Seit fast vier Jahrzehnten beschäftigt der Fall der bei einer Entführung umgekommenen Schülerin Ursula Herrmann die Polizei und die Justiz. Obwohl inzwischen ein rechtskräftig verurteilter Mann eine lebenslange Haftstrafe absitzt, zweifeln viele immer noch daran, dass dies der wahre und alleinige Täter ist.
Auch der Bruder des Opfers hat diese Zweifel. Er hat deswegen den verurteilten Kidnapper auf Schmerzensgeld verklagt. Das Oberlandesgericht München (OLG) wies am Dienstag diese Klage ab - die Bedenken der Kritiker werden dadurch nicht weniger werden.
Der Verurteilte bestreitet bis heute, etwas mit der Tat zu tun zu haben
Die Entführung der zehnjährigen Ursula im Jahr 1981 am Ammersee gehört zu den aufsehenerregendsten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Das entführte Mädchen wurde damals in einer vergrabenen Kiste eingesperrt, es erstickte. Erst nach 27 Jahren wurde ein Beschuldigter festgenommen und dann wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge verurteilt. Der Mann bestreitet bis heute, etwas mit der Gewalttat zu tun zu haben.
In dem neuen Verfahren ging es nun darum, dass Ursulas Bruder Michael Herrmann Schmerzensgeld von dem im Gefängnis sitzenden Mann verlangt hatte. Der in Augsburg sitzende OLG-Senat entschied, dass Herrmann keinen Schadenersatz erhält - obwohl im Grunde unstrittig ist, dass der 56-Jährige als Spätfolge des Verbrechens an Tinnitus leidet. Das OLG hob damit ein gegensätzliches Urteil einer Zivilkammer des Landgerichts Augsburg auf (Az. des OLG: 24 U 3186/18).
Michael Herrmann hat 2018 7000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen bekommen
Herrmann hatte nach einem Gutachten die Gesundheitsschädigung in Zusammenhang mit der Festnahme des Beschuldigten im Jahr 2008 und dem anschließenden Strafprozess erlitten. In erster Instanz hatte der Bruder deswegen 7000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen bekommen.
Die Richter des OLG wiesen hingegen darauf hin, dass der zeitliche Abstand zwischen dem Verbrechen und den Beschwerden Herrmanns zu groß sei. Nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs müsse es eine Nähe zu der Tat geben, um Schmerzensgeld zu erhalten. So habe "eine etwa 27 Jahre nach der Tat eingetretene psychische Erkrankung jedenfalls nicht den für die Zuerkennung eines Schadensersatzanspruchs erforderlichen Charakter eines schockartigen Eingriffs in die Gesundheit", heißt es im Urteil.
Es ging nicht ums Geld: Das wollte Ursula Herrmanns Bruder erreichen
Es ging Herrmann allerdings in dem Prozess gar nicht so sehr darum, wirklich Geld einzuklagen. Er wollte durch den Zivilprozess Bedenken an dem Strafurteil ausräumen. Der Bruder hat - wie viele andere Beobachter auch - Zweifel daran, dass der Richtige für das Verbrechen an seiner Schwester verurteilt wurde.
Insbesondere um das Hauptindiz in dem Strafprozess, ein Tonbandgerät, ranken sich Legenden. Solch ein Gerät war bei den damaligen Erpresseranrufen abgespielt worden. Bei dem verurteilten Kidnapper wurde ein entsprechendes Gerät entdeckt, doch selbst die Gutachterin des Bayerischen Landeskriminalamtes war sich nicht hundertprozentig sicher, dass es sich um das Tatwerkzeug aus dem Jahr 1981 handelte.
Zudem gab es bei den Kripo-Ermittlungen einst Konflikte innerhalb der Polizei und andere fragwürdige Vorgänge. Der erste Chef der Sonderkommission wurde abgelöst. Außerdem gab es Wirbel um ein später widerrufenes Geständnis eines Helfers, der angeblich das Loch für die Holzkiste gegraben haben soll.
"Vieles spricht dafür, dass ein Unschuldiger seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt", schrieb Bruder Michael Herrmann deswegen 2018 in einem offenen Brief an die bayerische Justiz. "Das Schicksal meiner Schwester begleitet mich nun seit 37 Jahren und noch immer ist unklar, wer wirklich verantwortlich ist für ihren Tod."
Doch weder die Zivilkammer des Augsburger Landgerichts vor zwei Jahren noch nunmehr das OLG ließen Zweifel an der Korrektheit des Strafurteils erkennen.
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