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Interview: Sonntags-Allianz-Gründer: "Viele kaufen sonntags bewusst keine Semmeln"

Interview

Sonntags-Allianz-Gründer: "Viele kaufen sonntags bewusst keine Semmeln"

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    Wie lange dürfen am Sonntag Semmeln verkauft werden? Darüber wird derzeit gestritten.
    Wie lange dürfen am Sonntag Semmeln verkauft werden? Darüber wird derzeit gestritten. Foto: Ulrich Wagner

    Sonntags nur drei Stunden? Oder doch den ganzen Tag? Wie lange Bäckereien am Sonntag Semmeln verkaufen dürfen, wird wohl ein Fall für den Bundesgerichtshof. Wie berichtet, hatte das Oberlandesgericht München vor kurzem entschieden, dass eine Bäckerei den ganzen Sonntag unbelegte Semmeln verkaufen darf – vorausgesetzt, sie betreibt auch ein Café. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs will aber Revision einlegen. Wir fragten Betriebsseelsorger Erwin Helmer von der Sonntags-Allianz Bayern, wie er den Streit beurteilt.

    Herr Helmer, Bäcker dürfen ja seit vielen Jahren auch sonntags Semmeln verkaufen. Wie beurteilen Sie den aktuellen Streit um eine längere Öffnungszeit am Sonntag?

    Erwin Helmer: Für uns als Sonntags-Allianz, die ja für einen freien Sonntag kämpft, gehört dieser Fall in eine Reihe von Aktionen, die in den Sonntag hineinarbeiten.

    Hineinarbeiten heißt aushöhlen, oder?

    Helmer: Genau. Denn das läuft ja Schritt für Schritt. Immer wieder wird versucht, die Ladenöffnungszeiten am Sonntag auszudehnen. Bestes Beispiel sind die Marktsonntage. Das läuft darauf hinaus, die Arbeitszeitgesetze zu ändern. Jetzt versuchen es wieder die Groß-Bäckereien.

    Aber dass Bäcker am Sonntag aufhaben, hat in Bayern Tradition.

    Helmer: Also ich bin ein Bäckersohn. Mein Vater und mein Bruder waren Bäcker. Und ja, für Bäcker wurde eine Ausnahme gemacht. Sie dürfen aber sonntags eben nur drei Stunden öffnen. Zur Tradition muss man wissen, dass nur die großen Bäckerei-Ketten von längeren Öffnungszeiten am Sonntag profitieren, kleinere Handwerksbäcker können das personell gar nicht leisten. Will man also wirklich wieder nur die großen Bäckereiketten stärken?

    Viele Verbraucher denken wahrscheinlich: Frische Semmeln gehören zum Sonntagsfrühstück dazu, je länger die offen haben, umso besser.

    Helmer: Das beobachte ich nicht so. Viele kaufen ganz bewusst keine Semmeln am Sonntag. Ich kenne viele Menschen, die sich bewusst dagegen entscheiden, weil sie ganz genau wissen, welchen Wert ein freier Sonntag hat und wie viel auf dem Spiel steht, wenn er Schritt für Schritt ausgehöhlt wird. Ich persönlich brauche am Sonntag keine frischen Semmeln. Heutzutage kann man sich doch zur Not selbst welche aufbacken.

    Aber viele Menschen müssen längst auch am Sonntag arbeiten.

    Helmer: Wir in der Allianz sind auch nicht grundsätzlich gegen Sonntagsarbeit. In einigen Berufen ist es einfach nötig, damit kein Mensch Schaden nimmt, das betrifft etwa Ärzte und Pflegekräfte im Krankenhaus, Notdienste, Feuerwehrleute ... Aber auf solche Berufe wollen wir es beschränkt lassen.

    Viele fühlen sich gegängelt, wenn jemand sagt: Der Sonntag muss frei bleiben. Sie sagen: Ich kann mich auch Mittwoch oder Donnerstag erholen.

    Helmer: Schichtarbeiter kennen das: Sie haben an anderen Tagen in der Woche frei und müssen sonntags arbeiten. Wenn ich Mittwoch oder Donnerstag frei habe, ist das anders als am Sonntag. Den Sonntag konnten wir bisher vom werktäglichen Charakter frei halten, weil eben die Geschäfte zu haben, weil keine großen, lauten Reparaturen erlaubt sind, Lkw nur im Ausnahmefall fahren. Es ist ein ruhigerer Tag, an dem viele Menschen frei haben. Letzteres ermöglicht es, dass beispielsweise Familienfeste sonntags gefeiert werden, weil die meisten Leute da Zeit haben. Und nicht zu vergessen: Der Sonntag ist auch der Tag, an dem viele Menschen die Möglichkeit haben sollten, einen feierlichen Gottesdienst zu besuchen.

    Und was sagen Sie Menschen, die das zusätzliche Geld brauchen?

    Helmer: Wenn jemand verschuldet ist, habe ich dafür Verständnis. Aber man muss wissen, dass Sonntagsarbeit auf Dauer krank macht. Der Sonntag ist der gesündeste Tag in der Woche. Das haben arbeitsmedizinische Studien erwiesen. Wer am Sonntag frei hat, hat den höchsten Erholungslevel. Manche Menschen, die partout durcharbeiten wollen, muss man vor sich selbst schützen.

    Sie waren jetzt auch in Brüssel als Vertreter der bundesweiten Sonntags-Allianz. Was haben Sie vor?

    Helmer: Es gibt auch eine europäische Allianz für den Sonntag. In Brüssel haben wir mit einigen Europa-Abgeordneten gesprochen, weil wir in der EU-Arbeitszeitrichtlinie, die gerade verhandelt wird, den freien Sonntag als verbindliche Grundlage verankern wollen.

    Wie ist der Sonntag denn auf EU-Ebene bisher geregelt?

    Helmer: Bisher gibt es keinen generellen Sonntagsschutz. Es muss nur ein Tag in der Woche frei sein, aber eben kein bestimmter.

    Und wie ist die Stimmung zu diesem Thema auf europäischer Ebene?

    Helmer: Wir beobachten hier Erstaunliches: Vor allem der Osten Europas wandelt sich gerade. Nachdem zunächst eine komplette Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten stattfand, folgt jetzt eine Komplettdrehung. So wird beispielsweise Polen in den nächsten Jahren keine verkaufsoffenen Sonntage mehr erlauben.

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