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Interview: Was hat der Münchner Amoklauf verändert, Herr Herrmann?

Interview

Was hat der Münchner Amoklauf verändert, Herr Herrmann?

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    Im Interview spricht der bayerische Innenminister Joachim Herrmann darüber, inwiefern der "schwarze Juli" Bayern verändert hat.
    Im Interview spricht der bayerische Innenminister Joachim Herrmann darüber, inwiefern der "schwarze Juli" Bayern verändert hat. Foto: Nicolas Armer, dpa (Archiv)

    Vor einem Jahr erschütterte ein „schwarzer Juli“ Bayern. Erst das islamistisch motivierte Axt-Attentat in einem Zug bei Würzburg, dann vier Tage später der Amoklauf in München. Und wieder zwei Tage darauf der Sprengstoffanschlag eines IS-Sympathisanten in Ansbach. Sie haben damals immer sehr ruhig, sehr kontrolliert gewirkt. Entsprach das auch ihrer inneren Gefühlslage?

    Herrmann: Wenn man am Telefon geschildert bekommt, wie der Täter – wie in Würzburg – mit einer Axt auf die Personen im Zug losgegangen ist, dass er auch Menschen massiv mit dieser Axt am Kopf getroffen hat – das nimmt einen natürlich auch persönlich stark mit. Ich bin aber insgesamt ein Mensch, der eher ruhig reagiert. Und natürlich habe ich gerade in solchen Momenten eine Führungsverantwortung. Leute, die Hektik machen, gibt es immer und überall genug.

    Sie haben also als Innenminister auch ein Stück weit eine Rolle gespielt, um die Bevölkerung zu beruhigen?

    Herrmann: Eine Rolle gespielt – nein, das würde ich nicht sagen. Aber man muss als Innenminister nicht noch zusätzlich für Aufregung sorgen.

    Wie bereiten Sie sich auf den ersten öffentlichen Auftritt nach solchen Ereignissen vor?

    Herrmann: Natürlich ist es extrem wichtig, als Innenminister mit dem ersten Auftritt vor den Medien die Botschaft rüber zu bringen: Ja, da ist etwas sehr Schlimmes passiert. Aber wir haben die Lage im Griff. Dafür braucht es präzise Information: um nur das zu sagen, was sicher ist. Aber umgekehrt auch nicht mit wichtigen Informationen hinterm Berg zu halten. Und auf Basis der verlässlichen Information, die ich von den Kollegen vor Ort bekommen hatte, musste ich zum Beispiel im Würzburger Fall auch in den folgenden Tagen zum Glück keinen einzigen Satz zurücknehmen.

    Die bayerische Polizei bedient mittlerweile Social Media

    Mit etwas Abstand betrachtet: Wurden aus den schrecklichen Ereignissen des Juli 2016 aus Ihrer Sicht die richtigen politischen Schlüsse gezogen?

    Herrmann: Wir hatten ja damals in der Bayerischen Staatsregierung ohnehin schon Pläne, dass wir zur Terrorabwehr mehr tun müssen. Es war zuvor schon für Ende Juli eine Kabinettsklausur angesetzt, wo unter anderem ein dafür vorbereitetes Paket zur inneren Sicherheit verabschiedet werden sollte. Wir haben das dann unter dem Eindruck dieser schrecklichen Woche noch einmal intensiviert, aber wir waren sehr gut vorbereitet.

    Beim Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) brach die wahrscheinlich größte Massenpanik in der Geschichte der Stadt aus. Ist da in der Einsatztaktik alles richtig gelaufen?

    Herrmann: Es ist dem Großeinsatz von Polizei und Rettungskräften sowie dem Engagement von Bürgern, die Verletzten sofort Hilfe leisteten, zu verdanken, dass es nicht zu weiteren Todesopfern kam und Verletzten schnell geholfen werden konnte. Die Panik mancher Leute in anderen Stadtteilen war die Folge von Falschmeldungen.

    Welche Rolle haben die sozialen Netzwerke bei der Verbreitung der Panik gespielt, und wie könnte man das beim nächsten Mal verhindern?

