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Interview: Judith Gerlach: Nicht alle Gesundheitsämter haben digitale Plattform genutzt

Interview

Judith Gerlach: Nicht alle Gesundheitsämter haben digitale Plattform genutzt

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    Die Digitalisierung der Gesundheitsämter in Bayern hat gehakt, sagt Digitalministerin Judith Gerlach.
    Die Digitalisierung der Gesundheitsämter in Bayern hat gehakt, sagt Digitalministerin Judith Gerlach. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Judith Gerlach (CSU) ist seit 2018 bayerische Digitalministerin. Für viele kam ihre Nominierung überraschend. Auch für sie selbst. Zwei Jahre nach der Überraschung sagt die 35-Jährige im Interview: „Wichtig ist nur, dass man als Politiker Engagement, Leidenschaft und Neugier fürs Thema mitbringt. Das war bei mir von Anfang an der Fall.“

    Kritiker wie Martin Hagen, Fraktionsvorsitzender der FDP im Bayerischen Landtag, bescheinigen ihr trotzdem eine „klägliche Bilanz“. Wo steht Bayern bezüglich Digitalisierung nach zwei Jahren mit Digitalministerin Gerlach? Wie möchte die CSU-Politikerin das Fax aus bayerischen Gesundheitsämtern verbannen? Wieso leiden so viele Menschen im Freistaat noch unter lahmem Internet, während die Digitalministerin über Quantencomputing, Hackathons und Blockchain spricht? All das verrät sie im Interview.

    Frau Gerlach, als Markus Söder Sie vor zwei Jahren als Digitalministerin nominiert hat, haben Sie sich überrascht gezeigt. „Digitalisierung? Das ist sicher nicht mein Spezialgebiet“, haben Sie gesagt. Wie sieht’s heute aus?

    Judith Gerlach: Ach ja, dieser wunderbare Satz… Seltsamerweise werden immer nur die jungen Frauen nach ihrer Eignung gefragt. Ältere Herren müssen ihre Kompetenz nie erklären. Dabei ist doch nur eines wichtig: dass man als Politiker Engagement, Leidenschaft und Neugier fürs Thema mitbringt. Das war bei mir von Anfang an der Fall. Außerdem profitiere ich von einem Ministerium, in dem es Spezialisten gibt. Zusätzlich arbeite ich mit vielen Menschen aus der Wirtschaft und der Wissenschaft zusammen, mit Startups. Wir hier im Ministerium verlassen ausgetretene Pfade, bewerten Strukturen neu. Daraus entsteht mein Antrieb.

    Wie weit hat uns Ihr Antrieb bisher gebracht? Sie haben als Ziel ausgerufen, Bayern zum Spitzenstandort in Sachen Digitalisierung zu machen? Wo stehen wir?

    Gerlach: Im bundesweiten Vergleich stehen wir gut da. Besonders stark sind wir in Bayern bei der Förderung von klugen Köpfen, vor allem in den Hochschulen. Da investieren wir. Wir bieten jetzt neue Studiengänge an, wir schreiben Professuren aus, um die junge Generation auf morgen vorzubereiten. Die Heranwachsenden müssen bereit sein für den neuen Arbeitsmarkt. Sie sollten wissen, wie sie Startups gründen, fit sein für Zukunftstechnologien wie das Quantencomputing. Mit unserer Hightech-Agenda zeigen wir, dass wir nicht nur schöne Landschaften, sondern auch eine tolle Hochschullandschaft zu bieten haben. Gerade in dieser Zeit ist es richtig, antizyklisch in jene Bereiche zu investieren. Bayern wird davon in Zukunft stark profitieren. Wir sind da auf einem richtig guten Weg.

    Bayern soll Spitzenreiter in Sachen Digitalisierung werden.
    Bayern soll Spitzenreiter in Sachen Digitalisierung werden. Foto: Felix Kästle/dpa

    Abseits der Hightech-Agenda: Was sind Ihre Schwerpunkte?

    Gerlach: Dieses Jahr stand unter dem Motto „Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Digitalisierung“. Ein ganz aktuelles Thema ist unser Ideenwettbewerb „Kommunal? Digital!“. Bis Mitte Februar werden die smartesten Vorschläge für digitale Lösungen in Kommunen gesucht. Für die zehn besten Ideen locken jeweils bis zu 500.000 Euro Projektförderung. Es gibt vor Ort viele Ansätze, wie wir etwa Digitalisierung und Klimaschutz zusammen denken können. Zum Beispiel im Energiesektor, in dem viel mit Blockchain entstehen kann. Einen weiteren Schwerpunkt setzen wir auf die Förderung von Vereinen mit unserer Aktion „Digital Verein(t) in Bayern“. Die Digitalisierung bietet große Chancen, wirft aber auch Fragen auf. Wie mache ich eine Homepage? Wie stelle ich den Datenschutz sicher? Mit unserer Aktion bieten wir Workshops an und schaffen Anlaufstellen für Ehrenamtliche. Das Digitalministerium hat die Initiative mit 856.000 Euro ausgestattet und konnte den FC Bayern- und National-Torwart Manuel Neuer als Paten gewinnen.

