Herr Kirch, digitale Kompetenz wird gern als vierte Kulturtechnik unserer Zeit bezeichnet. Ist der Umgang mit Smartphone und Tablet wirklich so wichtig wie die drei anderen – Lesen, Schreiben und Rechnen?
Michael Kirch: Natürlich ist es zunächst einmal wichtig, dass Kinder in der Grundschule Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Aber die digitale Bildung sollte in jeder Lernphase eine Rolle spielen. Wenn Kinder lernen, kompetent mit digitalen Medien umzugehen, haben sie in der heutigen Zeit vielfältigere Möglichkeiten für ihr eigenes Lernen. Die Kulturtechniken beeinflussen sich gegenseitig.
Ist es sinnvoll, dass Kinder schon im Grundschulalter an die digitale Welt herangeführt werden?
Kirch: Ganz klar ja, und zwar mit fünf Ausrufezeichen! Ich halte es für eine ganz essenzielle Verantwortung des Staats, dass er Kinder und Eltern so früh wie möglich beim Umgang mit digitalen Medien anleitet und sie unterstützt.
Schule müsse Kinder auf die digitale Welt vorbereiten
Gegner eines digitalen Unterrichts sind oft der Meinung, dass Kinder ohnehin viel zu oft an Tablet, Handy und Konsolen hängen und nicht auch noch im Unterricht damit zu tun haben sollten. Was sagen Sie diesen Leuten?
Kirch: Ich sage ihnen, dass die Schule die Aufgabe hat, Kinder auf unsere heutige Welt vorzubereiten und dass diese nun einmal stark digital geprägt ist. Ich würde ihnen weiterhin sagen, dass die mediale Nutzung außerhalb nicht mit der in der Schule gleichzusetzen ist. (Lesen Sie dazu auch: Das Internet ist für Kinder der Wald von damals)
Was Grundschüler in Sachen Digitale Medien lernen
Digitale Medien sind seit der Neugestaltung des bayerischen Grundschul-Lehrplans im Jahr 2014 fächerübergreifend ein Thema. Hier drei Beispiele:
Deutsch: Am Ende der vierten Klasse sollen Schüler Informationen aus allen Arten von Medien abrufen und diese auch nutzen können, um eigene Texte zu schreiben.
Heimat- und Sachunterricht: Die Kinder setzen sich kritisch mit Medieninhalten auseinander und erfahren, wie man sie verantwortungsvoll nutzt. Zudem lernen sie zum Beispiel, sich mit GPS in ihrer Umgebung zu orientieren.
Kunst: Die Schüler lernen etwa, mit einer Digitalkamera umzugehen und Fotos zu überarbeiten.
Was können digitale Medien, was herkömmliche Unterrichtsmethoden nicht können?
Kirch: Sie ermöglichen beispielsweise, dass auch Kinder mit Einschränkungen besser am Unterricht teilnehmen können. So können manche Tablets sehbehinderten Kindern die Inhalte vorlesen. Apps ermöglichen stummen Kindern das „Sprechen“. Die Möglichkeit, auf Tablets die Schriftgröße oder den Zeilenabstand zu adaptieren, erleichtert insbesondere Leseanfängern das Lesen. Kinder, die nicht Deutsch als Muttersprache haben, können Übersetzungsapps nutzen.
Digitale Nutzung bei Kindern nimmt zu
Wie gut kennen sich Kinder mit digitalen Medien aus, wenn sie in die Schule kommen?
Kirch: Eine Reihe von Studien zeigt, dass die Nutzung digitaler Medien unter Kindern zunimmt. Bereits Kinder im Vorschulalter haben Zugang zu vielfältigen Medien, sie sind in ihrer direkten Umwelt davon umgeben. Sie sehen, wie ihre Eltern diese verwenden und wissen sie teilweise erstaunlich zu nutzen. (Eine Studie hat ergeben: 70 Prozent der Kita-Kinder nutzen Smartphone mehr als halbe Stunde pro Tag)
Wann ist es sinnvoll, digitale Hilfsmittel im Unterricht zu nutzen?
Kirch: Das liegt in der Hand der Lehrkraft und das soll auch so sein. Lehrerinnen und Lehrer wissen, dass digitale Medien alleine noch keinen guten Unterricht ausmachen. Um eine reflektierte Entscheidung darüber zu treffen, ob und wie Medien eingesetzt werden, müssen Lehrkräfte die zu vermittelnden Inhalte, ihre pädagogische Zielsetzungen und die technologischen Möglichkeiten miteinander abwägen.
Heute erklärt Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) im Landtag, wie Bayern in den nächsten Jahren in Digitalisierung investieren will. Gibt es an den Schulen noch Nachholbedarf?
Kirch: Bayerns Schulen sind – wie in den meisten anderen Bundesländern auch – auf einem guten Weg, jedoch noch weit von einer guten Ausstattung entfernt. Ich würde mir wünschen, dass jeder Lehrer und jeder Schüler an jedem Ort und zu jeder Zeit Zugang zu allen Medien hat. Nur dann können wir sie in der Schule mit der gleichen Selbstverständlichkeit verwenden, wie wir es im Alltag tun. In anderen Ländern ist das schon möglich, da ist das Tablet im Unterricht so normal wie der Bleistift.
Zur Person: Michael Kirch forscht und lehrt am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Didaktik der Universität München.