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Interview mit Mediziner Eckhard Nagel: Zu wenig Organspenden: Auch Kliniken sind schuld

Interview mit Mediziner Eckhard Nagel

Zu wenig Organspenden: Auch Kliniken sind schuld

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    1000 Menschen sterben jedes Jahr in deutschland, weil ihnen ein Spenderorgan fehlt.
    1000 Menschen sterben jedes Jahr in deutschland, weil ihnen ein Spenderorgan fehlt.

    Alle acht Stunden stirbt laut Statistik in Deutschland ein Mensch, weil ihm ein lebensrettendes Spenderorgan fehlt. Diese erschreckende Zahl gibt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) bekannt. Derzeit würden allein in Deutschland rund 12.000 Menschen auf ein Organ warten. Eine Transplantation bedeutet für diese Menschen weiterleben zu dürfen. Die DSO koordiniert in Deutschland die Organspende. Stirbt ein Patient den Hirntod muss das Krankenhaus dies melden. Dann kann gegebenenfalls eine 40 Prozent der in Frage kommenden Krankenhäuser im Freistaat haben 2011 keinen Kontakt zur DSO aufgenommen.

    Ethikrat: "Das ist ein Skandal"

    "Das ist nicht nur ein Problem, sondern ein Skandal", sagt Eckhard Nagel, ehemaliger Leiter des Augsburger Transplantationszentrums und jetzt Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen. Unwissenheit, Ignoranz und Scheu sind offenbar der Grund, warum manche Kliniken der DSO keine potentiellen Transplantationsfälle melden. Und jedes Jahr sterben 1000 Menschen wegen eines fehlenden Organs.

    Organ-Transplantation: Verantwortung liege bei Ärzten

    Zahlen und Fakten zur Organspende

    Im Jahr 2011 sind statistisch betrachtet in Deutschland auf eine Million Einwohner 14,7 Organspender gekommen. 2010 waren es noch 15,9.

    Der Rückgang in Bayern ist von 15,3 (Jahr 2010) auf 15,0 (2011) nicht ganz so stark. In absoluten Werten bedeutet das für den Freistaat: Die Zahl der Organspender ist von 192 auf 189 im Jahr 2011 gesunken.

    In ganz Deutschland wurde ein Rückgang von 1296 auf 1200 verzeichnet.

    Gespendete Organe 3917 im Jahr 2011 statt 4205 (2010) – auf Deutschland bezogen. In Bayern ist die Zahl der gespendeten Organe trotz weniger Spender mit 628 konstant geblieben.

    Im Freistaat wurden im vergangenen Jahr 630 Transplantationen durchgeführt. 2010 sind es noch 651 gewesen.

    Von den 213 bayerischen Krankenhäusern sind sechs Universitätskliniken, 19 Häuser mit und 188 Krankenhäuser ohne Neurochirurgie.

    Laut Eckhard Nagel ist das Thema Transplantation in den Köpfen einiger Ärzte nicht präsent. Im Alltagsbetrieb denke man oftmals nicht daran, potentielle Spenderfälle an die DSO zu melden. Oder aber, die Mediziner wissen gar nicht, wie der Ablauf funktioniert. Nagels Meinung nach bräuchte jedes Klinikum einen Transplantationsbeauftragten, der sich um die organisatorischen Voraussetzungen für eine Transplantation kümmern sollte. "Im Prinzip ist dies gesetzlich auch geregelt, inhaltlich aber schwer zu überprüfen", bemängelt der Transplantationsmediziner. Das Thema Transplantation sei sensibel und erfordere eine gute Vorbereitung. Nagel sieht hier in erster Linie die Ärzteschaft in der Pflicht. "Die Ärzte tragen nicht nur die Verantwortung für die Menschen auf der Warteliste, sondern haben auch eine Verpflichtung gegenüber den Verstorbenen und Angehörigen. Schließlich besitze mancher verstorbene Patient einen Organspenderausweis.

    Angst vor Gespräch mit Angehörigen

    Das Problem der nicht gemeldeten potentiellen Organspender ist dabei nicht neu. 2007 wurde es laut Nagel beim Deutschen Ärztetag zum Hauptthema gemacht. "Dabei wurde auf dem Deutschen Ärztetag 2007 klar formuliert, dass die Ärzteschaft eine wesentliche Verantwortung trägt, um die Grundvoraussetzungen für mögliche Transplantationen zu schaffen." Zudem sei ein Krankenhaus in der Pflicht, den Auftrag des Transplantationsgesetzes umzusetzen. Eckhard Nagel, auch Mitglied des Deutschen Ethikrats, äußert sich im Gespräch mit AZ-Online erstaunt, dass manche Krankenhäuser dies nicht realisieren, weil ihnen das Thema zu nachrangig scheint. "Das ist ein Bereich, der mich betroffen macht", sagt Nagel. "Schließlich geht es darum Menschenleben retten zu können."

    Unbesetzte Stellen und  Überlastung seien häufig Gründe, warum sich Mediziner nicht um mögliche Transplantationen kümmerten. Zeitmangel sei ein gravierendes, ernst zu nehmendes Problem. "Dieses Argument muss man ernst nehmen, es sollte aber nicht als Entschuldigung dienen", sagt Eckhard Nagel.

    Und dann komme noch der psychologische Aspekt hinzu. Manche Ärzte scheuten sich verständlicherweise, Menschen, die schockiert sind über den plötzlichen Tod eines Angehörigen, auf eine mögliche Organspende anzusprechen. "Solche Gespräche sind tatsächlich Ausnahmesituationen", sagt Eckhard Nagel. Große Hoffnung setzt der Mediziner in ein neues Transplantationsgesetz. Damit, so glaubt Eckhard Nagel, werde eines Tages das Thema Organspende und Transplantation im Klinik-Alltag ankommen.

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