    Was steht nächstes Jahr an?

    Gerlach: Nächstes Jahr wird Teilhabe unser großes Thema. Technologie darf nicht Hürden schaffen, sondern soll sie abbauen. Digitale Tools können etwa Menschen mit Behinderung super unterstützen. Wir veranstalten Schulungen und bald auch einen Hackathon, bei dem Experten gemeinsam an schlauen Lösungen arbeiten.

    Judith Gerlach und ihr Ministerium möchten auch das Thema Blockchain vorantreiben.
    Judith Gerlach und ihr Ministerium möchten auch das Thema Blockchain vorantreiben. Foto: dpa

    Sie sprechen über Quantencomputing, Blockchain und Hackathon. Viele Bayern fragen sich: Wann kommt endlich schnelles Internet in mein Dorf?

    Gerlach: Der langsame Ausbau der Netze hängt definitiv nicht an mangelnder Förderung durch den Freistaat. Das Finanzministerium stellt Milliarden zur Verfügung. Im Wirtschaftsministerium ist ein Mobilfunkmast-Programm gestartet. Das Problem ist, dass trotz des Geldes zu wenig gebaut wird. Es hat sich in den vergangenen Jahren schon was bewegt, aber wir brauchen nicht drum herum reden: Es ist noch bei Weitem nicht jede Kommune perfekt angeschlossen. Wir dürfen nicht nachlassen, die digitale Infrastruktur endlich auszubauen.

    Die Kommunen sind schuld?

    Gerlach: Die Kommunen brauchen Tiefbaufirmen, die ihnen die Leitungen unter die Erde legen. Oder Telekommunikationsanbieter, die die Netze betreiben. Viele Kommunen gehen das Thema an. Ein schnelles Netz steigert ja auch deren Standortattraktivität. Eine Herausforderung besteht zusätzlich darin, die Bevölkerung für einen Mobilfunkmast zu gewinnen. Bei uns zu Hause steht einer wunderbar sichtbar auf dem Hügel. Ich kann gut mit ihm leben, weil ich einen tollen Empfang habe. Wer Infrastruktur haben will, muss akzeptieren, dass irgendwo ein Mast aufgestellt wird.

    Neben weißen Flecken beim Mobilfunk gibt es auch beim Ausbau von schnellen Internet-Verbindungen in Deutschland noch Nachholbedarf.
    Neben weißen Flecken beim Mobilfunk gibt es auch beim Ausbau von schnellen Internet-Verbindungen in Deutschland noch Nachholbedarf. Foto: Jens Büttner, dpa

    Eigentlich fällt der Ausbau der Infrastruktur gar nicht in Ihr Zuständigkeitsgebiet als Digitalministerin. Wie frustrierend ist es für Sie, dass Sie bei diesen entscheidenden Themen abhängig sind von anderen Fachministern?

    Gerlach: Sie haben Recht: Ohne Infrastruktur geht’s nicht. Ehrlicherweise ist das Thema aber gar nicht so spannend, sondern recht simpel: Wir brauchen ein Förderprogramm, wir brauchen ein Unternehmen, das den Auftrag ausführt. Ende der Geschichte. Spannender finde ich es darüber zu diskutieren, wie wir Blockchain in der Verwaltung einsetzen können, wie wir im Bereich Quantencomputing zu einem ernstzunehmenden Player werden, wie wir mit Künstlicher Intelligenz auch in kleinen und mittleren Unternehmen Betriebsabläufe unterstützen und verbessern können.

    Das klingt nach Zukunft. Kehren wir zurück in die Gegenwart, zur Coronakrise. In Bayern musste Testpersonal Patientendaten nach dem PCR-Test mit Bleistift auf Papier notieren, viele Labore und Gesundheitsämter kommunizieren heute noch via Fax. Woran liegt das?

    Gerlach: Bei der Teststrategie im Sommer war es so, dass das Gesundheitsministerium ein digitales Programm bestellt hatte, das aber beim Ausrollen des Systems noch nicht da war – was kein Wunder ist: Auch Partner können nicht von heute auf morgen eine digitale Plattform hinstellen. Wir hätten sicherlich auch sagen können: Dann starten wir halt später mit der Testung. Das wäre aber bestimmt nicht die bessere Entscheidung gewesen.

