Sie spielen in der Literaturverfilmung „Schweigeminute“ die junge Englischlehrerin Stella, die mit einem 18-jährigen Schüler eine Beziehung anfängt, die nicht gut gehen kann. Warum war für Sie dieser Literaturstoff von Siegfried Lenz so besonders?
Julia Koschitz: Ich habe zuerst die Novelle gelesen, weil ich zu ungeduldig war, um auf das Drehbuch zu warten, und hab’ mich in sie verliebt. Es ist eine wunderschöne, melancholische Liebesgeschichte, die einerseits sehr sinnlich geschrieben ist, auf der anderen Seite aber immer respektvoll bleibt. Trotz dieser Distanz hatte ich das Gefühl, den Figuren beim Lesen ganz nahe zu kommen. Als ich dann das Drehbuch gelesen habe, war ich regelrecht erleichtert, dass es sich sehr an die Vorlage gehalten hat.
Ist es ein leichter und doch gleichzeitig schwieriger Stoff?
Koschitz: Klar, die Paarkonstellation zwischen einer Lehrerin und ihrem Schüler ist speziell und heikel, da sie eine klare Grenze überschreitet. Trotzdem habe ich diese Liebesgeschichte allgemeingültiger empfunden. Deswegen hat sie mich auch so berührt. Es gibt viele Konstellationen in Beziehungen, die problematisch sind, oder schlicht nicht sein dürfen. Da können kulturelle oder gesellschaftliche Unterschiede eine Rolle spielen oder verschiedene Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft. Schon eine Fernbeziehung kann ein unlösbares Problem für ein Paar werden.
In der Geschichte ist es die erste große Liebe für den Schüler. Können Sie sich noch an Ihre erste Liebe erinnern?
Koschitz: Ja, oh Gott, natürlich! Ich kann mich an viele unerfüllte große Lieben erinnern, die sich aber eher im Gleichaltrigen-Segment bewegten. Aber die Liebe hatte da nicht wirklich eine Chance, weil der andere nie was davon erfahren hat. Da war ich recht konsequent (lacht).
Das Doppel ältere Frau – junger Mann ist im Gegensatz zur Kombination junge Frau – alter Mann trotz einiger prominenter Vorbilder gesellschaftlich noch nicht etabliert. Wäre das inzwischen nicht höchste Zeit?
Koschitz: Ja, ich denke schon. Natürlich ist es leicht erklärbar, warum die Konstellation „älterer Mann und junge Frau“ noch immer mehr in unser Vorstellungsbild passt – so wie wir aufgewachsen sind mit unserem traditionellen Männer- und Frauenbild. Aber nachdem Frauen sich über die letzten Jahrhunderte vieles erkämpft haben, bin ich zuversichtlich, dass sich auch das im Laufe der Jahre noch ändern wird.
Sie sagten in einem Interview, Sie könnten sich eine Liebe zu einem jüngeren Mann vorstellen. Richtig?
Koschitz: Das habe ich zwar so nicht formuliert, aber ich kann mir alles Mögliche vorstellen. Ich möchte als Mensch offenbleiben und das Leben auf mich zukommen lassen. Ich selbst hatte allerdings keine Beziehungen zu wesentlich jüngeren oder älteren Männern, sondern eher immer gleichaltrige Freunde. Vielleicht kommt das auch daher, dass ich es schätze, wenn man gemeinsame Interessen und Lebensthemen teilt. Ich kann mir vorstellen, dass ein großer Altersunterschied diesbezüglich problematisch ist. Aber manche Menschen sind sehr reif für ihr Alter oder noch sehr jung geblieben; insofern: Wenn man sich ernsthaft verliebt, sollte das Alter kein Hinderungsgrund sein.
Der verstorbene Bernd Eichinger wollte die Novelle von Siegfried Lenz schon ins Kino bringen. Das Drehbuch war fertig. Nach seinem Tod lag der Stoff einige Zeit brach, bis ihn nun Oliver Berben fürs ZDF produzierte. Ein neues Drehbuch wurde geschrieben. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
Koschitz: Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Ich weiß, dass es zuvor schon mehrere Versuche gab, den Stoff zu verfilmen. Aber welche Buchfassung wo eingeflossen ist, kann ich nicht sagen. Ich bin mir aber sicher, dass in unserem Drehbuch auch Teile der Vorgängerfassungen enthalten sind.
Die Melancholie dieses Filmes wirkt auf den Zuschauer sehr berührend. Sind Sie eher eine Draufgängerin oder auch ein wenig nachdenklich-zurückhaltend?