    Herrmann: Ja, da sind viele Irrtümer und Lügen verbreitet worden. Um Falschmeldungen zu minimieren und Verhaltenshinweise zu geben, betreibt die bayerische Polizei eigene frühzeitige, offensive Öffentlichkeitsarbeit. Dadurch wird die Kommunikation mit den Bürgern positiv beeinflusst. Polizeiliche Maßnahmen können transparent bekannt gegeben und erklärt werden. Neben den klassischen Medien, also vor allem Fernsehen, Radio und Printmedien, wird von unserer Polizei mittlerweile auch der Bereich der Social Media bedient. Da gehen wir natürlich mit der Zeit. Völlig zu Recht ist der Pressesprecher der Münchner Polizei, Marcus da Gloria Martins, für sein umsichtiges Auftreten an diesem Abend allerseits sehr gelobt worden.

    Amoklauf in München: Der Verkäufer der Pistole steht im August vor Gericht

    Welche konkreten Konsequenzen hat die bayerische Polizei aus dem Münchner Amoklauf gezogen?

    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (links) zusammen mit Bundesinnenminister Thomas de Maiziere vor einem Jahr am Ort des Amoklaufs in München.
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (links) zusammen mit Bundesinnenminister Thomas de Maiziere vor einem Jahr am Ort des Amoklaufs in München. Foto: Sven Hoppe, dpa (Archiv)

    Herrmann: Die bayerische Polizei überprüft ihre Vorbereitung auf Amoklagen oder Terroranschläge ohnehin ständig. Auch den Münchner Amoklauf im OEZ hat unsere Polizei sehr umfassend und gründlich nachbereitet. Da ging es zum Beispiel um Fragen der polizeilichen Taktik, der Erkennbarkeit insbesondere von zivilen Polizeikräften und Öffentlichkeitsarbeit über Soziale Medien. Auch die Bewertung der aktuellen Ausstattung der Polizei und die Prüfung notwendiger und sinnvoller Neubeschaffungen war ein Thema. Die bessere Schutzausrüstung etwa kommt jetzt noch schneller – bis diesen Herbst – in die Streifenwagen.

    Der Amokläufer hatte sich die Waffe im sogenannten Darknet besorgt. Der Verkäufer der Pistole steht ab Ende August vor Gericht. Was können Gesetzgeber und Sicherheitsbehörden tun, um solche illegalen Geschäfte in einem rechtsfreien Raum zu verhindern?

    Herrmann: Wir haben bereits sehr viel getan in Bayern. Mit dem Konzept „Sicherheit durch Stärke“ hat der bayerische Ministerrat im Juli 2016 beschlossen, Internet- und Computerkriminalität noch intensiver zu bekämpfen. In ganz Bayern haben wir mehr als 300 Spezialisten zum Kampf gegen Kriminelle im Netz eingesetzt. Unser Ziel ist eine stärkere Überwachung und Kontrolle des „Darknets“. Wir haben jetzt zum Beispiel noch mehr Spezialisten in unserem Kompetenzzentrum „Cybercrime“ beim Bayerischen Landeskriminalamt und bei der Zentralstelle bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg. Für uns ebenfalls sehr bedeutend ist die enge Abstimmung und Zusammenarbeit mit Cybercrime-Experten anderer Polizeibehörden, sei es bei den Bundesländern, beim Bund oder auf internationaler Ebene.

    Sie haben erst vor wenigen Tagen 1500 neue Polizisten vereidigt. Im Hinblick auf den Juli 2016 und die Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg: Hat Bayern und hat der Bund genügend Polizisten, oder müssen wir die Polizei personell deutlich aufstocken? Wenn ja, wie viele zusätzliche Polizeibeamte wären in Bayern und im Bund notwendig?

