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Corona-Pandemie: Inzidenzwert 14.000: Wie ein Dorf zum Super-Corona-Hotspot wurde

Corona-Pandemie

Inzidenzwert 14.000: Wie ein Dorf zum Super-Corona-Hotspot wurde

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    Kein Ort in Unterfranken ist – gemessen an seiner Einwohnerzahl – derart von der Wucht des Coronavirus getroffen worden wie Dornheim im Landkreis Kitzingen. Das Infektionsgeschehen verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
    Kein Ort in Unterfranken ist – gemessen an seiner Einwohnerzahl – derart von der Wucht des Coronavirus getroffen worden wie Dornheim im Landkreis Kitzingen. Das Infektionsgeschehen verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Foto: Eike Lenz

    Es ist Freitagmittag und die Ruhe nach dem Sturm, der zuvor durch das kleine Dornheim gefegt ist; der die Idylle mitgenommen hat und ein paar Hoffnungen mit dazu. Die Annahme etwa, dass Corona-Hotspots sich auf Großstädte konzentrieren, wo viele Menschen auf engem Raum leben, und dass das platte Land vor großen Ausbrüchen verschont bliebe. Jetzt ist es anders gekommen.

    Kein Ort wurde von der Wucht des Coronavirus so überrollt

    Kein Ort im Landkreis Kitzingen, keiner in Unterfranken ist – gemessen an seiner Einwohnerzahl – derart von der Wucht des Coronavirus getroffen worden wie Dornheim. Hilflos wie ratlos stehen Einwohner und Behörden einem Geschehen gegenüber, das sich wie ein Lauffeuer durch Häuser, Gassen, ja ganze Straßenzüge gefressen hat. Es ist die Bestätigung für einen Verdacht: Der Nährboden des Virus liegt im privaten Raum.

    Vor allem eine Zahl ist es, die das ganze Ausmaß des Desasters deutlich macht: 14.000. So hoch wäre der Sieben-Tage-Inzidenzwert in Dornheim, hochgerechnet auf 100.000 Einwohner. Die Zahl lässt sich relativ leicht errechnen: Man muss die 45 positiv getesteten Personen ins Verhältnis der 320 Einwohner setzen. Schon landet man bei diesem unglaublichen Wert. Nur, wie konnte es so weit kommen?

    Dornheim ist einer von sieben Iphöfer Stadtteilen im Landkreis Kitzingen. Viel gibt es hier draußen nicht: Feuerwehr, Schützen, Landfrauen – und die Kerwaburschen über die es in einem Zeitungsartikel von 2015 heißt: „Eine lustige Gesellschaft, nicht nur, aber vor allem zur Kirchweih.“ Die Kirchweih also, das wohl wichtigste Fest im Jahr. Sie hätte auch heuer am Wochenende vom 16. bis 18. Oktober stattfinden sollen. Doch schon im Vorfeld hatten sich die maßgeblichen Vertreter darauf verständigt, sie wegen Corona ausfallen zu lassen. An dieser Stelle könnte die Geschichte zu Ende sein. Damit fängt sie jedoch erst an. Denn was sich dann zuträgt, wird mutmaßlich dafür verantwortlich sein, dass der Ort zum Hotspot der Region wächst.

    War die "Ersatz-Kirchwei" in Dornheim schuld an den vielen Corona-Fällen?

    Die Handlung im relevanten Zeitraum zu rekonstruieren, ist nicht ganz einfach. Weil es keinen gibt, der offen darüber sprechen will. Das Bild, das sich bei den Recherchen ergeben hat, basiert auf Erzählungen von Menschen aus dem Ort, die bereit waren, ihr Wissen mitzuteilen – unter der Bedingung, dass ihr Name nicht erscheint. Sie fürchten sonst Nachteile im Dorf, in dem jeder jeden kennt. Unumstritten ist, dass die Ausbrüche auf private Feierlichkeiten zurückgehen, die – auch das gehört zur Wahrheit – zu dieser Zeit nicht verboten waren.

    Der Kerwa-Freitag fiel in ein Zeitfenster, in dem der Sieben-Tage-Inzidenzwert im Landkreis Kitzingen noch unter der als kritisch angesehenen Grenze von 35 Neuinfektionen lag. „Am Wochenende, an dem die Feier stattfand, waren private Feiern mit 100 Personen noch erlaubt“, schreibt das Kitzinger Landratsamt auf Anfrage.

    Die Tradition in Dornheim sieht vor, am Kirchweihsamstag gemeinsam den Kerwa-Baum aufzustellen. Dieser Teil des Brauchtums sollte auch in Corona-Zeiten nicht geopfert werden. Am frühen Abend richteten die Jugendlichen also am Dorfplatz den stattlichen Baum auf und verließen anschließend den Platz – offenbar, um sich privat zu treffen und eine „Ersatz-Kirchweih“ zu feiern. Zwei Partys, die offenbar aus dem Ruder liefen. Den ganzen Abend soll in der Scheune ein reges Kommen und Gehen geherrscht haben, die Zahl der Teilnehmer lässt sich deshalb nur schwer eingrenzen.

    Über den weiteren Ablauf des Abends gibt es nur vage Angaben – auch darüber, ob Rituale wie das gemeinsame Trinken aus ein und demselben Maßkrug, möglicherweise unter dem Einfluss von entsprechend viel Alkohol, auch bei dieser Gelegenheit praktiziert wurden. „Es wäre keine Kirchweih, wenn es anders wäre“, sagt eine Person aus dem Umfeld. Bewiesen ist das nicht.

    Tags darauf zogen die Burschen durch den Ort und hängten an manchen Anwesen Plakate mit den schönsten Anekdoten des vergangenen Jahres auf. Auf der Straße wurde Bier ausgeschenkt, es ging lustig zu. Und im Dorf standen – von der Stadt Iphofen genehmigt – ein Kinderkarussell und eine Süßwarenbude. Ob es auch hier zu kritischen Kontakten kam, ist unklar. Wenige Tage später traten im Ort die ersten Corona-Fälle auf.

    Der Bürgermeister sagt getroffen: Wegen Corona seien private Feiern zu unterlassen

    Obwohl kein offensichtlicher Verstoß vorlag, ließ sich das Landratsamt von „Teilnehmern“ schildern, dass „20 bis 25 Personen rein privat gefeiert“ hätten. Weiter heißt es: „Ein Hygienekonzept wurde uns vorgelegt.“ Wie viele der 320 Einwohner Dornheims in Quarantäne waren oder sind, kann das Amt nicht sagen. Für die Behörden ist der Fall damit erledigt. Doch was ist mit den Menschen im Dorf? Wie sehr wird diese Geschichte die Gemeinschaft belasten? „Im Moment hat man das Gefühl, dass das Dorf zusammenhält. Man hilft einander, etwa beim Einkaufen“, heißt es. Und: „Man sucht keine Schuldigen. Die werden eher von Leuten aus anderen Dörfern gesucht.“

    Als kürzlich im Ort ein Wohnhaus brannte, konnte die örtliche Feuerwehr nicht ausrücken. Es gab einfach zu viele infizierte Wehrleute. Von der Wucht der Ereignisse getroffen, sagt Iphofens Bürgermeister Dieter Lenzer: „Private Feiern sind zu unterlassen.“

    Dass die Dynamik nicht abgeschlossen ist, zeigen die aktuellen Zahlen des Landratsamts. Im Iphöfer Stadtteil Dornheim gibt es – Stand heute – nach Auskunft des Landratsamts noch 16 infizierte Personen. Damit läge der errechnete Inzidenzwert pro 100.000 Einwohner bei etwa 5000.

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