Koschitz: Ich würde sagen, dass sich beides nicht ausschließt. Ich bin sowohl das eine als auch das andere. Auf Fremde wirke ich aber bestimmt eher reflektiert. Das ist schon eine hervorstechende Seite von mir. Ich hinterfrage ständig und alles, mich dabei am meisten. Aber in diesem Beruf hätte ich nichts verloren, wenn ich nicht auch eine spontane und mutwillige Seite hätte.
Was können die Zuschauer als Botschaft der Novelle mitnehmen?
Koschitz: Hui, schwierige Frage. Ich glaube, die Botschaft sollte jeder für sich selbst finden. Für mich erzählt es die Geschichte einer Liebe, die ganz gleich wie lang sie dauert, tiefe Spuren hinterlassen hat, deren Intensität vielleicht gerade durch ihre Unmöglichkeit verstärkt wird.
Es heißt, Sie hätten noch nie bei einem Dreh so gefroren. Woran lag es?
Koschitz (sie lacht): Ja das stimmt. Wir haben im September auf Bornholm gedreht und scheinbar kann es zu der Jahreszeit dort noch sommerlich warm sein. Aber als wir da waren, hatte es durchschnittlich zwölf Grad, außerdem war es ziemlich windig. Als Schauspieler ist es meistens so: entweder man friert oder es ist einem zu heiß. Man hat nun mal ein bestimmtes Kostüm, das Monate vorher festgelegt wird, und dann ist das Wetter wie es ist. In diesem Fall hatte ich ein bisschen Pech, weil ich im Gegensatz zu den Männern, die gut eingepackt waren, meist mit kurzer Hose und Bluse herumgerannt bin. Da passt auch keine Wärmeunterwäsche drunter.
Segeln Sie privat auch oder haben Sie es für den Film eigens gelernt?
Koschitz: Nein ich segle nicht und habe es auch nicht wirklich gelernt, aber es ist schön, wenn es den Eindruck erweckt hat (lacht). Ich habe innerhalb der letzten zehn Jahren vielleicht insgesamt fünf Segelstunden genommen für andere Filme, aber das Segelfieber hat mich noch nicht erwischt.
Was sind dann Ihre Hobbys?
Koschitz: In München nutze ich – abgesehen davon, dass ich gerne Laufen gehe und Fahrrad fahre – die Freizeitmöglichkeiten, die die Stadt bietet. Wenn ich die Möglichkeit habe, wandere ich auch mal oder fahre Ski. Würde ich am Meer leben, wäre ein Segelschein dann vielleicht doch angebracht. Aber hier kam ich noch nicht auf die Idee.
Sie leben in München. Verspüren Sie nicht den Wunsch vieler Schauspieler, nach Berlin zu ziehen?
Koschitz: Es ist nicht so, dass ich diese Überlegung nicht auch schon gehabt hätte. München ist eher durch Zufall mein Wohnsitz geworden. Ich bin quasi hängen geblieben, aber ich fühle mich auch wohl hier. Es gibt ein sehr gutes kulturelles Angebot und viel Grün, ganz abgesehen davon, dass ein Großteil meiner Freunde hier lebt. Ich bin in meinem Beruf viel unterwegs und empfinde es als umso wichtiger, dass man eine Basis hat, die einen immer auffängt. Und das sind für mich meine Freunde und meine Familie.
Kennen Sie Verlustängste?
Koschitz: Ja, klar. (Sie schweigt)
Können Sie einen Satz dran hängen?
Koschitz: Ich kenne Verlustängste in unterschiedlichster Form. Wenn man sich auf einen Menschen oder auf eine Situation wirklich einlässt, ist Verlustangst schwer vermeidbar. Sobald man eine Form von Verbundenheit spürt, tut es einfach weh, wenn dieser Zustand wieder vorbei geht. Ich habe diesen Sommer beispielsweise eine Rolle gespielt, auf die ich mich wahnsinnig gefreut habe. Und es hat dann auch wirklich großen Spaß gemacht. Deswegen hat mich schon ab der Hälfte der Dreharbeiten zu dem Film „Am Ruder“ auch die Wehmut gepackt und eine Art Verlustangst, weil das Ende schon in Sicht war.
Interview: Josef Karg
Julia Koschitz, 41, wurde in Brüssel geboren, wuchs in Österreich auf und lebt seit Jahren in München. Sie wurde unter anderem mit dem Deutschen Schauspielerpreis und dem Bayerischen Fernsehrpreis ausgezeichnet. Das 88 Minuten lange TV-Melodram „Schweigeminute“ wird am Montag, 31. Oktober, um 20.15 Uhr im ZDF gesendet. Darin spielt sie eine Lehrerin, die sich in ihren Schüler verliebt.