    Herrmann: Die bayerische Polizei hat eine gute Personalausstattung, darauf lege ich als Innenminister großen Wert. Bereits seit 2009 haben wir in Bayern insgesamt 2600 dauerhafte neue Polizeistellen geschaffen. Mit fast 42.000 Stellen hat die bayerische Polizei derzeit den höchsten Personalstand aller Zeiten. Von 2017 bis 2020 werden wir jedes Jahr zusätzlich 500 Stellen bei der bayerischen Polizei schaffen. Das sind 2000 weitere Stellen für spürbar mehr polizeiliche Präsenz und Sicherheit. Darüber hinaus fordere ich mindestens 15.000 zusätzliche Polizisten bei Bund und Ländern. Wir müssen das hohe bayerische Sicherheitsniveau in allen Bundesländern erreichen. Mehr Sicherheit in ganz Deutschland ist möglich.

    "Kein Anschlagszenario, das irgendjemand im Blick hatte"

    Noch mal zurück zum Attentat von Würzburg. Waren Sie von den Umständen des Axt-Angriffs überrascht? Oder musste man damit rechnen, dass ein zuvor unauffälliger Einzeltäter in einem Zug eine solche Tat begehen könnte?

    Herrmann: Auch wenn wir gut vorbereitet sind – man wird letztlich von jedem Anschlag überrascht. Aber hier war es schon besonders. Denn wenn mich in den Monaten davor jemand gefragt hat: Wie sieht es denn aus mit der Gefahr bei uns? – dann habe ich immer gesagt: Natürlich kann ein Anschlag wie in Brüssel oder in Paris auch bei uns in Deutschland passieren. Wir haben auch die Einschätzung gehabt, ein solcher Anschlag könnte mit einem großen medialen Ereignis verbunden sein.

    Aber nicht in einem Regionalzug zwischen Ochsenfurt und Würzburg?

    Herrmann: Das war in der Tat nicht wirklich ein Anschlagsszenario, das zuvor irgendjemand im Blick hatte.

    Welche bundespolitischen Folgen hatte der Axt-Angriff?

    Herrmann: Ein Punkt, der für die Täter in Würzburg wie in Ansbach sehr wichtig war, war die Kommunikation mit terroristischen Führungspersonen im Nahen Osten über WhatsApp: Bis dato gab es aber keine Rechtsgrundlage, Kommunikation auf dem Smartphone über solche Dienste zu überprüfen. Wir haben jetzt ein Jahr lang dafür gekämpft. Und nachdem es sehr lange sehr viel Widerstand etwa auch bei der SPD gab, ist es gelungen, dass nun auch die Überwachung von WhatsApp-Nachrichten auf Anordnung eines Ermittlungsrichters möglich wird.

    War das Würzburger Attentat eine Zäsur für die innere Sicherheit in Deutschland?

    Herrmann: In Würzburg und in Ansbach hatten wir es nun auch in Deutschland mit Tätern zu tun, die als Asylbewerber ins Land gekommen waren. Das hat die Debatte natürlich verändert. Weil damit endgültig klar war, dass zwar nur von einer sehr kleinen Minderheit, aber eben schon auch aus dem Kreis der Asylbewerber neue Sicherheitsrisiken in Europa entstehen.

    Offenbar sind ja auch heute noch die Identitäten tausender Asylbewerber nicht eindeutig geklärt. Wie gefährlich ist das?

    Herrmann: Die Attentäter von Würzburg und Ansbach waren ja registriert worden. Gerade der Würzburger Attentäter hatte zudem auch eine geradezu mustergültige Betreuung. Absolute Sicherheit gibt es also auch dann nicht. Aber ja: Leider müssen wir feststellen, dass es gerade bei Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak noch immer mehrere tausend gibt, deren Identitäten nicht geprüft sind. Das ist absolut inakzeptabel. Und es ist gut, dass das jetzt alles nachgearbeitet wird. Klar ist aber auch, dass sich – nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen – eine Situation der unkontrollierten Einreise nach Deutschland wie im Herbst und Winter 2015/2016 nicht wiederholen darf.

    Lesen Sie dazu auch: Ein Jahr nach dem Amoklauf von München: Das Leben ohne Armela

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