    In anderen Ländern hat das alles deutlich schneller geklappt, so der Eindruck…

    Gerlach: In Ländern wie China oder Südkorea müssen die Bürger aber auch für den Kampf gegen die Ausbreitung des Virus viel mehr Daten preisgeben, zum Beispiel bei der Corona-Warn-App. Der Staat kann dann zwar besser die Kontakte nachvollziehen, er weiß aber halt auch, wer wen wann getroffen hat. In Deutschland haben wir uns auf einen Kompromiss aus Effektivität und Datenschutz geeinigt. Für die Akzeptanz unserer App war das wichtig. Leider ist es eben hierzulande vielen immer noch lieber, ihre Daten an Soziale Netzwerke weiterzugeben als an den Staat. Das ist übrigens auch ein Problem für die digitale Verwaltung. Wir könnten Bürgern sinnvollere Angebote machen, wenn wir mehr Daten hätten.

    Das Fax lebt noch.
    Das Fax lebt noch. Foto: Remmers/dpa

    Was ist mit der Zettelwirtschaft in den Gesundheitsämtern?

    Gerlach: Die Gesundheitsämter haben für die Übermittlung der Testergebnisse vom Bund eine Plattform zur Verfügung gestellt bekommen, die auch schon von den allermeisten, aber eben auch noch nicht von allen Gesundheitsämtern in Bayern genutzt wird. Diese elektronische Meldung von Testergebnissen löst Schritt für Schritt die Meldung per Fax ab. Der Bund hat im 3. Infektionsschutzgesetz zudem vorgesehen, dass ab dem neuen Jahr Testergebnisse von Laboren an die Gesundheitsämter nur noch digital übermittelt werden sollen.

    Kommen wir von Bayern zum Bund: Wie würden wir digital dastehen, wenn nicht Verkehrsminister Andreas Scheuer, sondern eine Digitalministerin Dorothee Bär etwa für den Ausbau von Infrastruktur zuständig wäre?

    Gerlach: Wie gesagt: Ich glaube gar nicht, dass es an diesen Stellen hakt, sondern an der Umsetzung vor Ort. Sowohl der Bund als auch der Freistaat fördern die digitale Infrastruktur mit großen Summen. Es geht um die Umsetzung vor Ort, weniger um die politischen Entscheidungsträger.

    Ihre Parteikollegin Bär, Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt, hat vor ein paar Tagen bei Markus Lanz zwar nicht verraten wollen, wieviel Budget sie zur Verfügung hat. Sie hat aber gesagt: zu wenig. Wünschen Sie sich auch mehr Geld für Ihre Projekte?

    Dorothee Bär (CSU), Staatsministerin für Digitalisierung, hätte gerne mehr Budget für ihre Projekte.
    Dorothee Bär (CSU), Staatsministerin für Digitalisierung, hätte gerne mehr Budget für ihre Projekte. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dpa

    Gerlach: Wer tut das nicht? Aber im Ernst: Wir messen die Bedeutung eines Ministeriums viel zu häufig an der Höhe der Budgets. Ich halte das für nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen horizontaler denken und arbeiten, projekt- und fachübergreifender.

    Ist es also die höchste Aufgabe Ihres Ministeriums, sich irgendwann überflüssig zu machen, weil alle Fachbereiche digital denken und arbeiten?

    Gerlach: Digitalisierung ist einem ständigen Wandel unterworfen. Ich gehe davon aus, dass unsere Schwerpunkte immer andere sein werden, dass die Technologie, auf die wir einen Schwerpunkt legen müssen, häufiger wechseln wird. Nehmen wir Künstliche Intelligenz. Dieser Bereich wird sich in der Zukunft noch so radikal verändern und unsere Gesellschaft massiv herausfordern. Deshalb wird unser Ministerium auch nie überflüssig werden.

    Wie radikal verändern sich denn Ihre Ministerkollegen? Sind da schon alle bereit für die digitale Zukunft?

    Gerlach: Sagen wir es so: Wir arbeiten mit allen Ministerien eng zusammen und unterstützen im Hintergrund. Das hat natürlich zur Folge, dass nach außen hin nicht auf den ersten Blick immer sichtbar ist, was wir tun.

    Will oder kann ein Martin Hagen nicht verstehen, was Sie da machen? Der FDP-Kollege hat Ihnen kürzlich via Bildzeitung eine „klägliche Bilanz“ bescheinigt.

    FDP-Abgeordneter Martin Hagen bescheinigt Judith Gerlach eine „klägliche Bilanz“.
    FDP-Abgeordneter Martin Hagen bescheinigt Judith Gerlach eine „klägliche Bilanz“. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Gerlach: Martin Hagen bezog sich da auf eine Anfrage, in der es darum ging, wie viele Gesetzesvorlagen wir überarbeitet haben. Bei der Digitalisierung kommt es ja aber nicht auf die Zahl der Gesetze an. Nach einer Gesamtbilanz hatte er gar nicht gefragt. Ich sage mal so: Jeder, der mir auf Social Media folgt, würde nie fragen, was wir eigentlich erreicht haben…

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