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Interview: Welche Kinder am meisten unter Schulschließungen leiden

Interview

Welche Kinder am meisten unter Schulschließungen leiden

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    Präsenzunterricht ist laut der Bildungsexpertin für die meisten Schülerinnen und Schüler besser.
    Präsenzunterricht ist laut der Bildungsexpertin für die meisten Schülerinnen und Schüler besser. Foto: Philipp von Ditfurth, dpa (Symbolbild)

    Frau Zierow, Sie haben die Auswirkungen der Schulschließungen auf die Leistungen von Schülerinnen und Schülern untersucht. Welche litten am stärksten darunter?

    Larissa Zierow: Bei allen Kindern unabhängig vom sozialen Status ist die Lernzeit stark zurückgegangen. Aber wir sehen tatsächlich, dass es häufiger Kinder von Nicht-Akademikern und leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler sind, die besonders wenig Kontakt mit der Schule hatten und wenig gelernt haben. In Deutschland haben wir derzeit keine Lernstandserhebungen wie Pisa-Tests. Aber in Ländern, die solche Erhebungen machen, wird deutlich: Kinder aus benachteiligten Verhältnissen haben deutlich höhere Verluste an Kompetenzen.

    Warum ist das so?

    Zierow: Da kommt eine Mischung an Faktoren zusammen. Einmal bestand der Distanzunterricht für die meisten Schüler und Schülerinnen leider daraus, dass zu Hause Arbeitsblätter bearbeitet werden mussten. Das bedeutet, dass zum größten Teil das Lernen darin bestand, sich selbstständig die Aufgaben zu erarbeiten. Und wer dann die besser gebildeten Eltern zu Hause hatte, hatte mehr Hilfe. Der zweite Punkt ist: Ob Online-Unterricht stattfindet, kann auch damit zusammenhängen, in welchem Stadtteil die Kinder leben. Es kann also sein, dass man benachteiligt ist, weil man in einer sozial schwächeren Gegend wohnt. Ein dritter Grund sind die Nachholmaßnahmen wie Nachhilfe, Förderunterricht und Sommerkurse. 31 Prozent der Akademiker-Kinder haben solche Nachholmaßnahmen in Anspruch genommen und nur 18 Prozent der Nicht-Akademiker-Kinder. Vielleicht wird dort, wo diese Kinder leben, seltener Förderung angeboten. Es kann aber auch daran liegen, dass die Akademiker-Eltern mehr hinterher oder besser informiert sind und deswegen ihre Kinder anmelden.

    Was macht es mit dem späteren Leben der Kinder, wenn ihre Nachteile in der Schule zementiert werden?

    Zierow: Bildung ist ein dynamischer Prozess. Auf jeder Fähigkeit, die man hat, kann man die nächste aufbauen. Wenn jetzt schon Grundschüler abgehängt werden und Dinge nicht aufholen, die man braucht, um etwa die nächsten Rechenarten zu verstehen, kann das Konsequenzen für die gesamte Schullaufbahn haben. Und später auch für den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Es muss alles dafür getan werden, dass die Lücken geschlossen werden.

    Was kann man denn tun, um diese Lücken zu schließen?

    Zierow: Die Ideen, Lehramtsstudenten und pensionierte Lehrkräfte einzubinden, sind gut. Die Förderprogramme, die es gibt, die sind schon sehr sinnvoll. Aber sie erreichen sehr wenige Schüler und so wie es aussieht nicht die, die es vielleicht am nötigsten haben. Es muss noch gezielter geschaut werden: Wer bekommt jetzt Nachhilfeunterricht? Es gibt Vorschläge, dass Lehrer identifizieren, wer die meisten Probleme hat und Gutscheine für Nachhilfeunterricht vergeben. Ich habe das Gefühl, man muss die Sommerferien nutzen, um möglichst viel auf die Beine zu stellen. Damit zum neuen Schuljahr auch viel da ist.

    Falls zum neuen Schuljahr wieder normaler Unterricht stattfinden kann …

    Zierow: Ja, es ist wichtig, Konzepte zu haben, falls es nicht geht. Wir waren in unserer Studie sehr enttäuscht, dass wir zwischen dem ersten und dem zweiten langen Schullockdown gar nicht so viel Veränderung feststellen konnten. Es hatten nicht so viel mehr Kinder Online-Unterricht, obwohl fast ein Jahr dazwischen lag. Wenn man jetzt sagt, es geht nicht anders, als die Schulen zu schließen, dann muss es eigentlich Konzepte geben, wie man guten Online-Unterricht durchführt.

    Aber eigentlich wäre es besser ganz ohne Schulschließungen?

    Zierow: Wir haben gesehen, wie hoch die Kosten sind für die Kinder, wenn es den Präsenzunterricht nicht gibt und gleichzeitig nur schlechten Online-Unterricht. Da fehlt mir in der Politik die Frage: Worauf können wir als Gesellschaft eher verzichten, wenn es wieder um Schließungen geht? Es lohnt sich in Konzepte zu investieren, wie die Schulen offen bleiben können. Und als Gesellschaft muss man sich dann eben eher in anderen Bereichen einschränken. Aber die Kinder sollen zur Schule gehen. Das wären, denke ich, wichtige Ansagen.

    Zur Person: Larissa Zierow, stellv. Leiterin des ifo-Zentrums für Bildungsökonomik in München, forscht zu Ungleichheiten in der Bildung.

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