitrag äußerte sich auch Mehring, der Kontakt zu einer Aussteigerin hat, und auch dessen Daten die Sekte gesammelt hatte.

    Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung gegen Antisemitismus, sagte unserer Redaktion Ende März 2020: "Gegenüber der OCG und ihrem Internetmedium ist große Vorsicht geboten und angesichts extremistischer Äußerungen eine Prüfung durch den Verfassungsschutz beziehungsweise Staatsschutz sinnvoll." Kla.tv füge sich in die Reihe extremistischer Anbieter im Internet und den sozialen Medien ein.

    Dass das Vorermittlungsverfahren vor diesem Hintergrund eingestellt wurde, erscheint schwer nachvollziehbar. Auf Anfrage unserer Redaktion erklärte sich die Generalstaatsanwaltschaft dazu ausführlich. So enthalte etwa der Straftatbestand der Volksverhetzung in seinen unterschiedlichen Varianten zahlreiche Voraussetzungen. "Kurz zusammengefasst bedarf es entweder eines Aufstachelns zum Hass beziehungsweise einer Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen oder eines Verächtlichmachens/Beschimpfens, welche wiederum im besonderen Maße schwerwiegend sein müssen." Dies habe man nach Abschluss der umfangreichen Vorermittlungen nicht feststellen können. Auch eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten beziehungsweise die Androhung der Begehung eines Verbrechens sei nicht festzustellen gewesen.

    Der Freie-Wähler-Abgeordnete Fabian Mehring warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft durch die OCG

    Neben Sekten- oder Antisemitismusbeauftragten treiben die Aktivitäten der OCG dessen ungeachtet den FW-Politiker Fabian Mehring nach wie vor um. „Wenn wir politische Geschäftemacher, deren Geschäftsmodell auf Fake News gründet, ungehindert ihr Gift versprühen lassen, statt ihnen das Handwerk zu legen, wird die Gesellschaft gespalten“, sagte er auf Anfrage. „Ich bin froh, dass unsere Sicherheitsbehörden Sasek und seine OCG nun auf dem Schirm haben und in Zukunft sehr genau hinschauen werden.“

    Mehring ist für ein entschiedenes Vorgehen. „Wenn Schweizer Sekten Freund-Feind-Listen über deutsche Politiker und Journalisten erstellen lassen, ist unsere wehrhafte Demokratie gefordert. Corona hat gezeigt, dass sich die Mitte unserer Gesellschaft nicht von Verschwörungstheoretikern auf der Nase herumtanzen lassen darf“, sagte er.

    Die Beurteilung einer etwaig bestehenden Gefahrenlage und die Prüfung von „Präventivmaßnahmen“ obliege, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft München weiter, allein den Sicherheitsbehörden. Dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz sei die OCG "bekannt", teilte es hierzu auf Anfrage mit - und zwar "als eine internationale und vor allem im deutschsprachigen Raum agierende Organisation und als sektenartige Vereinigung". Ebenso kenne man "die verschiedenen Publikations- und Agitationsformen sowie die von der OCG benutzten Kanäle". Bei ihr handele es sich "um ein vielschichtiges, pyramidenartiges, diverse Kommunikationskanäle umfassendes Unternehmen".

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