Über den Staranwalt Rolf Bossi gibt es viele Geschichten. Eine der besten ist die: Im Jahr 2003 wollte er einen Freibrief fürs Schnellfahren erstreiten.
Er fahre mehr als 100 000 Kilometer im Jahr, Fahrfehler seien da nicht auszuschließen. Und überhaupt: Als "Fossil der Strafrechtspflege" besitze er "Einmaligkeitscharakter". Bossi wurde scharf eingebremst. Die Richterin sagte damals, er habe sich ebenso an die Verkehrsregeln zu halten wie jede Hausfrau.
Heute wird das Anwalts-Fossil 85 Jahre alt. Die Bilanz seines beruflichen Schaffens ist zwiespältig. Ein halbes Jahrhundert lang hat Bossi in den Gerichtssälen der Republik Furore gemacht, hat viele Prominente verteidigt (siehe Infokasten). So wurde der Anwalt selbst zum Star. Bossi vertrat aber auch eine ganze Reihe von Schwerkriminellen: darunter den Kindermörder Jürgen Bartsch, den Oetker-Entführer Dieter Zlof und den Gladbeck-Entführer Dieter Degowski. Über Jahrzehnte galt: Wo ein spektakulärer Prozess stattfand, war Bossi nicht weit. Der Münchner Jurist brachte die Psychologie in die deutschen Gerichtssäle: Er schaffte das Bewusstsein, dass manche Menschen krank sind und die Strafgerichte das in ihren Urteilen berücksichtigen müssen. Bossi beeindruckte mit leidenschaftlichen Plädoyers und genauester Rechtskenntnis.
In den vergangenen Jahren befremdete er allerdings mit merkwürdigen Auftritten. Aus dem Staranwalt wurde immer öfter ein Starangeklagter - auch in der Region. Das Amtsgericht Augsburg verurteilte ihn 2006 wegen übler Nachrede zu 12 000 Euro Geldstrafe: Bossi hatte drei Berufsrichtern des Landgerichts Augsburg "üble Justizkumpanei" vorgeworfen, weil sie einen Befangenheitsantrag gegen den Landgerichtsarzt abgelehnt hatten.
In Ingolstadt fiel er völlig aus der Rolle: Er beleidigte das Opfer einer Vergewaltigung als eine "schäbige, eine kriminelle Drecksperson von nicht zu übertreffender Charakterlosigkeit". Eine Verteidigungsstrategie, die ohne Erfolg blieb. Die Nebenklägerin erstattete Anzeige, Bossi wurde zu einer Geldstrafe von 24 000 Euro verurteilt.
Solche Ausfälle sind wohl nur damit zu erklären, dass sich Bossi immer bedingungslos und leidenschaftlich für einen Fall einsetzt. Doch diese Stärke ist auch seine Schwäche: Immer wieder scheint er sämtliche Hemmungen zu verlieren. Die Augsburger Staatsanwältin Angela Reuber forderte daher schon vor knapp zwei Jahren, dass Bossi die Anwaltszulassung entzogen werden solle. "Wie kommt er dazu, Gottvater gleich über allem zu schweben?", fragte sie.
Nun gibt es dezente Hinweise, dass sich bei Rolf Bossi eine gewisse Altersmilde einstellt. In seiner Autobiografie "Hier stehe ich" stellt er sich selbstkritisch dar, was langjährige Beobachter durchaus als überraschend einstufen. Bossi räumt Fehler im Privatleben ein im Umgang mit seiner Tochter Marion, die lange Jahre drogenabhängig war und 2006 an Krebs starb. Und der 85-Jährige beschreibt, wie er im Alter den Glauben entdeckt hat: "Es muss eine übergeordnete geistige Macht geben, die wir nur als Gott verstehen können", sagt er. Ein Mann sucht den Frieden.
Ruhe gibt er nicht. Bossi eilt von Termin zu Termin. In den letzten Jahren verkaufte er sich immer mehr als Anwalt der kleinen Leute. Er, der sein Leben gänzlich dem Anwaltsberuf gewidmet hat, will "im Sattel sterben", sagt er. Den Geburtstag verbringt der laute Rolf Bossi ganz leise, nur mit seiner zweiten Frau Ingrid in seinem Blockhaus im Bayerischen Wald. Bossi sagt dazu: "Und weil wir jetzt auch etwas im Stillen die Vollendung unseres Lebens feiern, machen wir das unter uns allein."