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Interview: Theo Waigel warnt vor einer bundesweiten CSU

Interview

Theo Waigel warnt vor einer bundesweiten CSU

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    Um viele Menschen an die CSU zu binden, rät Theo Waigel seiner Partei, sich nicht auf das „Konservative“ zu verengen.
    Um viele Menschen an die CSU zu binden, rät Theo Waigel seiner Partei, sich nicht auf das „Konservative“ zu verengen. Foto: Ulrich Wagner

    Sind die Drohungen aus der CSU, etwa von Generalsekretär Andreas Scheuer und Finanzminister Markus Söder, mehr als nur Theaterdonner?

    Theo Waigel: Solche Töne sind nicht neu. Das hat es in den letzten Jahrzehnten immer wieder gegeben. Und auch gemeinsame Programme für Wahlkämpfe in den 70er und 80er Jahren waren von vorhergegangenen Auseinandersetzungen geprägt. Ich gehe davon aus, dass es zu einem gemeinsamen Wahlprogramm für die nächste Bundestagswahl kommt.

    Können Sie die Unzufriedenheit in der CSU mit der großen Schwesterpartei etwa in der Flüchtlingspolitik verstehen?

    Waigel: Es gibt ein Problem bei Anhängern und bei vielen Bürgern. Es geht um die Frage, wieso es im letzten Jahr zu einem zeitweiligen Kontrollverlust gekommen ist. Warum konnte die Zuwanderung nicht mehr gesteuert werden, warum konnten nicht alle Ankommenden registriert werden, damit man nachher auch wusste, wie viele ins Land gekommen waren? Das führte zu einem Gefühl der Verunsicherung. Ein solcher Vorgang darf sich nicht wiederholen. Die jetzigen Zahlen sprechen ja auch dafür, dass die gegenwärtige Zuwanderung weit unter dem liegt, was Seehofer als Obergrenze genannt hat und sich auch kontrolliert vollzieht.

    Wie sieht denn – hauptsächlich bezogen auf 2015 – Ihre Fehleranalyse aus?

    Waigel: Die CDU will nicht eingestehen, dass es zu dem Plan A auch einen Alternativplan B gibt. Ich halte eine europäische Lösung grundsätzlich für richtig, der Schutz der Außengrenzen ist notwendig und eine rationale Zusammenarbeit mit der Türkei unabdingbar. Aber wenn dies alles nicht möglich wäre und stattfindet, darf man die Schließung von Grenzen auch innerhalb der Europäischen Union nicht ausschließen.

    Was halten Sie von der Aussage des bayerischen Finanzministers, die CDU sei von der CSU weiter entfernt als beim – schließlich wieder zurückgenommenen – Trennungsbeschluss 1976?

    Waigel: Damals war Söder um die zehn Jahre alt. Insofern dürfte seine Erinnerung an das Datum nicht so detailliert sein wie die meine. Die Zeiten sind überhaupt nicht vergleichbar, zumal damals CDU und CSU nach der Bundestagswahl 48,6 Prozent der Stimmen erreicht hatten. Das ist so viel, wie die CSU im Moment in Bayern erzielen würde. Außerdem ist die CSU seinerzeit mit ihrer Strategie gegenüber der CDU unterlegen. Deswegen halte ich die Parallele für unglücklich. Es gab damals eine völlig andere Parteienkonstellation, nämlich ein Dreiparteiensystem. Die Sorge von Strauß war, dass wir keine Chance hatten, noch einmal an die Macht zu kommen, weil hinter der SPD die Gewerkschaften standen und die FDP von der Wirtschaft unterstützt wurde. Heute haben wir sechs Parteien auf dem Bildschirm. Nun geht es darum, wie man in einer solchen Unübersichtlichkeit die eigene Position darstellt. Um möglichst viele Menschen an sich zu binden, braucht man eine liberale, eine soziale und auch eine konservative Komponente. Franz Josef Strauß hat schon in den 60er Jahren davon gesprochen, dass wir auch konservativ sind, aber nicht ausschließlich. Das Ganze muss überwölbt sein – auch wenn immer mehr aus den Kirchen austreten – vom christlichen Menschenbild. Das ist das Grundrezept. Man sollte sich nicht auf einen Begriff wie „konservativ“ verengen, der in sich selber wenig aussagt.

    Ich will es dennoch mal an diesem Begriff festmachen. Ist die Union noch in der Lage, die konservativen Wähler ausreichend bei sich zu halten?

