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Justiz: Dass Häftlinge ausbrechen, ist in Bayern eine Ausnahme

Justiz

Dass Häftlinge ausbrechen, ist in Bayern eine Ausnahme

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    Ausbrüche aus bayerischen Justizvollzugsanstalten – hier die JVA in Niederschönenfeld im Landkreis Donau/Ries – sind relativ selten.
    Ausbrüche aus bayerischen Justizvollzugsanstalten – hier die JVA in Niederschönenfeld im Landkreis Donau/Ries – sind relativ selten. Foto: Ulrich Wagner

    Die ganze Republik schüttelt derzeit den Kopf über die Ausbrüche, die zum Jahreswechsel aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee in Berlin stattfanden. Insgesamt neun Häftlinge flohen, vier davon hämmerten und sägten sich den Weg ins Freie. Fünf der neun Häftlinge befanden sich allerdings im sogenannten offenen Vollzug und waren streng genommen nicht eingesperrt. Inzwischen sind sieben der Geflohenen gefasst oder haben sich gestellt, nach zwei Männern wird noch gefahndet. In Berlin gibt es nun Rücktrittsforderungen gegen den verantwortlichen Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne).

    Das Justizministerium in München verweist auf Nachfrage unserer Redaktion auf niedrige Fluchtquoten aus bayerischen Gefängnissen. Die Verwahrung von Häftlingen steht in Deutschland ausschließlich in der Verantwortung der Länder und nicht des Bundes. Spektakuläre Ausbrüche hat es im Freistaat in den vergangenen Jahren allerdings auch gegeben.

    Nur fünf Freigänger kamen nicht zurück

    Ausbrüche aus bayerischen Gefängnissen in den vergangenen Jahren

    Der bislang letzte Ausbruch in Bayern gelang zwei Häftlingen 2011 im oberfränkischen Kronach. Diese saßen dort wegen Diebstahls ein. Die Flucht war festgestellt worden, als mittags zwei Plätze am Essenstisch leer blieben. Zudem hatten die Männer ihre Betten in den Zellen so drapiert, dass man meinen konnte, sie würden darin noch schlafen. Sie gelangten aus ihrer Zelle aufs Dach, seilten sich ab, stahlen Fahrräder, radelten in Richtung Coburg davon und wurden wenige Stunden später bereits von einem Spezialkommando der Polizei festgenommen. Wie ihnen die Flucht genau gelang, sagt der Anstaltsdirektor nicht – um anderen Häftlingen keine Anleitung zu geben.

    In Traunstein wiederum hatte 2010 ein verurteilter Einbrecher aus dem Kosovo das Eisengitter seiner Zelle im dritten Stock durchgesägt und sich abgeseilt. Danach musste er bei seiner weiteren erfolgreichen Flucht an einer Stelle sogar fünf Meter in die Tiefe springen. Der Mann wurde nie gefasst.

    Spektakulär war im Jahr 2010 auch die Flucht zweier Männer (Delikte: der eine Vergewaltigung, der andere Einbruch) aus der JVA Nürnberg: Die Männer machten sich an einer Holzdecke in der Toilette zu schaffen, gelangten aufs Dach und seilten sich mit zusammengeknoteten Bettlaken in die Freiheit ab. Einer wurde gefasst, der andere nicht.

    Ziemlich schnell endete die Flucht zweier junger Männer im Juli 2010 aus dem Jugendgefängnis in Neuburg an der Donau: Sie schlüpften offenbar während der Arbeit in einer Pause durch ein Loch in der Wand der JVA-Schweißerei nach draußen. Ein Mithäftling, der das beobachtet hatte, meldete den Vorfall. Nach einer Stunde schon war es deshalb für die beiden Männer mit der Freiheit schon wieder vorbei. Sie wurden im Stadtgebiet verhaftet.

    Schaut man sich manche Zahlen an, dann stehen die bayerischen JVAs besser da als die Berliner. Ein Beispiel: Allein aus Plötzensee (das ist eins von insgesamt sechs Hauptstadt-Gefängnissen) sind in den vergangenen Jahren im Schnitt pro Jahr zehn bis 43 Häftlinge aus dem offenen Vollzug entwichen. Das bayerische Justizministerium vermeldete dagegen, dass es 2016 in ganz Bayern 1188 Freigänge gegeben habe, es aber nur in fünf Fällen dazu kam, dass die Häftlinge nicht wie vereinbart oder zumindest nicht sofort wiederkamen.

    Freigänge und offener Vollzug bedeuten, dass dem Häftling zugetraut wird, dass er nicht flüchtet. Er schläft nachts in einer JVA, die dann in der Regel geschlossen ist. Tagsüber hält er sich in wenig gesicherten Bereichen der JVA auf. Oder aber, sofern ihm das entsprechende Vertrauen geschenkt wird: Er verlässt die JVA und geht „draußen“ beispielsweise zur Arbeit. Eine Praxis, die in vielen Fällen funktioniert. „Fünf Fälle im Jahr 2016 – das ist ein sehr niedriger Wert“, sagt Dr. Ingo Krist, Pressesprecher im bayerischen Justizministerium. Ende März 2014 gab es rund 54.500 Häftlinge in Deutschland. Knapp 9000 von ihnen (16,4 Prozent) befanden sich im offenen Vollzug.

    Flucht ist nicht strafbar

    Flieht ein Häftling oder kehrt er nicht zurück vom Freigang, ist das übrigens rein rechtlich nicht strafbar. Der Gesetzgeber unterstellt jedem Menschen einen legitimen Drang nach Freiheit. Häftlinge müssen aber nach einer Entweichung mit disziplinarischen Maßnahmen rechnen. Heißt beispielsweise: Sie bekommen eben keinen Freigang mehr und bleiben geschlossen verwahrt. Echte, quasi filmreife Ausbrüche passieren insgesamt sehr selten.

    In Plötzensee sind übrigens keine Schwerstkriminellen untergebracht, sondern „nur“ Häftlinge, die etwa wegen Diebstahls, räuberischer Erpressung oder Körperverletzung verurteilt sind. Mörder, Vergewaltiger und Serientäter sitzen in Berlin Tegel ein. Dort gab es den letzten Ausbruch vor 20 Jahren. 1998 schmuggelte sich ein Häftling mit einem Lieferwagen aus dem Gefängnis. In Bayern gab es die letzten „echten“ Ausbrüche in den Jahren 2010 und 2011 – seitdem gelang das aber keinem Häftling mehr.

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