Das Krisengebiet „Sandland“ liegt im Westallgäu. Am Rand eines Weilers treffen zwei bewaffnete Konfliktparteien aufeinander. Zwei Dutzend Soldaten stehen sich – die Schnellfeuergewehre im Anschlag – auf einer Brücke gegenüber; mittendrin als Schlichter acht Blauhelme, angehende Militärbeobachter der Vereinten Nationen. Das Rollenspiel ist Teil einer sechstägigen Übung im Dreiländereck am Bodensee, bei der 91 Offiziere aus 33 Nationen auf Einsätze in Krisenregionen vorbereitet werden. Aus 100 Metern Entfernung beobachtet Bundespräsident Joachim Gauck das Geschehen. Ihm ist es „wichtig, die Ausbildung für die UN-Bobachter selbst kennenzulernen“.
Die weißen Geländewagen mit dem Aufdruck UN und Blauhelme gehören im Westallgäu im Sommer seit sechs Jahren zum Straßenbild. Wegen der nahen Lage zu Vorarlberg und der Ostschweiz hält das Ausbildungszentrum der Vereinten Nationen im unterfränkischen Hammelburg regelmäßig seine Abschlussübungen hier ab. In den beiden Nachbarländern trainieren zeitgleich Offiziere. Internationalität gehört zum Konzept, auch in Krisengebieten arbeiten Beobachter aus mehreren Ländern zusammen.
Soldaten lernen den Ernstfall durch Rollenspiele
Gauck ist der Einsatz von Soldaten im Auftrag der Vereinten Nationen „wichtig“. Deutschland stelle sich damit seiner Verantwortung in der Welt, sagt der Bundespräsident. Blauhelme sind für ihn ein „erster Schritt“, um in einer Krisenregion Frieden zu entwickeln. Zwei Stunden lang informiert er sich über die Arbeit der UN-Beobachter. 360 davon stellt die Bundeswehr. Stationiert sind sie derzeit im Sudan und der Westsahara.
Vor allem durch Reden sollen sie Konflikte lösen. Denn in der Regel sind UN-Beobachter unbewaffnet. „Beobachten, melden und vermitteln“, beschreibt Oberst Michael Uhrig, Kommandeur des Ausbildungszentrums, ihre Aufgaben.
Wie das geht, lernen die Offiziere nicht zuletzt bei der Übung. Die Rollenspiele sind „so realistisch wie möglich“ (Uhrig). Frauen, die beim Auftauchen einer UN-Patrouille am Grab ihres getöteten Mannes um Hilfe flehen, gehören dazu oder sogenannte Warlords, die unter der Bevölkerung Soldaten requirieren lassen. Immer wieder auch treffen Soldaten der beiden verfeindeten Armeen aufeinander.
Die Welt soll durch die Blauhelme friedlicher werden
Wie in einem Weiler bei Maierhöfen. An der Brücke – direkt an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg gelegen – schaukelt sich die Lage hoch. Erst überschreitet eine Patrouille die Waffenstillstandslinie, dann erscheinen Soldaten der verfeindeten Armee, schließlich fahren Panzer auf, am Ende kommen die Warlords persönlich. Die Blauhelme stehen die ganze Zeit zwischen den beiden verfeindeten Parteien. Ihre Aufgabe: „Durch gezielte Ansprache verhindern, dass Schüsse fallen“ (Uhrig). Das kann im Ernstfall gefährlich sein. Deshalb lernen die Beobachter auch, an Selbstschutz zu denken. „In so einer Situation würde keiner den Beobachtern einen Vorwurf machen, wenn sie die Szene verlassen“, sagt Uhrig.
Im Rollenspiel bleiben die Beobachter vor Ort. Die beiden Warlords ziehen zeitgleich ab. „Sehr realistisch“ ist das Geschehen für Jens Stieg. Der Stabsoffizier, der die Rolle eines Warlords übernommen hat, war bei Friedensmissionen in Bosnien, Afghanistan und dem Südsudan dabei. Seine Motivation beschreibt er so: „Wenn wir es schaffen, die Welt ein bisschen friedlicher zu machen, haben wir viel erreicht.“