    Waigel: Was ist konservativ? Heißt das: Festhalten an der Kernenergie? Nein. Wehrpflicht? Die hat ein CSU-Minister abgeschafft. Rechtsstaat: Ein starker Rechtsstaat ist die Voraussetzung für eine liberale Gesellschaftsordnung. Europa? Ist der europäische Gedanke konservativ, liberal oder christlich motiviert? Nicht zuletzt Papst Franziskus hat die Notwendigkeit und den Segen eines vereinigten

    Wäre ein eigenständig geführter Wahlkampf nicht letztlich von Vorteil?

    Waigel: Die CSU kann durchaus einen akzentuierten Wahlkampf führen, in dem sie die bayerischen Probleme und  die bayerische Sicht zum Tragen bringt. Ich würde ihr aber keinen Wahlkampf gegen die CDU empfehlen. Es wäre auch nicht gut, wenn es nicht zu einem gemeinsamen Spitzenkandidaten oder einer Spitzenkandidatin käme.

    Also weder gegen- noch nebeneinander?

    Waigel: Die Trennungsverluste wären doch viel stärker als die Wettbewerbsgewinne. Dass man getrennt mehr Stimmen holen würde, ist eine Milchmädchenrechnung. CDU und CSU würden sich in einem solchen Wahlkampf viel stärker streiten als sich mit SPD, Grünen, Linken und der AfD auseinanderzusetzen.

    Warum kommt das alles nun hoch? Wird die CSU als Juniorpartner in der Großen Koalition nicht einmal von der CDU richtig gewürdigt?

    Waigel: Die CSU wird von der CDU und von der Öffentlichkeit im Augenblick sehr stark wahrgenommen. Es wäre interessant gewesen, wie ein CSU-Innenminister, den wir ja in der letzten Legislaturperiode gestellt haben, die Flüchtlingsproblematik gestaltet hätte. Das zeigt, wie wichtig ein klassisches Ministerium für jeden Koalitionspartner ist.

    Geht die EU richtig mit dem Partner Türkei um, auf den sie in der Flüchtlingsfrage angewiesen ist?

    Waigel: Meines Erachtens sollte man rechtzeitig erklären, dass die Türkei nicht Mitglied der Europäischen Union wird. Man muss doch mal die Realität sehen. Weder in Deutschland noch in den anderen Ländern gäbe es eine Mehrheit im Parlament oder bei Volksabstimmungen. Also ist es doch vernünftiger, rechtzeitig andere Modalitäten der Zusammenarbeit zu vereinbaren. Das muss nicht „privilegierte Partnerschaft“ heißen, doch es muss berücksichtigt werden, dass es sich um einen Nato-Partner handelt, der gerade für Europa eine große strategische Bedeutung besitzt. Ohne die Türkei kann man die Probleme im Nahen Osten nicht vernünftig lösen. Geostrategische Partner kann man sich nicht aussuchen. Aber man muss kalkulierbar mit ihnen umgehen. Eines ist aber gewiss: Die gegenwärtige Staatsform in der Türkei ist nicht kompatibel mit der Demokratieforderung der Europäischen Union.

    Zum Schluss möchte ich noch einmal auf die CDU und CSU zurückkommen. Was muss auf deren Strategietreffen im Juni dringend besprochen werden?

    Waigel: Wir spielen in Europa und in der Welt eine wichtige, verlässliche Rolle. CDU und CSU sind dem Gemeinwohl und nicht Partikularinteressen verpflichtet. Wir müssen auch Antwort geben: Wie sieht eine realistische Europapolitik aus? Dabei dürfen nicht nur Fehler und Defizite, sondern müssen die überragenden Erfolge Europas in den letzten Jahrzehnten herausgestellt werden. In der Finanzpolitik zum Beispiel sollte den Bürgern auch etwas von dem zurückgegeben werden, was durch die Niedrigzinspolitik in die Kassen der Finanzminister fließt. Eine Forderung übrigens, die Söder zu Recht aufstellt. Das sind Programmpunkte, mit denen man neben einer klaren Rechts- und Innenpolitik ein überzeugendes Profil der Union darstellen kann.

    Und wie oft sollte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer dann noch das Wort „Verfassungsklage“ in den Mund nehmen?

    Waigel: (lacht) Das muss er entscheiden. Nach meinem Wissen ruht das gegenwärtig im Kühlfach. Es gibt einen Briefwechsel zwischen Horst Seehofer und Bundeskanzlerin Angela Merkel, den ich nicht kenne und den ich nicht kommentiere.

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